Kampf gegen Bandenkriminalität: Der permanente Ausnahmezustand des Nayib Bukele
In El Salvador sitzen mehr als 82.500 mutmaßliche Bandenmitglieder ohne Verfahren im Gefängnis. Das ist populär – und trifft auf massive Kritik.
Dina Hernández wurde im Februar festgenommen. Die Menschenrechtsaktivistin war damals im achten Monat schwanger und ihre Festnahme erfolgte aufgrund eines bloßen Verdachts, berichtet Zaira Navas. Sie ist die Anwältin der Menschenrechtsorganisation Cristosal aus San Salvador.
„Ein Familienmitglied galt als mutmaßliches Bandenmitglied – das reichte“, erklärt sie. Acht Monate später ist Dina Hernández weiterhin inhaftiert, und für Anwältin Zaira Navas ist der Fall einer der inhumansten, die ihr in ihrer 25-jährigen Anwaltskarriere begegnet sind.
„Ich war dabei, als die Gefängnisverwaltung den Leichnam ihres toten Kindes an die Schwestern von Dina Hernández übergab. Frau Hernández sitzt immer noch in Untersuchungshaft und daran wird sich erst mal nichts ändern“, meint Navas.
Jetzt sind vier Jahre Untersuchungshaft möglich
Zwei Jahre Untersuchungshaft sind in El Salvador zulässig, doch in vielen Fällen wurden und werden Verdächtige länger festgehalten. „Das ist Usus in El Salvador. Und vor ein paar Wochen wurde die maximal zulässige Untersuchungshaft auf vier Jahre verdoppelt“, so Navas, die bei Cristosal für die Situation in den Gefängnissen zuständig ist.
Die Zustände in den Haftanstalten haben sich mit der Verhängung des Ausnahmezustands am 27. März 2022 massiv verschärft. Die Zahl der Menschenrechtsverletzungen sei hoch, die Taten oft schockierend, sagt die Juristin.
Sie hat mit ihrem Team 298 Todesfälle seit Verhängung des Ausnahmezustands untersucht und dokumentiert. Dazu wurden mehr als 1.200 Interviews mit Angehörigen und Zeugen geführt. „Bis zum 3. Oktober 2024 wurden genau 82.503 Personen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer Bande inhaftiert – Frauen wie Männer“, so Navas.
Sie kritisiert die permanente Verlängerung des Ausnahmezustands. Am 3. Oktober erfolgte dessen 31. Verlängerung und es sei absehbar, dass Anfang November die nächste Verlängerung anstehe.
Amnesty international beklagt Zunahme der Repression
„Aus einem zeitlich begrenzten Instrument wird ein permanentes“, kritisiert die Juristin und ist damit nicht allein. Amnesty International hat bereits im Dezember 2023 einen umfangreichen Bericht mit dem Titel „Hinter dem Schleier der Popularität“ veröffentlicht, in dem es en détail um die Zunahme der Repression und Rückschritte bei den Menschenrechten unter dem im Februar wiedergewählten Präsidenten Bukele geht.
Im September 2024 folgte dann der Bericht mit zahlreichen Empfehlungen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten. Darin wird explizit empfohlen, ein Register für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen während des Ausnahmezustands einzurichten und Todesfälle in Haft sowie Folter von Inhaftierten zu untersuchen.
Und die Kommission empfiehlt einen umfassenden Plan zur Wiedergutmachung für die Opfer und ihre Angehörigen. Denen sind Besuche in Haft nicht erlaubt. Angehörige werden auch von Inhaftierungen nicht informiert. Letzteres hat zu einer Zunahme der Zahl der Verschwundenen geführt, so Berichte von Cristosal und anderen Menschenrechtsorganisationen.
Dieser Umgang mit den Verdächtigen widerspreche internationalen Standards, kritisiert die OAS-Menschenrechtskommission. Sie forderte die Regierung von Bukele, der sich trotz Verfassungsbedenken im Februar für eine zweite Legislaturperiode wählen ließ, zu Korrekturen auf.
„Der coolste Diktator der Welt“
„Bis dato ohne Erfolg. Die Regierung hat die Kommission genauso wie Amnesty International zu diskreditieren versucht. Sie behauptet, die Kommission agiere im Interesse einiger weniger Finanziers. Dabei wird sie von den Staaten der OAS finanziert“, ärgert sich Navas.
Sie kritisiert, dass der autoritäre Präsident und sein Berater:innenstab ihre enorme mediale Präsenz nutzen, um Andersdenkende zu stigmatisieren und auf Erfolge weltweit aufmerksam zu machen. „Dabei wissen wir noch nicht mal, ob die Angaben der Regierung stimmen. Wir haben keinen Zugriff auf ihre Zahlen, können sie weder abgleichen noch überprüfen. Sie unterliegen de facto der Geheimhaltung“, moniert die Menschenrechtsjuristin.
Das ermöglicht den Kommunikationsexpert:innen des Präsidenten ihre medialen Kampagnen weltweit erfolgreich zu lancieren. In deren Mittelpunkt steht stets der selbsternannte „coolste Diktator der Welt“, eben Nayib Bukele.
In Mittelamerika hat das dazu geführt, dass die honduranische Präsidentin Xiomara Castro zumindest Teile der Agenda von Bukele kopiert. In Ecuador eignen sich Präsidentschaftskandidaten, in Peru mehrere Politiker Teile der Bukele-Strategie an.
„Für die Demokratien in diesen Ländern ist das ein Risiko. Die Verantwortlichen dort sollten unsere Berichte lesen und daraus lernen“, rät die Menschenrechtsanwältin aus San Salvador.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis