Kampfsportler über Politik und MMA: „Spiel um körperliche Dominanz“
„Mixed Martial Arts“ (MMA) sei nicht brutaler als Boxen, sagt Kampfsportler Jesse-Björn Buckler. Neonazis in der Szene will er nicht hinnehmen.
taz: Herr Buckler, ist Mixed Martial Arts (MMA) noch ein Nischensport?
Jesse-Björn Buckler: Abgesehen vom Boxen führt jeder Vollkontakt-Kampsport in Deutschland ein Nischendasein. Fast jeder kennt den Boxer Henry Maske, kaum einer könnte einen MMA-Kämpfer nennen.
MMA war lange als regellose Schlägerei im Käfig oder als „Blut-Boxen“ verrufen. Mittlerweile darf der Sport im Fernsehen laufen. Warum begeistern sich mehr Leute dafür?
Ich denke, unsere Gesellschaft ist heimlich ins Kämpfen verliebt. Wir finden es einfach spannend, wenn Menschen gegeneinander kämpfen. Und in den letzten Jahren ist Kampfsport allgemein populärer geworden, weil der Sport weit genug raus aus der „Brutalo-Ecke“ ist. Der Profi-Kampfsport, egal ob Boxen, Kickboxen oder MMA, bedient diese Verliebtheit und macht daraus ein Geschäft.
Aber MMA ist mehr als eine professionalisierte Schlägerei?
Ja. Ein Problem ist, dass MMA mit dem harten Image spielt. MMA behauptet, besonders nah an echten Kämpfen zu sein. Die Ultimate Fighting Championship (UFC), die bedeutendste MMA-Organisation, hat sogar zeitweise mit dem Slogan „As Real As It Gets“ geworben und ganz bewusst mit der Nähe zur echten Gewalt kokettiert.
Wie sehen Sie das?
Ich bestehe auf dem Unterschied zwischen Sport und Gewalt. Gewalt ist etwas, was mir aufgezwungen wird, dem ich mich nicht entziehen kann, das mich verletzt und entwürdigt. Kampfsport hat zweifellos gewalttätige Komponenten, aber selbst ein verbissener Kampf im Ring oder Cage ist etwas anderes als eine Schlägerei auf der Straße. Im Kampfsport treffen sich zwei Freiwillige nach monatelanger körperlicher und mentaler Vorbereitung zum zuweilen annehmbar bezahlten Wettkampf.
Jesse-Björn Buckler, 43, ist MMA- und Muay Thai-Kämpfer und Trainer in Berlin. Er gehört zu den Pionieren der Mixed Martial Arts (MMA) in Deutschland und ist einer der ältesten aktiven Wettkämpfer.
Gleichzeitig geht es oft brutaler zu als beim Boxen.
Ja, manchmal geht es recht ruppig zu. MMA ist ein Vollkontakt-Kampfsport. Kämpfe enden wie im Boxen oft mit einem K.o., und hin und wieder fließt Blut – wie beim Boxen auch. Ich habe geboxt, MMA-, K1-Kickboxen und im Muay Thai-gekämpft. Tut alles weh, aber ich habe dabei meine MMA-Kämpfe nicht als brutaler oder härter erlebt. Übrigens ist das moderne MMA detaillierter reglementiert als das Thaiboxen oder Boxen.
MMA ist in Deutschland auch wegen der Teilnahme von Neonazis in Verruf gekommen. Mittlerweile organisieren Neonazis sogar eigene Kampfsport-Turniere.
Dass sich Nazis für Kampfsport begeistern, ist keine neue Entwicklung. Das primäre Problem ist nicht, das sich Neonazis durch Kampfsport zu effektiven Schlägern entwickeln, sondern dass sie eigene Erlebnisräume schaffen. Kampfsport wird zum Teil einer rechten Alltagskultur. Dass Nazis jetzt verstärkt eigene Kampfsportveranstaltungen organisieren, ist eine Reaktion darauf, dass es für bekannte Nazis in den vergangenen Jahren schwieriger geworden ist, bei professionellen Veranstaltungen anzutreten. Es ist ein Zurückweichen in die eigene Nische, weil sie Gegenwind bekommen haben.
"Mixed Martial Arts" (MMA), also „Gemischte Kampfkünste“, ist ein Sport, bei dem sich Athleten im Stehen und am Boden mit Techniken aus dem Thai-Boxen, Ringen, Judo oder aus dem Brasilian Jui-Jitsu messen.
Erlaubt sind Schläge und Tritte, aber auch Würfe, sowie Würge- und Hebeltechniken.
Das Regelwerk ist umfassender als etwa beim Boxen, um ernste Verletzungen zu verhindern. Üblicher als im Boxen ist bei MMA-Kämpfen ein Sieg durch Aufgabe des Gegners.
Statt in einem Ring wird in einem achteckigen Käfig gekämpft – vor allem, damit die Athleten nicht herausfallen.
Die Fernsehausstrahlung war in Deutschland von 2010 bis 2014 verboten: Die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien hielt die „Massivität der gezeigten Gewalt für nicht akzeptabel“ – vor allem das „Einschlagen auf einen am Boden liegenden Gegner“.
Am 19. Oktober findet in der Hamburger Barclaycardarena der nächste Wettkampf des deutschen Veranstalters „We love MMA“ statt.
Ist der Sport ein Ort der politischen Auseinandersetzung?
Ich mag es nicht, wenn der Sport politisch instrumentalisiert wird. Ich beharre aber auf ein paar Selbstverständlichkeiten. Dazu gehört das entschiedene Zurückweisen von rassistischem, sexistischem, heterosexistischem und anderem Gedankengut, das die fundamentale Gleichwertigkeit aller Menschen verneint.
Sie haben aus ihrer antifaschistischen Überzeugung nie ein Geheimnis gemacht. Ist Ihnen das beim MMA schon mal auf die Füße gefallen?
Freunde habe ich mir damit nicht gemacht. Und mittlerweile kämpfen wieder Leute mit tätowierten Rudolf-Heß-Zitaten auf den größten Galas. Den meisten Leuten ist das einfach egal. Nichts dazu zu sagen ist aber auch eine Positionierung. Also sag ich etwas.
Wie wird mit Kämpfern mit Neonazi-Tattoos umgegangen?
Sehr unterschiedlich. Bei vernünftigen Veranstaltern dürfen Nazis nicht antreten. Andere wollen, dass sie verbotene Symbole nur abkleben.
Warum ziehen MMA-Veranstaltungen gerade im Osten ein so einschlägiges Publik an?
Grundsätzlich ist Kampfsport besonders attraktiv für Menschen, in deren Leben und Alltag körperliches Durchsetzungsvermögen eine wichtige Rolle spielt. Also beispielsweise Polizeibeamte, Türsteher und Personenschützer. Das gilt aber auch für Menschen in kriminellen Milieus. Rotlicht-Rocker, Hooligans oder Nazischläger müssen sich körperlich durchsetzen können – oder zumindest so wirken. Sonst funktioniert das ja alles nicht. Die Fähigkeit zur direkten Gewaltausübung ist daher auch ein essenzieller Bestandteil der Identität dieser Leute. Ein gemeinsames Merkmal der aufgezählten Gruppen ist die Männerbündigkeit.
Ist Kampfsport also eine „Macker-Sache“?
Kampfsport an sich nicht. Das Problem ist die Selbstinszenierung, die es zur „Macker-Sache“ macht und Anknüpfungspunkte für reaktionäre Weltbilder schafft. Kampfsport ist ein Spiel um körperliche Dominanz. Die Zurschaustellung dieser Fähigkeit ist gesellschaftlich stark männlich konnotiert.
Wie lässt sich das ändern?
Ich hoffe durch Perspektivwechsel. Zum Kampfsport gehört für mich die Erkenntnis, dass Kämpfe auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Sich im Ring beim Thaiboxen oder im Cage beim MMA auszutesten, ist nur eine davon. Kampfsport heißt für mich, über den eigenen Schatten zu springen, sich neuen Herausforderungen zu stellen und einen anderen Zugang zum Kämpfen zu finden. Also die Frage zu diskutieren, ob Vollkontaktsport in einem grundsätzlichen Widerspruch zu einer emanzipatorischen Praxis steht – oder sogar Teil einer persönlichen und kollektiven Empowerment-Strategie sein kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen