Käthe Kollwitz im MoMA: Heilmittel für Zorn und Trauer
Im Museum of Modern Art wird seit April eine Werkschau von Käthe Kollwitz ausgestellt. Warum wirbelt die Ausstellung gerade New York auf?
An den New Yorker Universitäten sind seit ein paar Wochen Semesterferien. Der Campus der Columbia, wo im Mai landesweite propalästinensische Proteste ihren Ausgang nahmen und die Demonstranten heftig mit der Polizei aneinandergerieten, ist zu seinem idyllischen Normalzustand zurückgekehrt. Midtown samt Times Square, der Fifth Avenue und dem MoMA – Museum of Modern Art – gehört erneut ganz den Büroangestellten und den Touristen. New York hat sich wohl wieder seiner kommerziellen Kernidentität zugewandt.
Ganz ist die Politik allerdings nicht aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Mitte vergangener Woche gingen die New Yorker auf die Straße, um für die Einführung einer Mautgebühr für die vom Verkehrsinfarkt geplagten Straßen von Manhattan zu demonstrieren.
Gleichzeitig kam es zu hässlichen antisemitischen Zwischenfällen. Das Haus von Anne Pasternak, der Direktorin des Brooklyn Museum, wurde mit Hamas-Symbolen beschmiert, und in der U-Bahn forderten propalästinensische Aktivisten alle „Zionisten“ dazu auf, den Zug zu verlassen. Es war eine deutlich erkennbare Variante wohl bekannter „Juden raus“-Parolen.
Diese Vorfälle erinnerten daran, dass sich die zerrissenen USA gerade nur in der Sommerpause befinden. Die Spaltung, die sich in den vergangenen Monaten vor allem an der Frage entzündete, wie mit dem Krieg in Gaza umzugehen sei, aber eigentlich alle gesellschaftlichen Bereiche berührt, brodelt weiterhin dicht unter der Oberfläche.
„Käthe Kollwitz“: Museum of Modern Art, New York, bis 20 Juli 2024
Auch die bildende Kunst ringt dabei um eine angemessene Reaktion. Die Whitney-Biennale wurde gemeinhin als vage und zahm rezipiert. Die Werkschau von Jenny Holzer am Guggenheim war zwar gewohnt politisch, doch ihre 80er-Jahre-Konzeptkunst wirkt im Jahr 2024 wie eine Stimme aus der Vergangenheit, selbst wenn Holzer mit neuen Werken Donald Trump aufs Korn nimmt.
Der Weg des Widerstandes
Viel zeitgemäßer scheint da paradoxerweise eine Ausstellung aus einer fernen Ära und einem anderen Land zu sein. Wie keine andere Schau trifft die Werkschau von Käthe Kollwitz in New York den Nerv der Zeit. So empfiehlt die New York Times als das beste Heilmittel für den Zorn und die Trauer, die derzeit viele Menschen von New York bedrücken, einen Besuch im vierten Stock des MoMA, wo seit April die Drucke von Kollwitz (1867–1945) gezeigt werden.
Das Frieze Art Magazine sieht in ihren Selbstporträts ein Dokument der seelischen Kosten eines Widerstands gegen den Faschismus ihrer Zeit, liest daraus aber auch geradezu eine moralische Verpflichtung, trotz allem den Weg ebendieses Widerstandes zu wählen.
Die düstere Bildsprache von Kollwitz erfasst nicht nur den jetzigen Augenblick der USA. Die Unmittelbarkeit, mit der Kollwitz Hilflosigkeit und Schmerz angesichts des Weltgeschehens persönlich macht und mit der sie sich gegen die Verzweiflung stemmt, trifft überall einen Nerv. Aber vielleicht rüttelt sie New York deshalb besonders auf, weil die Konflikte hier einem gerade so nahe rücken, dass Kollwitz’ Realismus plötzlich nicht mehr als sentimental erschient.
Die MoMA-Kuratoren betonen den großen Einfluss, den Käthe Kollwitz schon auf afroamerikanische Künstler aus der Mitte des 20. Jahrhunderts wie Elizabeth Catlett, Jacob Lawrence und Charles White hatte. Die hatten schon lange vor der jetzigen MoMA-Schau die aufreibende Kraft von Käthe Kollwitz entdeckt.
Je mehr das weiße Mittelstandsamerika aus seinen Heile-Welt-Fantasien herausgerissen wird, desto besser versteht es nun auch die Schwere einer Käthe Kollwitz. Eine Schwere, die Amerika lange Zeit fremd war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen