Kasachische Jurten in der Ukraine: „Russische Kritik ist Auszeichnung“

In mehreren ukrainischen Städten steht eine kasachische Jurte, was Moskau wenig gefällt. Besuch der Nomadenbehausung in Kiew.

Eine junge Frau steht im Eingangsbereich einer Jurte die auf einem Platz mitten in Lemberg steht

Anfang Februar 2023: Eröffnung einer Jurte in der Innenstadt von Lwiw Foto: Pavlo Palamarchuk/AA/ddp

KIEW taz | „Und dann drücken Sie rhythmisch mit den Handflächen auf den Brustkorb“, erklärt der Sanitäter zwei Dutzend Passanten, die gerade im Kiewer Schewtschenko-Park stehen, direkt gegenüber der „roten“ Universität. Vor dem Mann auf dem Boden liegt die Puppe eines Erwachsenen, deren olivgrünes Hemd er geöffnet hat. So lässt sich am besten ein Mensch behandeln, der einen Atemstillstand oder einen Herzinfarkt hat. Der Ort dieses Schnellkurses in Erster Hilfe könnte ungewöhnlicher kaum sein: Hier, in dem Park mitten im Zentrum Kiews haben Kasachen eine Jurte aufgebaut.

„Wir wollen einen Ort der Ruhe anbieten für alle, die durch die Stadt eilen“, erklärt Rustam, Vertreter der kasachischen Diaspora in der Ukrai­ne. Er selbst ist Kasache mit ukrainischem Pass. „Bei uns gibt es von morgens bis abends kostenlosen Tee, Kaffee, mitunter auch etwas zu essen wie kasachischen Plow. Und Heizung.“ Wer an seinem Notebook arbeiten will, könne das ebenso tun. „Wir haben Tische, Bänke und WLAN.“ An der Wand des traditionellen Nomadenzelts hängen kasachische Kleider, Teppiche, kasachische Musikinstrumente, alte Waffen und ein typisches kasachisches Kinderbett. Fast täglich gibt es Veranstaltungen wie eben diesen Erste-Hilfe-Kurs.

„Das ist nicht nur ein Ort, an dem man sich in diesen schweren Zeiten des Kriegs wärmen kann, heißen Tee und Gebäck erhält, sein Mobiltelefon aufladen kann. Diese Jurte ist auch ein Symbol der jahrhundertealten ukrainisch-kasachischen Freundschaft“, heißt es auf einer Tafel am Eingang.

Die Idee, in der Ukraine kasachische Jurten aufzustellen, stammt vom Abgeordneten Sergej Nagornjak, der gleichzeitig Vorsitzender der ukrainisch-kasachischen Parlamentariergruppe ist. Ihm liegt viel an den Beziehungen zwischen Kiew und Astana. Unterstützung erhält er Vitali Klitschko, dem Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt. Außer der in Kiew steht derzeit eine Jurte in Butscha, Odessa, Charkiw und Lwiw.

Wenig Gefallen an den Nomadenbehausungen in der Ukraine findet man hingegen in Moskau. Nach Auffassung von Maria Sacharova, der Sprecherin des Außenministeriums, könnte eine mögliche Beteiligung kasachischer Behörden „die russisch-kasachische strategische Partnerschaft und Allianz“ beschädigen. Astana, so Sacharowa, möge sich doch dazu bitte äußern.

Die Reaktion auf die russische Kritik folgte prompt. „Eine Jurte ist eine traditionelle Wohnung von Nomaden, die sich leicht zusammenbauen und an einen neuen Ort verlegen lässt“, zitiert das kasachische Portal masa.media ­Ajbek Smadijarow vom kasachischen Außenministerium.

„Eine Jurte ist umweltfreundlich, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, warum kasachische Geschäftsleute diese Art von Unterkunft gewählt haben“, führt Smadijarow aus. „Wir haben es hier mit einer privaten Initiative kasachischer Philanthropen zu tun, die der ukrainischen Bevölkerung helfen wollen.“ Man wolle die kasachischen Jurten in der Ukraine weder kommentieren noch sie verbieten. So betont er, dass die kasachische Botschaft in der Ukraine an dem Projekt nicht beteiligt sei.

In der Kiewer Jurte hat sich Rustam inzwischen einen Tee genommen. „Ich freue mich, dass diese Jurten das Missfallen der russischen Behörden erregen“, erzählt er dem Besucher beim Trinken. „Die russische Kritik ist für uns eine Auszeichnung.“

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