Butterwegge über Bundespräsidentschaft: „Ich vertrete SPD-Überzeugungen“
Christoph Butterwegge ist sicher, dass man Reichtum antasten muss. Rechtspopulisten würde er als Präsident klare Kante zeigen.
taz: Herr Butterwegge, Sie sind bei der Wahl für das Amt des Bundespräsidenten chancenlos. Warum tun Sie sich das an?
Christoph Butterwegge: Nicht nur ein Bundespräsident kann öffentlich wirken und auf bestimmte Probleme in der Gesellschaft hinweisen, sondern auch ein Kandidat für dieses Amt. Ich begleite als Forscher seit Jahrzehnten bestimmte Entwicklungen – etwa den Rechtspopulismus, die vermehrte Fluchtmigration sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich – und schöpfe nun daraus, um für solche Probleme und Prozesse zu sensibilisieren oder die Menschen aufzurütteln.
Was würde Sie zu einem guten Bundespräsidenten machen?
Die Fähigkeit, gesellschaftliche Entwicklungen zu erkennen und darauf zu reagieren, besonders was soziale Benachteiligung angeht. Ich würde mir außerdem wünschen, dass ich die Menschen dazu motivieren kann, sich wieder mehr politisch zu engagieren. Viele haben das Gefühl, dass ihre Interessen von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten werden, womit sie ja keineswegs unrecht haben. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, ist, mehr außerparlamentarischen Druck zu machen – ob durch Demonstrationen und Kundgebungen, Arbeitslosenforen oder Bürgerinitiativen. Demokratie ist mehr, als alle paar Jahre zur Wahl zu gehen. Demokratie heißt, dass alle Menschen, die in einem Land leben, über dessen Zukunft mitentscheiden.
Sind Sie ein besserer Kandidat als Frank-Walter Steinmeier, der das politische Establishment repräsentiert?
Steinmeier hat mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen neoliberale Reformen angeschoben. Ich war immer ein Gegner dieser Politik, durch die Deutschland nicht eben gerechter, humaner oder demokratischer geworden ist. 2005 bin ich genau deshalb aus der SPD ausgetreten und seitdem parteilos. Denn die Grundüberzeugungen der SPD vertrete ich immer noch: mehr soziale Gerechtigkeit, Umverteilung von oben nach unten, die Macht des großen Kapitals beschränken. Eigentlich habe ich mich nicht von der SPD abgewandt, sondern sie hat ihre Ideale verraten.
Trotzdem könnte man Sie sich gut als Kandidaten für Rot-Rot-Grün vorstellen …
Ich fühle mich zwar als ideeller Gesamtlinker, erinnere SozialdemokratInnen und Grüne jedoch an ein dunkles Kapitel ihrer Geschichte, was sie lieber mir anlasten, als nötige Selbstkritik zu üben und Konsequenzen zu ziehen.
geboren 1951, erforscht seit Jahrzehnten wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Bis 2016 lehrte der Politikwissenschaftler als Professor an der Universität Köln. Von 1970 bis 1975 und von 1987 bis 2005 Mitglied der SPD, kandidierte er als Parteiloser 2017 auf Vorschlag der Linkspartei für das Amt des Bundespräsidenten. Butterwegge hat zwei kleine Kinder und lebt mit seiner Familie in Köln. Gerade ist sein neuestes Buch „Ungleichheit in der Klassengesellschaft“ im PapyRossa Verlag erschienen.
Mal ganz präsidial: Wie geht es den Deutschen gerade?
Die Kanzlerin sagt, Deutschland geht es gut, was mir oberflächlich und undifferenziert erscheint. Es gibt natürlich Deutsche, denen es sehr, sehr gut geht. Man muss nur mal über die Autobahn fahren und schauen, wie viele dicke Limousinen man da sieht. Auf der anderen Seite gibt es einen breiten Niedriglohnsektor, das Haupteinfallstor für jetzige Erwerbs- und spätere Altersarmut. Wie sollen Multijobber genügend Rentenanwartschaften erwerben, wenn sie morgens Zeitungen austragen, mittags in einem Schnellrestaurant arbeiten und abends vielleicht noch Pizza ausfahren, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen? Aber niedrige Löhne bedeuten hohe Gewinne, und diejenigen, die als Kapitaleigentümer und Unternehmer von billigen Arbeitskräften profitieren, denen geht es sogar mehr als gut, zumindest finanziell.
Das Problem ist nicht nur die Armut, sondern vor allem die Spaltung der Gesellschaft?
Ja, die wachsende soziale Ungleichheit. Armut und Reichtum hängen zusammen: Wenn in der Finanzkrise mehr Menschen ihr Girokonto überziehen und hohe Dispozinsen zahlen müssen, werden diejenigen, denen die Banken gehören, noch reicher. Und wenn mehr Familien wegen wirtschaftlicher Probleme beim Lebensmitteldiscounter kaufen, dann werden die Eigentümer solcher Ketten wie Aldi und Lidl natürlich noch reicher. Das zu vermitteln wäre mir sehr wichtig: Man muss den Reichtum antasten, wenn man die Armut wirksam bekämpfen will.
Wie?
Ungleichheit ist in einer kapitalistischen Gesellschaft, wo sich die Produktionsmittel in den Händen privater Eigentümer befinden und die große Bevölkerungsmehrheit ihre Arbeitskraft verkaufen muss, strukturell angelegt. Ich sehe vor allem drei Prozesse, die eine Verschärfung der Lage bewirkt haben: die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Demontage des Sozialstaates und ein ungerechtes Steuersystem.
Diese Bereiche müssten reformiert werden?
Ja, die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Liberalisierung der Leiharbeit und die Erleichterung von Werk- und Honorarverträgen müssen rückgängig gemacht, ein Großteil der Mini- und Midijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse überführt werden. Der Mindestlohn ist viel zu niedrig, um vor Armut zu schützen. Zudem brauchen wir eine Steuerreform, die besonders finanzkräftige Teile der Gesellschaft stärker in die Pflicht nimmt.
Was wäre da wichtig?
Vor allem eine Wiedererhebung der Vermögensteuer – wohlgemerkt: sie steht noch im Grundgesetz – nicht bloß für Superreiche, aber mit hohen Freibeträgen, damit die Mittelschicht nicht sofort meint, sie würde erfasst. Außerdem eine Erbschaftsteuer, die verhindert, dass man einen ganzen Konzern erben kann, ohne einen einzigen Cent zu zahlen. Die Kapitalertragsteuer muss wieder an den persönlichen Einkommensteuersatz gekoppelt werden. Ohne Umverteilung von oben nach unten kann man den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht gewährleisten.
Klingt nach derzeitigem Stand ziemlich utopisch.
Natürlich kann man nicht alles durchsetzen. Aber es sind richtige Forderungen, wenn man den Staat befähigen will, seine drängendsten Aufgaben zu erfüllen. Wenn ich mir die marode Infrastruktur ansehe, die Situation der Kindergärten und Schulen, die Defizite in Kultur oder Pflege, dann bin ich mir sicher, dass man dafür vielGeld in die Hand nehmen muss. Zwar ist die Situation noch nicht ganz so schlimm wie in denUSA …
… wo gerade Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde …
… was Ausdruck davon ist, dass viele Menschen unzufrieden mit der Gesellschaftsentwicklung sind und Angst vor dem sozialen Abstieg haben.
Sehen Sie dort ähnliche Mechanismen wie in Deutschland?
Vieles ist sicher ähnlich, zum Beispiel die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich. Auch, dass der Unmut sich dann in Richtung rechtspopulistischer Parolen bewegt, dort personifiziert durch Trump, bei uns eher von der AfD oder Pegida repräsentiert.
Trump wurde nicht nur von Prekarisierten gewählt, sondern auch von sehr gut situierten WählerInnen …
Das ist richtig. Ich halte auch nichts von dem Bild, dass der weiße, schlecht qualifizierte Arbeiter, die Konkurrenz der Migranten fürchtend, zu Trump geflüchtet hat. Das ist ein Teil seiner Klientel, aber es gibt eben auch bei besser Gebildeten und Wohlhabenden rassistische und sexistische Ressentiments, die Trump bedient hat. Ich glaube aber, dass er mit seinen Forderungen etwa nach einem großen Infrastrukturprogramm und dem Ausbau der Kindertagesbetreuung an legitime Bedürfnisse von AmerikanerInnen angeknüpft hat. Das ging im Trump-Bashing bei uns völlig verloren.
Trotzdem: Woher kommt es, dass diese Ressentiments auf einen so fruchtbaren Boden fallen? Das ist hier ja nicht anders.
Vor allem in den sozialen Medien herrscht ja zum Teil richtiger Hass. Wenn sich eine Gesellschaft tiefer spaltet, dann führt das auch zu politischen Verwerfungen, zu einer Repräsentationskrise. Sozial Benachteiligte gehen weniger zur Wahl und manche Angehörige der Mittelschicht, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben, folgen rechtspopulistischen Demagogen.
Nicht alle Nazis sind sozial benachteiligt.
Nein, ich behaupte auch nicht, dass Rechtsextremismus nur ein soziales Problem sei. Ich erkläre ihn auf drei Ebenen: Erstens lässt sich die ethnische Differenz zwischen Einheimischen und MigrantInnen leichter rassistisch aufladen, wenn die Konkurrenz zunimmt, was seit der letzten Finanzkrise der Fall ist. Zweitens ist es eine Frage des sozialen Klimas: Wie werden Krisenverlierer von der Gesellschaft behandelt? Bei uns werden sie seit Hartz IV als Sozialschmarotzer verteufelt. Dadurch ist unsere Gesellschaft unfriedlicher geworden.
Und die dritte Ebene?
Das ist die der politischen Kultur: Welche Traditionslinien des Bewusstseins sind in einer Gesellschaft vorhanden? Wenn Rassismus, Nationalismus oder Sozialdarwinismus historisch betrachtet stark verwurzelt sind, können Vorurteile und Ressentiments eher aktiviert werden. Das gilt in der amerikanischen Gesellschaft für die weiße Dominanzkultur, in der hiesigen für den Deutschnationalismus. Durch die Erfahrung der Niederlage des Faschismus und auch durch 68 ist diese Tradition zwar gebrochen worden. Aber der Überlegenheitsdünkel, „wir“ seien ein besonders fleißiges und tüchtiges Volk, besteht fort, und sei es als Standortnationalismus. Bei der AfD ist das ein Wiederaufleben völkischen Denkens in neuem Gewand.
Wie würden Sie dem als Bundespräsident begegnen?
Ich würde kein Verständnis für rassistische Positionen zeigen und keine Vertreter von Pegida oder der AfD ins Schloss Bellevue einladen, sondern klare Kante zeigen. Bei solchen Grundwerten wie der Würde des Menschen, Respekt gegenüber Minderheiten oder dem Grundrecht auf Asyl darf man nicht mit sich reden lassen. Denen, die von rechts Stimmung machen, muss klargemacht werden, dass sie die Verfassung verletzen, und ein Bundespräsident hat diese zu schützen.
Wie macht man das am besten klar?
Wir brauchen ein breites Bündnis, das von links bis in die bürgerliche Mitte reicht und alle Kräfte vereint, die die Demokratie bewahren und schützen wollen. Man muss in der parlamentarischen Auseinandersetzung mit der AfD zeigen, dass alle Parteien als Verteidiger der Demokratie und der Verfassung gegen diese rechtspopulistische Gruppierung stehen. Das erreicht man aber leider nicht, wenn man wie die CSU in Asylfragen selbst auf die rechtspopulistische Schiene setzt. So betreibt man nur das Geschäft der AfD.
Letzte Frage: Ist das Amt des Bundespräsidenten denn überhaupt noch wichtig? Oder sollte man es nicht viel eher abschaffen und das Jahresgehalt spenden?
Wenn eine Person dieses Amt bekleidet – ich wünsche mir übrigens, dass es möglichst bald eine Frau wird –, die die etablierten Parteien auf die sozialen Nöte vieler Menschen aufmerksam macht, hat sie eine wichtige Funktion. Ich täte mich deshalb schwer damit, das Amt abzuschaffen, so toll die Idee wäre, Sozialwohnungen im Schloss Bellevue unterzubringen.
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