Kampnagel-Webserie „The Justice Project“: Rassismus auf der Anklagebank
Vorwürfe mal in die andere Richtung: In der Kampnagel-Webserie „The Justice Project“ halten schwarze Geflüchtete über weiße Richter Gericht.
Ein Schwarzer Angeklagter sieht sich in einem deutschen Gericht weißen Männern gegenüber, die über ihn richten werden. Eine Erfahrung, die viele junge Migrant*innen aus Afrika in Deutschland gemacht haben – oft mit Anklagepunkten, für die Deutschen nie der Prozess gemacht worden wäre.
Der Besitz von zwei Gramm Marihuana etwa, für den Nasir Jones aus Gambia in einem riesigen Gerichtssaal drei weißen Männern gegenübersitzt, an deren Mienen sofort zu erkennen ist, dass er von ihnen keine Milde und wohl auch kaum Gerechtigkeit erwarten kann. Aber mitten in der Anklagebegründung fährt (als billiger digitaler Effekt) ein Blitz ins deutsche Gericht, und plötzlich ist der Angeklagte zum Ankläger geworden. Richter, Staatsanwalt und Zeugen (Frauen spielen hier vor der Kamera keine Rolle) sind nun schwarzhäutig und gerichtet wird über den weißen Richter.
Durch eine einfache Umkehrung werden hier die Verhältnisse zum Tanzen gebracht. Diese dialektische Methode hat das Hamburger Künstlerkollektiv mit dem passenden Titel „New Media Socialism“ in seiner dreiteiligen Webserie „The Justice Project“ angewendet. Sie selbst nennen es eine „kollektive Halluzination über Gerechtigkeit und Recht“. Wunschfantasie ist wohl auch eine passende Bezeichnung.
Dem weißen Richter werden stellvertretend für den deutschen Rechtsstaat strukturelle Diskriminierung und Rassismus vorgeworfen, und eine Reihe von Zeugen schildern ihre Erfahrungen in Deutschland, um diese Anklagepunkte zu belegen. Hier erzählen die Darsteller nun von ihren eigenen Erfahrungen in Deutschland.
„The Justice Project“: Die dreiteilige, knapp 50 Minuten lange Webserie ist auf Youtube zu sehen, die Links gibt es auf hier.
Der bisexuelle Künstler DJ Waxs spielt etwa Mr. Oulus, der in Nigeria verfolgt wurde und nach Deutschland floh, dort aber nicht als politisch Verfolgter anerkannt wird, weil er sich bei den ersten Gesprächen nicht gleich geoutet hatte. Ein zweiter Zeuge schildert, wie er zusammen mit zwei anderen Afrikanern in einem kleinen Wohncontainer wohnen und von 150 Euro im Monat leben muss. Ein Dritter erzählt von den vielen Schwarzen, die in Deutschland in der Haft unter ungeklärten Bedingungen zu Tode gekommen sind.
Hier wird offensichtlich nicht halluziniert. Stattdessen schildern die Zeugen glaubwürdig und mit erschütternden Details ihre eigenen Erfahrungen in Deutschland. Vor diesen drei Sequenzen verlässt der Film auch kurz das karge Setting des Gerichtssaals (gedreht wurde im Markk – Museum am Rothenbaum), und kurze dokumentarische Porträts stellen die Protagonisten vor.
Nach der Beweisaufnahme und den Plädoyers folgt dann das Urteil, und hier hat sich der einzige Witz der Serie eingeschlichen: Die Strafe für den alles andere als einsichtigen Angeklagten besteht darin, dass er sich alle Folgen der TV-Serie „Roots“ ansehen muss.
Als filmische Arbeit ist „The Justice Project“ eher grob geschnitzt. Doch das Kollektiv hat auch kaum künstlerische Ambitionen. Wichtiger ist es, dass hier eine Gegenöffentlichkeit geschaffen wird und auch jene einmal gehört werden, über die sonst ständig gerichtet wird.
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