Kampf gegen Zwangsräumungen: Protest darf spontan sein
Weil er eine Demo gegen Zwangsräumungen organisiert haben soll erging gegen einen Bremer ein Strafbefehl. Nun wurde er freigesprochen.
In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende Richter, dass „ganz schön deutlich“ geworden sei, dass Schulte nicht Veranstalter der Versammlung war. Auch habe er diese vor der Anmeldung nicht koordiniert. Nach seiner Einschätzung handelte es sich um eine Eilversammlung, da ein gewisser Organisationsgrad zu erkennen gewesen sei. Teilnehmer*innen hatten Transparente und unter anderem eine Musikanlage dabei gehabt.
Eilversammlungen müssen laut Gesetz angemeldet werden. Eine klare Frist gibt es aber nicht. Für eine Verurteilung hätte Schulte nachgewiesen werden müssen, dass er die Versammlung gezielt veranstaltet hatte, ohne sie davor anzumelden.
Während der Verhandlung am Freitag hatte ein Polizeibeamter, der als Zeuge vernommen wurde, ausgesagt, dass Schulte sich auf die Frage, ob „sich jemand als Versammlungsleiter zur Verfügung stellen würde“, gemeldet hatte. Am ersten Verhandlungstag hatte bereits sein Kollege Ähnliches ausgesagt.
Ein zweiter Verhandlungstag war nötig geworden, weil der Vertreter der Staatsanwaltschaft am ersten angekündigt hatte, für eine Verurteilung zu plädieren. Der Richter hatte bereits durchblicken lassen, dass es für ihn nach der ersten Beweisaufnahme nach einem Freispruch aussehe. Da er aber ein „wasserdichtes“ Urteil wollte, lud der Richter noch den zweiten Zeugen.
Polizisten entlasten Demoanmelder
Die Aussage des ersten Zeugen, ein Polizist, der vor Ort den Einsatz leitete, hatte den Angeklagten bereits entlastet. Er habe ein „sachliches und kooperatives Gespräch“ mit Schulte gehabt, sagte dieser. Auf die Frage nach einem Versammlungsleiter habe sich Schulte „hervorgetan“. Schulte sei davor „nicht in leitender Position erkennbar tätig“ gewesen.
Bei beiden Zeugen wurde deutlich, wie wichtig es auch für Polizist*innen ist, dass es bei Eil- oder Spontanversammlungen Versammlungsleiter*innen gibt, da diese die Arbeit der Polizei deutlich erleichtern.
Schultes Anwalt Jan Lam wies in seinem Plädoyer darauf hin, dass auch das Versammlungsgesetz ein Teil des Problems ist: Es sieht einerseits vor, dass auch unangemeldete Versammlungen eine*n Versammlungsleiter*in brauchen, zugleich kann bestraft werden, wer eine unangemeldete Demo durchführt. Das Bundesversammlungsgesetz sei ein schlechtes Gesetz, sagte Lam, da politische Interessen darin abgebildet seien.
Kriminalpolizei fragt nach Verantwortlichen des Bündnisses
Lam hatte der taz im Vorfeld des Prozesses bereits gesagt, dass er glaube, das hinter dem Verfahren „die Kriminalisierung einer politisch unerwünschten Bewegung“ stehe. Auch ein Schreiben, das Schulte im März in seinem Briefkasten fand, weist darauf hin, dass es den Bremer Sicherheitsbehörden darum geht, den Mieter*innenprotest einzuschüchtern: Die Bremer Kriminalpolizei fragt ihn darin als Anmelder, wer denn „Verantwortlicher“ des Bündnisses „Zwangsräumungen verhindern“ sei. „Für Ermittlungen“ sei dies „von Bedeutung“, schreibt die Polizei in dem Brief, der der taz vorliegt. Auch mehrere andere Personen hätten dieses Schreiben erhalten, sagt Schulte, der es als Versuch sieht „einzelne persönlich einzuschüchtern“.
Das Bremer Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“, das in sozialen Medien damals spontan dazu aufgerufen hatte, die Kundgebung zu unterstützen, kritisierte im Vorfeld des Prozesses das „martialische Polizeiaufgebot“, das im Juli 2021 aufgefahren worden war, um „eine friedliche Protestaktion gegen Zwangsräumung, Verdrängung und Wohnungslosigkeit gewaltsam zu beenden“. Für den ersten Prozesstag hatte es dazu aufgerufen, Schulte vor Gericht zu unterstützen.
* Name geändert
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