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Karlsruher Urteil zur Wahl in BerlinMit zweierlei Maß gemessen?

Uwe Rada
Kommentar von Uwe Rada

Eine komplette Wahlwiederholung ordnete das Landesverfassungsgericht Berlin an. Karlsruhe genügen 455 Wahlbezirke. Ist das gerecht?

Doris König, Vizepräsidentin des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, verliest das Urteil Foto: picture alliance/dpa | Uwe Anspach

D er große Paukenschlag blieb diesmal aus. Anders als das Landesverfassungsgericht, das im November 2021 die Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus vom 26. September 2021 für verfassungswidrig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet hatte, ließ das Bundesverfassungsgericht den Hammer hängen. Statt einer kompletten Wahlwiederholung wird es am 11. Februar 2024 in 455 von 2.256 Wahlbezirken eine Nachwahl geben.

Kann man beide Urteile miteinander vergleichen? Formal zunächst nicht. Während das Berliner Verfassungsgericht darüber zu entscheiden hatte, ob die Wahl zum Abgeordnetenhaus rechtens war, ging es dem Bundesverfassungsgericht um die Prüfung der am gleichen Tag stattgefundenen Bundestagswahl in den Berliner Wahllokalen.

Das Chaos, das den Wahltag vor über zwei Jahren weit über Berlin hinaus berühmt und auch ziemlich berüchtigt gemacht hat, betraf aber beide Wahlen. Lange Schlangen vor den Wahllokalen, fehlende Stimmzettel, Stimmabgaben weit über 18 Uhr hinaus: All das gab es sowohl bei der Berliner Landtagswahl als auch bei der Bundestagswahl. Dennoch sind zwei Gerichte in ihrer Bewertung dieses Chaos zu zwei grundverschiedenen Auffassungen mit unterschiedlichen Konsequenzen gekommen.

Zwar monierten die Karlsruher Richterinnen und Richter am Dienstag, dass bei der Abgeordnetenhauswahl noch mehr Fehler gemacht worden seien als bei der Bundestagswahl. Ob das zwangsläufig zu einer Wahlwiederholung hätte führen müssen, ließen sie offen.

Könnte Rot-Grün-Rot noch im Amt sein?

Auch die Zurückweisung eines Eilantrags von gut 40 Berliner Politikern und Politikerinnen gegen die Wahlwiederholung war keine Entscheidung in der Sache, sondern eine Frage der Zuständigkeit. Bis dato hatte sich Karlsruhe für Wahlprüfungsverfahren der Bundesländer für nicht zuständig erklärt. So war es auch beim Beschluss vom Januar 2023.

Bleibt also die Frage, ob hier mit zweierlei Maß gemessen wurde. Für die einen mag es eine juristische Feinheit sein. Andere fragen sich womöglich, ob Berlin noch einen rot-grün-roten Senat hätte, wenn nicht das Landesverfassungsgericht die entscheidende Instanz gewesen wäre, sondern Karlsruhe.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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1 Kommentar

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  • Zwei verschiedene Gerichte, zwei verschiedene Entscheidungen. Angesichts unterschiedlicher Abwägungen und Ausgangslagen dürfte das kaum verwunderlich sein. Verwunderlich ist allenfalls die Auffassung des Autoren, den eine Synchronisationspflicht hätte letzten Endes zur Folge, dass sich beide Gerichte entweder abstimmen müssten oder das Zweitgericht an eine Entscheidung des erstentscheidenden Gerichts gebunden wäre.