Kaum mehr Bargeld für Geflüchtete: So lebt es sich mit der Bezahlkarte
Seit einem Monat gibt es die Bezahlkarte für Geflüchtete in Hamburg. Auf dem Flohmarkt oder im Halal-Geschäft nützt ihnen die nichts
„Ich kann das Geld, das ich geliehen habe, jetzt nur langsam zurückzahlen“, sagt Nadir. Denn sie hat zwar Anspruch auf knapp 180 Euro im Monat. Überweisungen darf sie allerdings keine tätigen, und bar abheben darf sie monatlich nur 50 Euro.
Nadir heißt eigentlich anders, aber sie möchte anonym bleiben. Seit einem Monat gibt es in Hamburg die Bezahlkarte für Asylbewerberleistungen, auch Sozialkarte genannt. Sie wird an Menschen ausgegeben, die eine Duldung haben oder über deren Asylgesuch noch nicht entschieden wurde. Klingt nach Übergang – viele befinden sich allerdings monate- oder sogar jahrelang in diesem Status.
Hamburg war das erste Bundesland, das die Barauszahlung der Sozialleistung durch eine Bezahlkarte ersetzt hat. Laut Sozialbehörde wurden bisher 357 Karten ausgegeben. Das Modellprojekt sei gut angelaufen, aktuell gebe es keine Pläne, den Abhebebetrag von 50 Euro zu erhöhen. „Wir stellen eine gute Akzeptanz bei den Nutzerinnen und Nutzern fest“, sagt Wolfgang Arnhold, Sprecher der Sozialbehörde. Die Leute seien erleichtert, dass sie gleich „etwas in der Hand haben“.
Starke Einschränkungen
Wenn man mit Betroffenen und Initiativen spricht, klingt das anders. Mithilfe der Karte steuern Behörden die Ausgaben von Asylbewerber*innen stark. Zum Beispiel dürfen sie damit nur noch in Deutschland Geld abheben. Technisch möglich wäre auch, die Nutzung auf bestimmte Postleitzahlengebiete zu beschränken. Außerdem zählt zu den bundesweit geltenden Mindestanforderungen an die Karte, dass sie durch die Behörden jederzeit gesperrt werden kann, im Falle von Missbrauch.
Gerade bei den Themen Datenschutz und finanzielle Autonomie gibt es viel Kritik an der Karte. Welcher Zugriff auf die Daten möglich ist und wie die Behörden die Daten über Ein- und Ausgaben der Menschen wirklich nutzen, wird im Moment von der Linken in einer Kleinen Anfrage an den Senat abgefragt, die bislang unbeantwortet ist.
Karteninhaber*innen können kein Geld überweisen, weder ins In- noch ins Ausland. Das heißt, dass sie nichts Gebrauchtes mehr auf Ebay kaufen können und auch auf Flohmärkten und in vielen Sozialkaufhäusern können Asylbewerber*innnen nicht mehr einkaufen.
Bäcker verlangen oft noch einen Mindestumsatz bei einer Kartenzahlung, und wenn in der Klasse des Kindes Geld für den Schulausflug eingesammelt wird oder für das Geburtstagsgeschenk für die Lehrerin, ist auch Bargeld gefragt. Durch die Überweisungssperre können Betroffene keine Rechtsanwält*innen bezahlen, Handyverträge können sie ebenfalls nicht abschließen.
Djamila Nadir, Geflüchtete
Manches funktioniert nicht, wie Nadir vom Amt gesagt wurde, zum Beispiel die Abhebefunktion an den Kassen. Auf der Internetseite des Finanzanbieters Secupay, der die Digitalisierung der Sozialleistung für den Staat abwickelt, steht, dass es möglich wäre, ab einem bestimmten Kaufbetrag auch Geld abzuheben. „Bei Aldi haben sie mich direkt weggeschickt, bei Rossmann wurde der Dienst vom Gerät abgelehnt“, erzählt sie. Wenn Nadir aber am Geldautomaten abhebt, können laut Stadt bis zu zwei Euro Gebühren anfallen.
Gibt es Probleme mit der Karte, weiß Nadir nicht, wo sie schnell Hilfe bekommt. Mit einer normalen Bankkarte kann man zur Bank, mit der Social Card muss man theoretisch zum Amt. Die Stadt verweist auf den Dienstleister Secupay. Dabei muss die Stadt laut den Mindestanforderungen des Bundes eigentlich eine 24/7-Hotline für die Karteninhaber*innen einrichten. Die gibt es nicht, wie die Sozialbehörde bestätigt. Sie sei lediglich geplant.
Nadirs größtes Problem ist, dass die Karte an ihren Bedürfnissen vorbei geht. „Ich esse in der Unterkunft, und brauche das Geld daher kaum für Lebensmittel“, sagt sie. Lieber würde sie das Geld ansparen, oder eben ihre Schulden bei Bekannten begleichen. Die Tatsache, ihr Geld nicht in der Hand zu haben, verunsichert sie. „Ich habe Angst, dass die Behörden denken, ich bräuchte das Geld nicht, wenn ich es nicht ausgebe, und es mir kürzen“, sagt Nadir. „Wer sagt mir denn, dass das nicht passieren könnte?“
Menschen, die die Karte aber tatsächlich für Lebensmittel nutzen wollen, werden ebenfalls eingeschränkt. Viele möchten dort einkaufen, wo sie keine Sprachbarriere vorfinden oder religiöse Bedürfnisse berücksichtigt werden. Restaurants und kleinere Supermärkte zum Beispiel, die Essen anbieten, das halal ist, haben auch oft keine Kartenzahlungsoption, sagt Sacdia Sheikdon von der Initiative „Women in Action“.
Nichts für Analphabeten
Die 29-Jährige hilft Frauen in der Erstaufnahme Rahlstedt. „Die Sozialkarte ist rassistisch“, sagt sie. Menschen werde damit die Freiheit genommen, für sich selbst zu sorgen. Zudem würden die Menschen mit der Karte allein gelassen. „Ich treffe alte Menschen, und Menschen die keine Schulbildung haben, die nicht verstehen, wie sie damit umgehen sollen“, sagt sie.
Auch eine Nachbarin von Nadir aus der Unterkunft kann nicht lesen oder schreiben und ist überfordert mit der Karte, wie sie erzählt. Sheikdon von der Initiative „Women in Action“ hat gemeinsam mit der Seebrücke Hamburg und anderen Initiativen am heutigen Freitag einen Protest vor der zentralen Erstaufnahme in Rahlstedt geplant. Sie fordern die Abschaffung der Bezahlkarte.
Nach Ansicht der Organisator*innen der Kundgebung verhindert die Karte soziale Teilhabe. Damit einher gehe eine Entwürdigung. „Selbst wenn wir mit der Karte überall einkaufen könnten, fühlt es sich an, als wären wir keine echten Menschen“, sagt Nadir. Sie hat ihre Kinder in Somalia zurückgelassen. Sie wünscht sich ein gutes Leben in Deutschland – in einem Staat, der ihr nicht misstraut.
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