Kai Wegner über das Tempelhofer Feld: Lächerliche Inszenierung, aber gefährlicher Populismus
Berlins Regierender verspricht mehr Tempo bei der Feldbebauung. Das ist zwar aussichtslos, offenbart aber trotzdem ein fatales Demokratieverständnis.

E ndlich! Wer gegen eine Bebauung des Tempelhofer Felds ist, kann aufatmen. Denn Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, selbst großer Verfechter des Vollklotzens, hat angekündigt, bei der Feldverschandelung Tempo machen zu wollen. Im Interview mit der B.Z. kündigte der CDU-Mann an, die Berliner*innen bereits kommendes Jahr über eine mögliche Bebauung abstimmen zu lassen, und, sobald das geschafft ist, „schnell in die Planung“ zu gehen.
Warum also die Erleichterung? Ganz einfach: Eigentlich immer, wenn eine Berliner Regierung verspricht, nun einen Zahn zuzulegen, hat das das Gegenteil zur Folge. Jüngstes Beispiel ist der Zaun um den Görlitzer Park – das andere symbolpolitische Herzensprojekt von Wegners schwarz-roter Koalition. Hier sind rund zwei Jahre nach der Ankündigung erst zwei Löcher ausgehoben.
Aber auch bei der Digitalisierung der Verwaltung, der Rückabwicklung von Tempo 30 auf Hauptstraßen und den Einbürgerungen geht es nach großen Worten nicht schneller voran. Vom Bau bezahlbarer Wohnungen ganz zu schweigen.
Doch obwohl Wegners Inszenierung als Machertyp mit Spaten auf dem Asphalt des ehemaligen Flughafengeländes beinahe lächerlich wirkt – seine Forderung nach einer Volksbefragung, so unrealistisch sie sein mag, ist und bleibt gefährlicher Populismus.
Ein mächtiges Instrument
Denn eigentlich müssten CDU und SPD Berlins Bürger*innen gar nicht fragen, um die Feldbebauung zu beschließen. Das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“, 2014 per Volksentscheid von den Berliner*innen erkämpft, kann wie jedes einfaches Gesetz vom Abgeordnetenhaus geändert werden. Dafür hätten die Regierungsfraktionen auch eine Mehrheit.
Aber Wegner & Co trauen sich nicht; sie ahnen wohl, dass sie sich dabei die Finger verbrennen könnten. Um den Bebauungsfantasien einen demokratischen Anstrich zu verleihen, soll es also eine Volksbefragung von Gnaden der Regierenden geben. Die soll rechtlich nicht bindend sein – andernfalls müssten CDU und SPD für die Einführung eines solchen Instruments die Verfassung ändern – wofür ihnen die Mehrheit fehlt.
Ein solches „konsultatives Referendum“ wäre trotzdem ein mächtiges Instrument, weil es vermeintliche Fakten schafft: Der Senat könnte sich – bei Zustimmung – damit schmücken, einen „wahren Volkswillen“ umzusetzen und so Kritik aus Zivilgesellschaft und Opposition delegitimieren. Ein Szenario wie aus einem Lehrbuch für Populismus. Hinzu kommt, dass die Feldbebauung als einfache Lösung für ein viel komplexeres Problem präsentiert wird: die Berliner Wohnungskrise.
Ob eine Volksbefragung von oben überhaupt verfassungskonform wäre, ist ohnehin völlig unklar – genauso, ob sie überhaupt jemals kommen wird. Vor mehr als eineinhalb Jahren hatte SPD-Fraktionschef Raed Saleh angekündigt, noch 2024 ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Passiert ist seitdem: nichts.
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