Kampf um die Brücke in Pilchowice: Tom Cruise, der Demolition Man
Die Filmbranche will neuerdings nachhaltig agieren. Für „Mission Impossible“ aber soll ein bedeutendes Industriedenkmal gesprengt werden.
Nach wenigen Sekunden geht Tom Cruise in die Luft. Er hält sich an der Außenklappe einer startenden Airbus-Militärmaschine fest, bis diese auf eine Flughöhe von 1.500 Metern steigt und er – angeblich ohne Double – in eine offene Luke des Flugzeugs einsteigt. So geschehen für die Rolle als CIA-Agent „Ethan Hunt“ bei den Dreharbeiten zu „Mission: Impossible – Rogue Nation“, dem fünften Teil der Agententhriller-Fortsetzungsgeschichte, der 2015 in die Kinos kam.
Waghalsige Stunts, teils aufgenommen unter Extrembedingungen, sind Teil der Vermarktungsfolklore der Megafilmproduktion: Nicht nur Cruise trainiert für eine Szene monatelang Fallschirmsprünge aus großer Höhe, auch ein Profi-Fallschirmspringer muss dann lernen, dafür rückwärts zu springen und mit einer Kamera den springenden Cruise im richtigen Moment aufzunehmen.
„Mission: Impossible“, im Verleih der Paramount, ist ehrgeiziges Hollywood-Blockbuster-Kino in Überlänge. Allein „Rogue Nation“ spielte fast 683 Millionen US-Dollar an den Kinokassen ein. Eine satte Gewinnspanne, wenn man sich das Budget ansieht: 150 Millionen US-Dollar. Noch erfolgreicher war „Fallout“ (2018), der sechste und bislang letzte Teil: Er kostete zwar 178 Millionen, spielte dafür aber weltweit fast 800 Millionen US-Dollar ein.
Superstar Cruise und seinen SchauspielkollegInnen, unter anderen Rebecca Ferguson, Simon Pegg und Ving Rhames, beim Ausforschen, Verfolgen und Verkloppen, in immer neuen, haarsträubenden, über alle Kontinente hinweg stattfindenden Abenteuern zuzusehen ist harte Arbeit.
„Mission Impossible“ ist auch ein Tourismusvehikel
Der 58-Jährige, der auch als Produzent fungiert, lässt oft an Originalschauplätzen drehen, Wahrzeichen wie die Wiener Oper, das britische Unterhaus in London und die Altstadt von Agadir dienten schon als Kulisse für Action, und diese stiften auch touristischen Schauwert.
Nun ist Sand im Getriebe, nicht nur weil im Frühjahr in Venedig geplante Dreharbeiten zu den parallel entstehenden Teilen 7 und 8 wegen der Corona-Pandepmie verschoben werden mussten. Zudem wurde bekannt, dass für eine Szene im siebten Teil eine Eisenbahnbrücke in Polen gesprengt werden soll, wogegen sich nun Widerstand regt.
Die 1905/06 erbaute Stahlbrücke in Niederschlesien ist ein bedeutendes Industriedenkmal, eine von weltweit nur wenigen erhaltenen einjochigen Stahlgitterkonstruktionen des 20. Jahrhunderts. Mit einer Breite von 123 Metern ist sie eine der raren europäischen Brückenbauten in Fischbauchträgerkonstruktion.
So genannt, weil die 30 Meter über dem Wasserspiegel hängende Eisenbahnbrücke auf ihrer Unterseite die Bobertalsperre nahe der Ortschaft Pilchowice in einer ovalen Form überspannt.
Wertvolles Zeugnis der Bautechnik des 20. Jahrhunderts
„Es wurden nur wenige Fischbauchträger realisiert, und dieser ist ein wertvolles Zeugnis der Bauwissenschaft und -technik des 20. Jahrhunderts, ein markantes, landschaftsprägendes Monument“, erklärt Stefan M. Holzer der taz. Holzer lehrt Konstruktionsgeschichte am Institut für Denkmalpflege und Bauforschung in Zürich und steht der „Gesellschaft für Bautechnik und Geschichte“ vor.
Wie viele weitere DenkmalpflegerInnen und Architekten aus Deutschland, Polen und zahlreichen anderen Ländern setzt sich Holzer für den Erhalt der Brücke ein und hat einen offenen Brief unterschrieben. Initiiert wurde dieser von Mateusz Kapustka, der ebenfalls in Zürich lehrt.
Der polnische Kunsthistoriker befürchtet, dass der Rummel um die eventuelle Sprengung der Eisenbahnbrücke letztlich nur der PR zum Film dient. Ein Werbeeffekt für Polen sei nicht zu erwarten, da die Szene gar nicht in Polen spielen soll. Die Filmhandlung situiert die Brücke nämlich in der Schweiz und macht keinerlei Reklame für Niederschlesien.
In Polen fehle es noch an Bewusstsein in Sachen Industriearchitektur und Technikdenkmäler, zudem tue man sich schwer, Zeugnisse von Deutschen wahrzunehmen: Konstrukteur der Brücke war Otto Intze, ein Aachener Ingenieur. „Historisch war Schlesien immer multikulturell“, erklärt Kapustka, „regionale Belange interessieren die zentralistisch orientierte Regierung in Warschau heute wenig.“
Nicht mal die Wehrmacht schaffte es die Brücke zu sprengen
Der bauliche Zustand der Brücke sei gut, erklärt Kapustka, auch die Wehrmacht hat es beim Rückzug vor der Roten Armee in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs trotz ihres Bemühens nicht geschafft, sie zu sprengen. Das droht erst jetzt durch „Mission: Impossible“. Umso mehr regt Kapustka die Authentizitätshuberei von Paramount auf; schließlich würde man auch nicht gleich die Golden Gate Bridge in San Francisco sprengen, „nur um einen Echtheitseffekt zu erzielen“.
Der Münchner Visual-Effects-Producer Christoph Hierl sagt der taz, dass es im vorliegenden Fall nicht um Kosten gehe. In den Größenordnungen von Mammutproduktionen „zählen politische Entscheidungen“. Billiger sei es nicht, am Computer mit CGI-Simulationen eine Brückensprengung zu generieren oder die Sprengung eines in kleinerem Maßstab nachgebauten Brückenmodells zu filmen.
Viele RegisseurInnen würden dennoch auf moderne Techniken zurückgreifen, und die Zuschauer nehmen deren realistische Darstellungen an. Von seinen eigenen Jobs für Filmproduktionen kennt Hierl außerdem einen „Ehrenkodex“ bei Dreharbeiten. Schauplätze werden nicht verwüstet hinterlassen, auch in der Filmbranche habe man inzwischen Nachhaltigkeit als Modus Operandi entdeckt.
Im Abspann vieler Werke taucht längst der Satz „no animals were harmed in the production of this film“ auf. Schön, wenn das auch für die Bobertal-Eisenbahnbrücke gelten würde.
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