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Kampagne gegen Missbrauch von FrauenWarum ist Hinsehen so schwierig?

Eine von sechs Frauen ist Opfer von Gewalt – und die Welt streitet über die Farbe eines Kleides. Eine Kampagne nutzt das, um das Wegsehen anzuprangern.

Sehen Sie hier blau und schwarz? Screenshot: Twitter/Salvation Army South Africa

BERLIN taz | „Guck doch nur mal richtig hin, das ist doch eindeutig!“ Nur wenige Tage ist es her, da wurde weltweit hitzig über die Farbe eines von der Tumblr-Nutzerin Swiked geposteten Kleides gestritten. Blau-schwarz? Oder doch weiß-gold? Eigentlich eine Banalität. Jetzt hat die Heilsarmee Südafrika das Motiv aufgegriffen, um auf etwas wirklich Wichtiges hinzuweisen: Gewalt gegen Frauen.

Eine Frau liegt auf dem Boden, den Unterarm aufgestützt, und blickt in die Kamera. Sie trägt das gleiche Kleid, hier eindeutig in weiß-gold. „Warum ist es so schwierig, schwarz und blau zu sehen?“, fragt die Heilsarmee – und meint damit nicht die Farbe des Kleides.

Prellungen und Blutergüsse an den Oberschenkeln und Knien, ein dunkelviolett verfärbtes Auge, eine aufgeplatzte Lippe. Dass dieser Frau Gewalt angetan wurde, ist tatsächlich nicht zu übersehen. „Die einzige Illusion ist, wenn du denkst, sie hätte es so gewollt. Eine von sechs Frauen wird Opfer von Missbrauch“, steht auf dem Bild.

In der EU ist sogar jede fünfte Frau betroffen, besagt eine 2014 veröffentliche Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). 22 Prozent der Befragten berichteten auch von sexueller oder körperlicher Gewalt in der Partnerschaft. Die Mehrzahl der Opfer meldet die Vorfälle jedoch nicht – in den schwerwiegendsten Fällen wenden sich mehr als drei Viertel weder an die Polizei noch an Organisationen zur Opferbetreuung.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie fangen an bei Kommentaren wie „Zieh dir halt keinen so kurzen Rock an“ und „Was bist du auch abends alleine auf der Straße“ und enden beim deutschen Paragrafen 177, der als Vergewaltigung nur den Geschlechtsverkehr zählt, zu dem eine Frau unter Anwendung oder Androhung von Gewalt gezwungen wurde oder bei dem der Täter eine schutzlose Lage der Frau ausnutzte. Ein „Nein“ reicht trotz jahrelanger Diskussion bisher nicht, und ein Fall, in dem eine Frau einen Übergriff aus Angst, Scham oder Sorge um die Kinder über sich ergehen lässt, schon gar nicht.

„Es existiert eine verbreitete, negative Kultur, dem Opfer die Schuld zu geben“, erklärt die Studie der FRA. Also schweigen viele Frauen – aus Angst, aus Scham, aus Resignation. Knapp 40 Prozent der Frauen in der EU geben an, dass sie von häuslicher Gewalt im Freundes- und Familienkreis wissen. Doch allzu oft auch schweigt das Umfeld. Dabei man muss schon sehr gezielt wegsehen, um nichts zu bemerken. Warum ist es so schwierig, schwarz und blau zu sehen?

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8 Kommentare

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  • Ich finde die Kampagne auch ganz gut, gerade weil es eine junge weiße modisch gekleidete Frau ist. Damit ist klargestellt: Einer wie ihr passiert es auch! Körperliche & sexuelle Übergriffe finden nicht nur unter "Proleten" statt und richten sich auch nicht nur gegen Frauen, die zu blöd, zu hässlich, zu unterwürfig sind, sexuell zu provokant auftreten, usw. die also irgendwie "selbst schuld" sind. Zwar gebe ich Angelika Oetken recht, dass auch Jungs & Männer Opfer von sexuellem & körperlichen Missbrauch sind, aber ich würde die soziale Komponente nicht ganz so hoch bewerten. Hart gesagt: auch ein "linker" Mann, der gebildet ist & geschlechtsneutrale Sprache beherrscht, kann ein Vergewaltiger oder Kinderschänder sein, auch eine "feministisch" gesinnte, emanzipierte Frau kann körperliche Gewalt und/oder sexuelle Übergriffe gegen andere Frauen unterstützen oder sogar selbst ausüben, usw.. "Gesellschaftlich bedingt" ist aber m. E., dass eine Kultur, die Menschen in "Gewinner" & "Verlierertypen" einteilt, Gewalt im Grunde verharmlost bzw. sogar beschönigt, denn sie bringt ja Macht & vermeintlich "Autorität" mit sich.

    • @XYZreloaded:

      Ich bin fest davon überzeugt, dass die Neigung zu Übergriffigkeit und Gewalttätigkeit sehr früh im Leben angelegt wird.

      Schlimmstenfalls tritt sie als eine Art neurologischer Schaden auf. Entsprechende Stress- und Kurzschlussreaktionen werden gelernt und so Teil der Hirnfunktion.

       

      http://www.ankerland.org/main/files/upload_live/pressespiegel/20141201_spiegel.pdf

       

      Die Aggression gegen Weiblichkeit an sich kann damit auch ein Versuch sein, Wut gegen die übergriffige Mutter, der der erwachsen gewordene Mann als Kind einmal ausgesetzt war an irgendeiner Frau oder irgendeinem Kind auszulassen.

      • @Angelika Oetken:

        Nicht zuletzt belegt m. E. auch der Erfolg von zB "50 Shades of Grey", das Beziehungen, die auf Autorität/Macht auf der einen und bedingungsloser Hingabe & Unterordnung auf der anderen Seite beruhen, zunehmend gesellschaftlich akzeptiert werden. Es wird sogar nahegelegt, dass dies als lustvoll empfunden werden kann bzw. auch soll. Persönlich weiß ich, wie das ist, wenn man verächtliches, feindseliges & übergriffiges Verhalten als "gut gemeint", im schlimmsten Fall sogar als "das legitime sexuelle Bedürfnis eines/r anderen" werten soll. Missbrauchsstrukturen also als "gesunde", "sexuell freizügige" & "fortschrittliche" Lebenseinstellung? Ich kenne außerdem nicht wenige Leute, die sich geradezu etwas darauf einbilden, andere Menschen gekonnt manipulieren zu können ("Du musst nur wissen, wie Du ihn/sie zu nehmen hast!", "Sie soll wie Wachs in Deinen Händen sein", "Sie ist ihm/ihr sexuell hörig"). Tatsächlich ist der Drang, andere zu manipulieren, häufig Teil schwerer Persönlichkeitsstörungen (krankhafter Narzissmus, Borderline, antisoziale PS). Ich fürchte, dass Missbrauch nicht so leicht aus der Welt zu schaffen ist, aber man kann auf der gesellschaftlichen Ebene eine Menge dafür tun, dass die Opfer auf Verständnis & Empathie stoßen und die TäterInnen ihr Verhalten überdenken & ändern. Schließlich lassen sich neurologische Strukturen immer auch noch modifizieren, wenn man/frau es will...

      • @Angelika Oetken:

        Ich denke, dass gewalttätiges Verhalten nicht monokausal zu erklären ist. Sicher ist es in einigen Fällen, wie Sie schreiben, so, dass sich das schon früh in die Gehirnwindungen eingeschrieben hat. Allerdings begünstigt eine Gesellschaft, in der es zunehemnd darauf ankommt, auf der "Gewinnerseite"/"der Seite der Starken" zu stehen, m. E. Gewalt & Übergriffe. Ein jeder/eine jede braucht noch jemanden, der/die ihm/ihr durch Unterwürfigkeit, Abhängigkeit & Gehorsam (scheinbar) bestätigt, dass er/sie ein "Alphatier" ist.

        • @XYZreloaded:

          Eigenschaften, die als Zeichen von "Stärke" gelten, sind ja an sich nichts Schlechtes. Nur wenn sie im Übermaß zum Schaden anderer eingesetzt werden, entfalten sie üble Wirkungen.

          Es gibt tatsächlich Menschen die anfälliger für impulsive und destruktive Aktionen und Reaktionen sind. Und das sind die, welche sehr früh im Leben misshandelt wurden. Nicht umsonst ähneln Foltermethoden dem, was misshandelnde Mütter und Väter mit ihren Babys und Kleinkindern machen.

          Die Rechtsmediziner Tsokos und Etzold haben darüber ja im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht

          http://www.tagesspiegel.de/politik/rechtsmediziner-klagen-kindesmisshandlung-an-deutschland-verleugnet-im-kollektiv/9405294.html

  • Werbetechnisch gut gemacht.

     

    Aber die Gleichung "Frau/Mädchen" = Opfer, "Mann/Junge" = Täter, geht so nicht auf.

     

    Gewalt und Ausbeutung innerhalb von sozialen Gefügen ist keine Frage des Geschlechts. Sondern Zeichen von komplexer sozialer Dysfunktion. Deren Ursachen meistens in die frühe Kindheit zurückreichen.

    Falsche Rollenvorbilder, ökonomische, soziale und häufig auch strukturelle Abhängigkeiten und Überforderungen erschweren es Männern und Frauen gleichermaßen, die Gewalt- und Ausbeutungstraditionen nicht fortzusetzen.

     

    Hier helfen Ehrlichkeit, Pragmatismus, Aufklärung. Und gute Vorbilder. Menschen so zeigen und nehmen wie sie sind. Nicht wie sie sein sollten.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • GENIALE Kampagne!!!! Und Danke an die taz, dass sie darüber berichtet! Man darf gespannt sein, ob die Kampagne eine ebenso große (mediale) Aufmerksamkeit erfährt wie das Kleidchen... Da das eine aber mehr Konsequenz fordert als das andere, bin ich disbezüglich skeptisch.

  • OMG. Was soll dieser Artikel? 1) ist es wohl in den wenigstens Fällen so offensichtlich. Ich zu mindest habe noch nie eine Frau gesehen, die offensichtlich Opfer häuslicher Gewalt war, ehrlich. 2) Was soll die Anspielung auf Vergewaltigung? häusliche Gewalt hat nicht immer was mit Sex zu tun und wenn doch, dann greift der Paragraf ja auch, denn dann wurde sie ja eben bedroht, bzw. angegriffen, ergo es liegt eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 vor. 3) Warum eigentlich wieder nur gegen Frauen, Männer werden auch Opfer von häuslicher Gewalt. 4) Am häufigsten werden wohl Kinder Opfer von häuslicher Gewalt, und da sind die Täter häufig auch Frauen oder auch Stellvertreter Gewalt. Das ist aber ein ganz schwieriges Thema, ich habe schon meine Nachbarin gesehen, wie sie an ihrem Kind rumgezogen hat, dass es für mich schon Gewaltanwendung war, hab aber nichts gemacht, warum weiß ich selber nicht, vielleicht weil sie es eben nicht geschalgen sondern "nur" gezogen hat, Stolz bin darauf jedenfalls nicht, aber dieser Artikel ist so unglaublich wenig reflektiert, man wundert sich echt, was hier veröffentlicht wird.