Mixed Martial Arts in Berlin: Starke Polinnen, kämpfende Kurden

Zum ersten Mal wird in Deutschland ein Titelkampf der Ulimate Fighting Championship ausgetragen. Das deutsche TV-Publikum bleibt außen vor.

Titelträgerin Joanna Jedrzejczyk

Titelträgerin Joanna Jedrzejczyk kam vom Thaiboxen zum MMA. Foto: Dorian Szücs/GNP1.de

BERLIN taz | Eigentlich hätte der kommende Samstag ein großer Tag für die „Ultimate Fighting Championship“ in Deutschland sein sollen. Der weltgrößte Veranstalter von MMA-Kämpfen (Mixed Martial Arts) hatte gehofft, an diesem Tag erstmals seit fast fünf Jahren wieder im deutschen Fernsehen zu sehen zu sein: Der Kampfabend aus der riesigen Mehrzweckhalle am Berliner Ostbahnhof sollte live in die deutschen Wohnzimmer übertragen werden. Doch daraus wurde nichts, wieder einmal.

Zwar hatte ein Gericht die Entscheidung der Bayerischen Landesanstalt für Neue Medien von 2010 verworfen, dem damaligen Deutschen Sportfernsehen DSF die Übertragung von UFC-Formaten als gewaltverherrlichend und jugendgefährdend zu verbieten.

Aber der Fernsehdeal mit Maxdome, der Bezahlsparte der Pro7/Sat.1-Gruppe, kam dann doch nicht schnell genug zustande. Wer am Samstag nicht in der Halle ist, kann die Veranstaltung nach wie vor nur über den Fight Pass der UFC, den Streaming-Dienst der Organisation, verfolgen.

Dabei hatte sich alles so gut angelassen. Schon im vergangenen Jahr hatte die UFC die Rückkehr nach Berlin angekündigt. Und der zunächst annoncierte Hauptkampf war ein Leckerbissen für Fans: Der schwedische Superstar im Halbschwergewicht Alexander Gustafsson sollte gegen den Brasilianer Glover Teixeira antreten.

Frauenkampf ersetzt das Halbschwergewicht

Das hätte ein paar hundert Schweden nach Berlin gezogen, die ihren Alex immer noch heiß und innig lieben, obwohl der im Januar in Stockholm bei einer Titelkampfausscheidung krachend verloren hatte. Doch vor ein paar Wochen kam das Aus für diesen Kampf: Gustaffson hatte sich im Training verletzt.

Die UFC entschied sich zu einem spektakulären Schritt: Als Ersatz setzte sie einen Titelkampf an, den ersten auf dem europäischen Festland überhaupt – allerdings im nicht besonders populären Strohgewicht der Frauen (bis 52 Kilo). Gerade erst im März hatte die 27-jährige polnische Kämpferin Joanna Jędrzejczyk im texanischen Dallas überraschend den Titel geholt: In der zweiten Runde gewann sie durch K. o. gegen die Titelverteidigerin, die US-Amerikanerin Carla Esparza.

Jetzt wird Jędrzejczyk – deren Namen außerhalb Polens niemand so recht auszusprechen vermag, weshalb die US-Kommentatoren sie in der Regel entweder mit dem Vornamen nennen oder einfach „JJ“ – am Samstag in Berlin ihren Gürtel verteidigen. Ihre Gegnerin: die Veteranin Jessica Penne aus den USA, einstige Titelträgerin von Invicta FC, der weltweit einzigen MMA-Organisation, die ausschließlich Frauenkämpfe veranstaltet.

Ein paar Wochen vor dem Kampf kommt Jędrzejczyk zum Interview nach Berlin, genießt die Sonne im Garten des taz-Cafés – und niemand, der die zierliche Frau mit dem sympathischen Lächeln im Gespräch sieht, kann sich vorstellen, welche Kampfkraft von ihr ausgeht.

Mit Kampfsport angefangen, um ein bisschen abzunehmen

Mit 16 hat sie mit Thaiboxen angefangen, eigentlich nur, um mal was für die Fitness zu tun und ein bisschen abzunehmen. Aber sie hing sofort am Haken. Schon nach sechs Monaten bestritt sie ihren ersten Wettkampf und gewann. Ihr Vater wollte von einer Kampfsportkarriere seiner Tochter nichts wissen, versprach ihr sogar ein Auto, wenn sie damit aufhöre. Doch das kam für sie nicht infrage – dann eben kein Auto.

Ein paar Jahre später war sie Weltmeisterin verschiedener Verbände, hielt auch Titel im Kickboxen, hatte über 60 Kämpfe bestritten und suchte nach neuen Herausforderungen. Schule und Studium hatte sie abgeschlossen: „Ich wollte nicht doof sein – du kannst dich jederzeit irgendwie verletzen, und deine Karriere ist vorbei. Ich wollte eine Alternative haben“, sagt sie.

Vor drei Jahren dann wechselte sie zum MMA – und hat von ihren bislang neun Kämpfen keinen einzigen verloren. Und als sie Erfolg hatte und anfing, mit dem Sport Geld zu verdienen, beruhigte sich auch ihr Vater. Am Samstag wird er in der Halle sitzen, genau wie die ganze Familie.

Hat sie ein Vorbild? „Ich kann ja schlecht sagen, dass ich ein großer Fan von mir selber bin. Aber eigentlich …“ Sie lächelt ein bisschen verlegen. „Ich weiß, dass ich wirklich gut bin.“ Und sie hofft, dass am Samstag die Hälfte der Halle mit polnischen Fans gefüllt sein wird. MMA ist in Polen weitaus populärer als in Deutschland. Selbst regionale Veranstaltungen füllen große Hallen.

Von Gegnern zu Schwagern

Für eine größere Popularität des Sports in Deutschland sollen vor allem die deutschen UFC-Kämpfer sorgen. Und so ist es kein Wunder, dass am Samstag alle vier Deutschen mit UFC-Vertrag in den Käfig steigen werden. Der Mannheimer Dennis Siver wird im zweiten Hauptkampf auf den erfahrenen Japaner Tatsuja Kawajiri treffen. Peter Sobotta aus Balingen trifft auf den Engländer Steven Kennedy.

Und Nick Hein, der längst zum Posterboy der deutschen MMA-Szene geworden ist und inzwischen seinen Job als Bundespolizist zugunsten seiner Sportkarriere aufgegeben hat, trifft auf den ungeschlagenen Polen Łukasz Sajewski.

Hein hatte seinen ersten UFC-Kampf vor einem Jahr in Berlin klar gewonnen. Sein damaliger Gegner, der US-Amerikaner Drew Dober, lernte bei der After-Fight-Party Heins Schwester kennen – inzwischen sind die ehemaligen Gegner nicht nur befreundet, sondern verschwägert.

Seinen zweiten UFC-Kampf Ende letzten Jahres jedoch verlor Hein in Texas nach Punkten . Natürlich will er jetzt wieder gewinnen. Sechs Wochen lang hat sich der ehemalige Judo-Nationalkader im Tiger-Muay-Thai-Gym im thailändischen Phuket auf den Kampf vorbereitet – und traf dort auch Alan Omer aus Stuttgart, der ebenfalls am Samstag im Berliner Oktagon stehen wird, wo er dem britischen Jungstar Arnold Allen gegenübersteht.

Alan Omer: „Kurdisches Blut in den Adern“

Omer hatte sein UFC-Debüt im April vergangenen Jahres in Abu Dhabi verloren, allerdings nach einer unglücklichen Split-Decision der Kampfrichter. Dann folgten Prüfungsstress – Omer machte seinen Bachelor in Maschinenbau – und Verletzungen. Im Januar wollte er in Stockholm antreten, verletzte sich wieder, und machte seinen Master. Jetzt will er seine Karriere wieder in Gang kriegen.

Dabei sind seine Gedanken oft woanders: Omar ist als irakischer Kurde geboren, kam als Kind mit seiner Familie als Flüchtling nach Deutschland. Sein Vater, ein Arzt, ist inzwischen zurück in Erbil, und Omer verfolgt genau, was sich im Irak tut.

Er versucht das zur Motivation zu nutzen. Drei Tage vor dem Kampf schrieb er auf Facebook: „Ich habe kurdisches Blut in meinen Adern, das Blut einiger der mutigsten Männer und Frauen auf dem Planeten, die gegen IS Widerstand leisten und jeden einzelnen Tag für ihre Freiheit kämpfen. Es gibt eine große kurdische Community in Berlin und ich weiß, dass sie alle für mich sein werden. Ich will für sie gewinnen.“

Ob das klappt, sehen die Fans am Samstagabend.

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