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Kanzler Scholz im Baltikum„Ein Angriff auf uns alle“

Scholz und die baltischen Ministerpräsidentinnen setzen auf traute Einigkeit. Woher das Geld für die Brigade in Litauen kommen soll, bleibt unklar.

Bundeskanzler Olaf Scholz steigt bei dem Besuch der Nato-Übung Quadriga 24 aus einem Radpanzer Foto: Kay Nietfeld/dpa

Riga taz | Am Montagabend herrschte in Riga bei einem Auftritt vor der Presse traute Einigkeit. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, sonst für kritische Töne Richtung Berlin bekannt, sagte: „Deutschland stand den baltischen Staaten noch nie so nah wie jetzt.“ Die Ministerpräsidentinnen von Lettland, Evika Siliņa, und von Litauen, Ingrida Šimonytė, klingen genauso. Man freue sich, dass Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine „die Führungsrolle“ übernehme, sagte die lettische Ministerpräsidentin. Und als Kanzler sagte Olaf Scholz genau das, was man im Baltikum hören wollte. „Ein Angriff auf euch wäre auch ein Angriff auf uns alle.“

In Deutschland gilt Scholz als Zögerer, der im Zweifel Rücksicht auf Eskalationsrisiken nimmt, anstatt entschlossen Panzer und Marschflugkörper zu liefern. Es scheint somit zwei Scholz-Bilder zu geben: den vorsichtigen Zauderer – ein Bild, das manche Grüne und die Union zeichnen – und den Scholz, der ein paar Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt aus einem Radpanzer steigt, um sich ein Nato-Manöver anzuschauen, bei dem ein imaginierter Feind besiegt wird.

Den Kanzler gibt es demnach in doppelter Ausführung: als bedächtig, abwägende Willy-Brandt-Version zu Hause und als energische Helmut-Schmidt-Version in Osteuropa, der markige Sätze nicht scheut. Am Montagabend sagte der Kanzler, man werde als Nato im Baltikum „jeden Zentimeter“ verteidigen.

Vor Kurzem noch warfen baltische Politiker Berlin vor, es an Unterstützung mangeln zu lassen und über Osteuropa hinweg auf Moskau zu starren. In Berlin hielten manche die baltischen Ängste vor Russland für verständlich, aber übertrieben. Die atmosphärischen Störungen scheinen der Vergangenheit anzugehören. Man ist sich einig darin, dass man Russland international isolieren müsse. Die Profite der im Westen eingefrorenen russischen Gelder sollen schnell dazu genutzt werden, Waffen für die Ukraine zu kaufen. Es geht dabei um Milliarden.

Bisher unvorstellbare Sätze fallen

Unterschiede zwischen Deutschland und den baltischen Ländern gibt es dennoch. Alle drei Ministerpräsidentinnen halten „den Sieg der Ukraine über Russland“ für nötig. Scholz vermeidet diese Formel, um nicht zu aggressiv gegenüber Moskau zu wirken und keine Erwartungen zu wecken, die mögliche Verhandlungen am Ende des Krieges belasten könnten. Aber das ist wohl ein semantischer Unterschied. Und kein Symbol für unterschiedliche strategische Einschätzungen der Lage. Die Analyse ist gleich: Russland bedroht langfristig die Sicherheit der europäischen Demokratien. Die litauische Ministerpräsidentin lobte Deutschlands Verteidigungsausgabe als vorbildlich für andere Nato-Staaten. Auch dieser Satz wäre vor zwei Jahren kaum vorstellbar gewesen.

Der neue Berlin-Baltikum-Konsens lautet, die Gefahr aus dem Osten mit Abschreckung zu bannen, ohne eine Konfrontation zu provozieren. Das Mittel dazu ist die Bundeswehr-Brigade. 2027 sollen knapp 5.000 deutsche SoldatInnen jeden Zentimeter Nato-Gebietes verteidigen. Zum Vergleich: Die litauische Armee verfügt über rund 15.000 SoldatInnen. Es ist die erste dauerhafte Stationierung einer so großen Bundeswehreinheit jenseits deutscher Grenzen.

Damit wird die Bundesrepublik für das Baltikum eine ähnliche Rolle spielen wie die USA für Westdeutschland vor 1989. Nämlich die einer Schutzmacht, die Abschreckung garantiert. Diese neue Rolle ist in Deutschland, wo man sich lieber mit langwierigen Debatten um die Lieferung von einzelnen Waffensystemen an Kyjiw beschäftigt, noch nicht begriffen worden.

Aber dies wird passieren. Denn die neue Abschreckungspolitik kostet extrem viel Geld und wird Verteilungskonflikte mit sich bringen. Die Etablierung der deutschen Brigade wird Berlin mehr als 10 Milliarden Euro kosten. Woher das kommen soll, ist unklar. In Litauen gibt man 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Militär aus und wird zusätzlich Milliarden Euro lockermachen müssen, um die Infrastruktur für die deutsche Brigade zu bauen. Der Streit um das Geld, in Litauen, in Deutschland, zwischen Deutschland und Litauen kommt noch. Und er wird hart.

Das ist erst der Anfang. Die USA werden abrupt, wenn Trump die US-Wahl im November gewinnen sollte, oder mittelfristig ihr militärisches Engagement in Europa deutlich reduzieren. Scholz kündigte in Riga an, Berlin werde langfristig 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben. Realistisch betrachtet, wird das nicht reichen. Wie die Politik der Abschreckung ohne Konfrontation finanziert werden soll – ohne die Schuldenbremse entschieden zu lockern und ohne rabiate Einschnitte ins soziale Netz –, ist unklar. Zu Zeiten des Kalten Krieges gab die Bundesrepublik knapp 4 Prozent des BIP für Militär aus.

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7 Kommentare

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  • So recht ist das mit der "Schutzmacht" wirklich nicht zu verstehen - auch wenn @Mustermann hier andrer Meinung ist. Klar, ein Überfall auf Land x wird automatisch zu einem Konflikt auch mit Land y, wenn dieses in x Truppen stationiert hat.



    Wenn der Angreifer aber vor dem Land y AUCH KEINE ANGST hat ? Wie definiert sich dann bittschön die hier herbeigebetete "Abschreckung" ???

  • ???



    "Damit wird die Bundesrepublik für das Baltikum eine ähnliche Rolle spielen wie die USA für Westdeutschland vor 1989. Nämlich die einer Schutzmacht, die Abschreckung garantiert."



    Hatten die USA irgendwo in Westeuropa auch "5000 Soldaten" stationiert ? Oder waren es doch eher ..



    ' 300.000 Soldaten (1989) [...] 100.000 Soldaten (1997) ' Quelle: w.wiki/8oEL

    • @lesnmachtdumm:

      Vollkommen irrelevant in Bezug auf die Äußerung.

  • "Wie die Politik der Abschreckung ohne Konfrontation finanziert werden soll – ohne die Schuldenbremse entschieden zu lockern und ohne rabiate Einschnitte ins soziale Netz –, ist unklar. Zu Zeiten des Kalten Krieges gab die Bundesrepublik knapp 4 Prozent des BIP für Militär aus."



    Steuern rauf, Vermögenssteuer einführen, ging/geht doch. Deutsches Vermögen verteidigen kostet halt Geld. Wer das nicht will, kann ja mit seinen Millionen und Milliarden auswandern. Die Immobilien bleiben der Gesellschaft immerhin erhalten

    • @DieLottoFee:

      Bei dem, was da auf uns zurollt, wird nicht nur Vermögen verteidigt werden müssen.

      Auf welchem Grundsatz sollten Reiche überproportional mehr leisten als Arme?



      Das tun Sie übrigens bereits.

      Man könnte auch klamieren: "Arme, beteiligt euch bitte mehr, leistet mehr".

      • @Hannes Mustermann:

        Arme sollen mehr leisten? Im Kriegsfall zeigt sich doch, dass die wenigen, die viel besitzen, zuerst weg sind und selbst wenn sie bleiben, zu wenige wären, um eine Armee zu stellen. Dafür braucht es das Wertvollste, was Menschen haben, ihr Leben und das in großer Zahl. Da sollten die 1% zu Lebzeiten ordentlich Ausgleich zahlen, dafür das sie sich im Katastrophen- und Kriegsfall dank des Einsatzes anderer absetzen dürfen oder nicht alleine Sandsäcke schleppen müssen.

    • @DieLottoFee:

      Netter Vorschlag. Nur nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Eigentum verpflichtet zwar nach GG, aber das ist nicht mit einer Enteignung gleichzusetzen. "Die Immobilien bleiben der Gesellschaft immerhin erhalten". Das haben die Nationalsozialisten mit den Immobilien ihrer Opfer ebenfalls gemacht, Kompliment für diesen Vorschlag. Hinweis: Verteidigt werden übrigens auch die Unvermögenden. Steuerhöchstsatz bezahlt man als Alleinstehender bereits ab 66.761€. Das ist nicht gerade das Einkommen besonders Vermögender und im internationalen Vergleich ein Witz. An der Schraube können Sie nicht mehr drehen ohne vorher einen Zaum ums Land zu errichten.