piwik no script img

Kanada hält an Ceta festUnabhängiger vom US-Markt werden

Die EU ist zerstritten, doch Kanada hofft trotz Frust noch immer auf einen Abschluss des Ceta-Abkommens. Warum nur?

Unterschriftsbereit: Kanadas Handelsministerin Chrystia Freeland im Parlament in Ottawa Foto: reuters

Vancouver taz | Trotz der anhaltenden politischen Hängepartie will die kanadische Regierung die Hoffnung nicht aufgeben, dass der umstrittene Freihandelspakt Ceta doch noch unterschrieben werden kann. „Wir sind bereit, zur Unterzeichnung nach Europa zu kommen. Der Ball liegt jetzt im Feld der Europäer“, sagte die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland am Dienstag in Ottawa.

Freeland hatte vergangene Woche zwischenzeitlich die Verhandlungen mit der EU und der belgischen Region Wallonien frustriert abgebrochen und ließ offen, ob sie noch damit rechnet, diese Woche mit Premierminister Justin Trudeau nach Brüssel zur feierlichen Unterzeichnung reisen zu können. Offiziell abgesagt wurde der EU-Kanada-Gipfel bislang noch nicht – wohl um weiterhin Druck auf die Verhandler ausüben zu können.

Die Kanadier machen für die Blockade vor allem die Krise in der EU und Belgien verantwortlich – und der Frust sitzt tief. Zu lange hatte man an die Beschwichtigungen der EU-Kommission geglaubt. Dennoch wollen die Kanadier Ceta nicht endgültig aufgeben. Ceta sei ein „fortschrittliches Abkommen“, das man bereits mehrmals auf Wunsch der EU nachgebessert habe, betonte Freeland.

Nach Berichten kanadischer Medien war Kanada der Regierung Walloniens vergangene Woche in der Frage der Schiedsgerichte zwischen Konzernen und dem Staat entgegengekommen. In einer rechtsverbindlichen Erklärung sollte klargestellt werden, dass nur unabhängige Fachleute in die Tribunale entsandt werden dürfen und nicht wirtschaftsnahe Experten. Doch den Wallonen ging das Zugeständnis offenbar nicht weit genug und die Frage der Schiedsgerichte ist weiter umstritten.

Die jüngsten Kompromissangebote Kanadas unterstreichen, welche große strategische Bedeutung Kanada Ceta beimisst. Die Regierung will der kanadischen Wirtschaft den Zugang zu einem Markt mit 500 Millionen Konsumenten erleichtern und hofft auf rund 18.000 neue Jobs. Nach Schätzungen der EU soll der rund 80 Milliarden Euro starke bilaterale Handel durch Ceta um fast ein Viertel steigen.

Der Ball liegt jetzt im Feld der Europäer

Ministerin Chrystia Freeland

Mehrmals telefonierte Trudeau in den vergangenen Tagen daher mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, um den Vertrag zu retten. Trudeau will sein Land wirtschaftlich unabhängiger von den Vereinigten Staaten machen, und Ceta wäre dafür der ideale Hebel. Kanada liefert derzeit drei Viertel seiner Exportprodukte in die USA, und in Kanada ist man besorgt über die wachsenden protektionistischen Tendenzen in den Vereinigten Staaten.

Zumal sich in den USA beide Präsidentschaftskandidaten gegen die Transpazifische Partnerschaft TPP ausgesprochen haben, einen Handelsvertrag von zwölf pazifischen Ländern, den Kanada unterstützt. Donald Trump will im Fall seines Wahlsieges das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta mit Kanada und Mexiko aufkündigen oder zumindest neu verhandeln.

Daher treiben die Kanadier neben Ceta weitere Handelsverträge voran – und hoffen, damit indirekt auch die Europäer unter Druck setzen zu können. Ein neuer Vertrag mit Südkorea ist seit 2015 in Kraft. Mit der Ukraine wurden entsprechende Gespräche kürzlich erfolgreich beendet, und die Ratifizierung des Pakts steht jetzt bevor. Mit Japan, Singapur und Indien laufen ebenfalls Gespräche, wenn auch noch in frühem Stadium.

Nicht ganz zufällig erwähnte Handelsministerin Freeland im Zusammenhang mit Ceta auch, dass Kanada kürzlich mit China erste Sondierungen über ein Handelsabkommen begonnen habe. Auch werden in Kanada die Stimmen lauter, die angesichts von Brexit und der schwankenden EU einen eigenständigen Vertrag mit Großbritannien befürworten – dem bislang wichtigsten Handelspartner Kanadas innerhalb der EU. Es wäre eine Art kleines Ceta, eine Art Trostpreis, falls es mit der EU doch nicht mehr klappen sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Einige Kollegen und ich haben uns den Text von CETA, soweit möglich, von einem pensionierten Wirtschaftsanwalt zerpflücken lassen.

    Dieser Mann wurde richtig Sauer, als er sich damit auseinander gesetzt hatte.

    Wie in diesem " Wisch" mit den Rechten der EU - Bürger geschachert wird ist erniedrigend, da es ja von Politikern ausgehandelt wurde, die von der Allgemeinheit gewählt wurden. Er ist der festen Ansicht, dass in diesem Vertrag ausschließlich Interessen der Wirtschaft und des Handels verfolgt werden.

    Nach seiner Persönlichen Überzeugung steckt hinter diesem Vertrag auch, das amerikanische Interessen über NAFTA auf CETA über Kanada übertragen werden sollen. Aus Erfahrung weis er, das es für viele amerikanische Tochterfirmen in Kanada von großer Tragweite sei vor dem Abschluss von TTIP schon in Europa handlungsfähig sein zu können!

    Sind das vielleicht die Gründe warum Kanada unbedingt weiter verhandeln will, sitzen denen die Amis im Nacken?

  • Warum nur? Ist doch mehr als offensichtlich: weil Kanada respektive US-Unternehmen usw. massive Vorteile von CETA (und TTIP) hätten. Deswegen betteln, drohen, schimpfen und zetern die solange es geht.

    Die Wallonen haben Europa gerettet, so einfach ist das.

  • Warum nur hofft die Wirtschaftslobby Kanadas und Europas (eben nicht Kanada und auch nicht Europa) auf einen Abschluss?

     

    Weil der Preis ganz heiß ist. Weil sie die neoliberale Ära (ihre Ära), die ihren Zenit eigentlich überschritten hat, doch noch erweitern könnten, indem sie einige Staaten so sturmreif schießen, dass das Kräfteverhältnis zwischen Konzernen und Staaten massiv zugunsten der Konzerne verschoben würde. Dafür lohnt es sich allemal, jahrelang geheim zu verhandeln und alle staatlichen Kräfte plus die Medien vor den Karren zu spannen. Und da in der Vergangenheit ein einzelnes "Abkommen" wie MAI oder ACTA eine zu einfache Zielscheibe war, weil man eben doch nicht die gesamte Bevölkerung manipulieren und belügen kann, werden 3 Angriffe parallel gefahren, TTIP, CETA und TISA, in der Hoffnung, dass irgendwas davon durchkommt.

     

    Frage in die Runde: Was macht ihr denn, wenn ihr ein Problem mit oder wegen einem Konzern habt und der Staat nichts mehr zu melden hat? Zieht ihr dann alleine los, gegen ein Heer von 500 Anwälten? Die reden nicht mal mit euch.

  • Auch ich war schon fast so weit, bei gänzlichem Verzicht auf die Sondergerichtsbarkeit und die "Allmacht" des "Gemischten CETA-Ausschussses" eine Lösung in greifbarer Nähe zu sehen - hätte ich nicht im heute-journal des ZDF zu meiner Überraschung vom belgischen Außenminister erfahren, dass es bei den Verhandlungen mit den Wallonen u.a. "um die Einfuhr von Hormonfleisch" geht.

     

    WIE BITTE??? Wurde uns nicht versprochen, dass in CETA die höchsten Standards zugrundegelegt sind? Und jetzt wird über Hormonfleisch, m.W. bislang in der EU verboten, VERHANDELT?

     

    Da muss dann wohl irgendjemand dreist gelogen haben. Und zum Bereich "landwirtschaftliche Produkte" ist ohnehin anzumerken, dass sie m.W. in Kanada wie in der EU im Überfluss produziert werden. Die behauptete Hoffnung auf Zuwachs beim Absatz ist also nicht logisch begründbar, es sei denn, man geht davon aus, dass eine Seite die andere preislich unterbieten kann. Genau das ist wohl die Sorge der Wallonen: Kanada produziert "nordamerikanisch", nämlich auf riesigen Flächen und mit "wissenschaftlicher" Unterstützung, nämlich Wachstumshormonen und Genmanipulation, und hat damit unfaire Kostenvorteile zu Lasten von Gesundheits- und Umweltrisiken.

     

    Sie haben recht, die Wallonen.

  • Es wäre doch ganz einfach. Ersatzloser Verzicht auf Sondergerichte und die "Entwicklungskommission". Dann ist es wieder ein Handelsabkommen und kann morgen unterschrieben werden.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wäre sehr schön, wenn das mit den Schiedsgerichten schon alles wäre.

      Ein Beispiel aus ihrem Umfeld.

      Stellen sich vor Sie bekommen z.Z. Ihr Wasser von einer öffentlich - rechtlichen Institution und haben mit der Lieferung oder der Rechnung ein Problem, sie gehen zu Ihrem Wasserverband oder wie es sich in Ihrer Region nennt und können die Probleme nach deutschem Recht klären.

      Die Versorgungshoheit soll nun aber aufgehoben werden, CETA sieht das vor, damit ausländische Firmen nicht vom Wettbewerb ausgeschlossen sind. Nun verfolgen diese Firmen, mal Angenommen einen anderen Standard z.B. Zuleitungen, Hygiene und Wartung. Sollte bei Ihnen nun aber eine dreckige Brühe aus dem Hahn laufen, kann die Firma sich auf eine Gewinneinschränkung berufen, sollte sie gezwungen werden sich an unsere Standards zu halten.

      Dies ist in allerlei anderen für uns wichtigen Belangen möglich, Strom, Telefon, Post usw.! Hier besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Verschlechterung unseres Lebens.

      Entschuldigung ist ein wenig Naiv ausgefallene Erklärung, bin sehr Ärgerlich über unsere Politiker, weil wir verschachert werden sollen!

  • Dass natürlich auch Kanada ganz eigene Interessen an einem Handelsabkommen mit der EU hat - und nicht nur "Türöffner" für die USA und TTIP ist -, ist mir schon klar.

     

    Vor diesem Hintergrund wird meiner Meinung nach die Vorgehensweise noch fragwürdiger: Kanada wird doch sicher vor Beginn der CETA-Gespräche analysiert haben, wer da auf der Gegenseite sitzt und wie politische Prozesse bisher in EU-Europa verlaufen sind.

     

    Das heisst, sie müssten eigentlich gewusst haben, dass die EU kein widerspruchsfreier Block ist, in dem die Mitglieder nur abnicken, was die EU-Kommission als Ergebnis von Verhandlungen präsentiert. Und es dürfte Kanada nicht verborgen geblieben sein, in welch' problematischen Zustand ("Fliehkräfte" und Widerstände im System) sich die EU seit einiger Zeit (aktuelle Stichworte sind "Griechenland-Hilfe", "Flüchtlingspolitik" und "Brexit") befindet.

     

    Umso erstaunlicher ist doch, dass sich Kanada auf die Vorgehensweise der EU-Kommission eingelassen hat. (Es würde mich nicht wundern, wenn sich nun auch noch herausstellen würde, dass der Aspekt "Vertraulichkeit und Verschwiegenheit" bezüglich der CETA-Verhandlungen, zumindest in dieser extremen Form, gar kein kanadisches Anliegen gewesen wäre.)

     

    Ich hoffe, dass die Wallonie sich nicht einschüchtern lässt, sondern erfolgreich weiter arbeitet und kämpft!