Kaputte Stadtautobahn in Berlin: „Autofahrer sind ja nicht grunddoof“
Droht dem Berliner Westen jahrelanges Chaos durch die Teilsperrung der Stadtautobahn? Roland Stimpel von FUSS e.V. hat da einen etwas anderen Blick.
taz: Herr Stimpel, Sie sind Landessprecher des Fachverbands Fußverkehr FUSS e. V., haben aber trotzdem eine dezidierte Meinung zur Teilsperrung der Stadtautobahn und deren Effekten.
Roland Stimpel: Ja, ich beschäftige mich schließlich mit allen Verkehrsarten, habe das auch studiert und bin fasziniert davon, wie Verkehrsteilnehmer sich verhalten.
taz: Seit Mittwoch kann die Ringbahn-Brücke der A100 nicht mehr befahren werden. Wenn ein Ersatzbau tatsächlich in zwei Jahren fertig wäre, wie es jetzt heißt, könnte Berlin schon stolz sein. Viele schlagen jetzt die Hände über dem Kopf zusammen und sprechen von einer „Katastrophe“ für den Berliner Westen. Sie sind da entspannter, warum?
Stimpel: Autofahrer sind ja nicht grunddoof. Die stellen sich nicht freiwillig für eine Stunde in einen Stau oder quälen sich gerne durch einen verstopften Nachbarkiez. Und viele sind tatsächlich flexibel. Pendler- und Wirtschaftsverkehre machen zwar ein gutes Drittel des Berliner Autoverkehrs aus, die können sich ihre Routen eher nicht aussuchen. Aber mehr als die Hälfte der Fahrten entsteht durch private Aktivitäten wie Einkäufe oder Freizeitunternehmungen. Diese Leute fahren dann eben zu einem anderen Baumarkt und gehen nicht dort spazieren, wo sie erst mit dem Auto das Funkturm-Dreieck passieren müssen. Vielleicht tun sie es auch zu anderen Zeiten oder wählen ein anderes Verkehrsmittel. Sprich: Es wird bald nicht mehr die Menge an Autoverkehr dort geben wie vor der Sperrung.
taz: Ist das der berühmte „Verdunstungseffekt“, von dem VerkehrsforscherInnen sprechen?
Stimpel: Dieser Effekt ist gründlich empirisch untersucht. Die umfangreichste Studie, die ich kenne, hat weltweit 60 Verkehrswege unter die Lupe genommen, die plötzlich wegfielen – aus ganz unterschiedlichen Gründen: Erdbeben, Brückeneinstürze, geplante Baustellen oder absichtliche Unterbrechungen, etwa durch die Anlage einer Fußgängerzone. Und immer, wirklich immer stellte man fest, dass sich der Verkehr nicht einfach nur in die Umgebung verlagert hat, sondern dass ein Teil schlicht weg war. Verkehr vermindert sich, wenn ein Verkehrsweg fehlt.
Roland Stimpel, Jahrgang 1957, ist gelernter Wirtschaftsingenieur und Stadtplaner. Seit 2018 sitzt er im Vorstand des Fußgängerschutzvereins und Fachverbands Fußverkehr Deutschland (Fuss e. V.) und ist dessen Berliner Landessprecher.
taz: Aber der Wirtschafts- und Pendelverkehr ist natürlich gerade der, der auch sonst zur Rushhour im Stau steht.
Stimpel: Für diese Verkehrsteilnehmer ist es in der Tat problematisch, aber auch da ist Spielraum bei Lieferantenbeziehungen und Zeiten. Vielleicht packen manche mehr in den Laster, statt zweimal hin- und herzufahren. Wenn die Leute keine massiven zusätzlichen Zeiten in Kauf nehmen wollen, lassen sie sich eine Menge einfallen.
taz: Wenn jetzt von allen Seiten dazu aufgerufen wird, auf den ÖPNV umzusteigen, verlagert man dann nicht nur das Problem in die ja auch schon vollen Bahnen?
Stimpel: Man muss gar nicht dazu auffordern – es gibt ja auch jetzt schon Autohalter, die den öffentlichen Verkehr nutzen, weil das schneller geht. Das werden nun noch einige mehr tun, und der parallel verlaufende Abschnitt der Ringbahn ist auch noch nicht überfüllt. Da fahren zwei Linien in eher luftiger Taktung, da kann man auf jeden Fall noch ein paar Züge mehr fahren lassen. Damit hat die S-Bahn ja auch schon angefangen. Auch auf dem Teil der U2, der quer dazu verläuft und den man für manche Wege als Ersatz nutzen kann, ist in vielen Zügen noch Luft.
taz: Aber ein unbefristeter Streik bei der BVG wäre jetzt ungünstig, oder?
Stimpel: Ich fand bizarr, wie am Mittwoch und Donnerstag viele Medien ausführlichst über die Betroffenheit von hunderttausend Autofahrern berichteten, während die Betroffenheit von zwei Millionen BVG-Nutzern ziemlich knapp gemeldet wurde. Klar, die Autofahrer werden noch länger betroffen sein, aber da ist auch in der öffentlichen Wahrnehmung etwas aus dem Blick geraten. Wenn die BVG bestreikt wird, ist das in jedem Fall die viel größere Verkehrskatastrophe.
taz: Welche Maßnahmen halten Sie jetzt für wichtig, um das – größere oder kleinere – Chaos in den kommenden Wochen und Monaten zu begrenzen?
Stimpel: Da spricht jetzt der Ingenieur in mir, der sagt, Verkehrswege müssen effizient, also platzsparend genutzt werden. Die ineffizienteste Nutzung ist bekanntlich die mit Privatautos. Es wäre also völlig irrwitzig, jetzt die Kapazitäten und Verkehrsbedingungen für all jene einzuschränken, die mit dem Bus oder auf dem Fahrrad unterwegs sind, nur um ein paar mehr Pkws durchzulassen. Dann würde die durch die Brückensperrung ohnehin eingeschränkte Transportkapazität noch weiter sinken. Man darf jetzt keinesfalls Busspuren aufheben, sondern muss auf den Spuren noch mehr Busse fahren lassen. Aber der Senat handelt bekanntlich in Sachen Verkehrseffizienz sehr irrational, und ich fürchte, das wird er auch diesmal tun, amateurhaft und autofixiert, wie er ist. Er wird wohl Sachen versuchen, die das Problem noch verschärfen.
taz: Um nochmal auf den Fußverkehr zu kommen, Ihr Kernthema: Sollte jetzt möglicherweise die Polizei mehr Präsenz in den betroffenen Kiezen zeigen, um die FußgängerInnen vor dem Zustrom an Autos zu schützen?
Stimpel: Das Problem ist tatsächlich nicht nur, dass es stinkt und lärmt. Geradezu gefährlich sind Autofahrer, die in Stausituationen in Kreuzungen hineinfahren und dann nicht mehr rauskommen, wenn die Ampel umschaltet. Dann stehen sie mitten auf dem Fußgängerüberweg, und während Leute zu Fuß die Straße kreuzen, sehen die Fahrer: Ah, da sind wieder ein paar Meter frei geworden – sie geben Gas und gucken nicht nach links und rechts. An Kreuzungen, wo sich das andeutet, muss man wirklich Polizei hinstellen, die energisch sagt: Ihr kommt hier jetzt gar nicht drauf.
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