Kabarettist über Pelzigs letzte Show: „Wer unmodisch bleibt, eilt voraus“
Frank-Markus Barwasser hat in der ZDF-Sendung „Pelzig hält sich“ herausragende Gespräche geführt. Am Dienstag macht er Schluss.
taz.am wochenende: Warum gönnen Sie sich zum Abschied Ihrer Sendung nicht einen AfD-Politiker, Herr Barwasser? Wäre spannend, ob Sie das hinkriegen.
Frank-Markus Barwasser: Ist ja drollig, dass nun gerade die taz anregt, einen AfD-Gast einzuladen. Ich will trotzdem nicht.
Warum nicht?
Ich könnte formal argumentieren und sagen: Ich lade nur Vertreter von Parteien ein, die dem Bundestag angehören. Aber da habe ich ja mit Lencke Steiner von der FDP zuletzt eine Ausnahme gemacht. Nein, ich muss mich für einen Gast interessieren. Das ist bei den AfD-Funktionären nicht der Fall. Beim Lucke hatte ich allerdings mal darüber nachgedacht.
Als Rundfunkrat wären wir bei Ihrer Auswahl eingeschritten. Zu grünenlastig.
Wieso? In Zeiten der Großen Koalition ist es angemessen, die Opposition zu hören. Das sagt nichts aus über persönliche Präferenzen. Für mich war es außerdem immer schwerer, mit Leuten zu reden, die ich persönlich gut finde. Andersdenkende sind interessanter. Zudem war die Bereitschaft, Pelzig die Ehre zu geben, bei Grünen und der CSU viel höher als bei anderen Parteien. Den Gabriel hätte ich schon gern gehabt, aber bei der SPD hatte ich oft keinen Erfolg.
Der Mann: Frank-Markus Barwasser, Kabarettist und Fernseh-Entertainer („Die Anstalt“ von 2010–13, „Pelzig hält sich“), geboren 1960 in Würzburg als viertes von fünf Kindern einer Hausfrau und eines Arbeitsrichters. Zweiter Bildungsweg, studierter Politikwissenschaftler und ausgebildeter Journalist (Volontariat bei der Main-Post).
Die Figur:Erwin Pelzig, Franke und Cordhutträger. 1993 als Kabarettfigur von Barwasser erfunden. Seither auf der Bühne, im Radio (Bayern 3), im Bayerischen Fernsehen und der ARD (1998–2010), im Film („Vorn ist verdammt weit weg“, 2007). Seit 2011 im ZDF („Pelzig hält sich“).
Die Sendung: Am 1. Dezember (22.45 Uhr), wird „Pelzig hält sich“ zum 37. und letzten Mal ausgestrahlt.
Die Grünen sind froh über jede Fernsehminute, aber die CSU?
Pelzig lief viele Jahre im BR, das war in Bayern ein fester Bestandteil des Fernsehbewusstseins. Eine Einladung von mir wurde wohl als Auszeichnung betrachtet. So habe ich das durchaus gemeint. Wir bekamen nicht jeden, aber wir nahmen auch nicht jeden.
Hatten Sie den Eindruck, dass Sie gegen die FDP-Frau Steiner alt aussahen?
Rein äußerlich bestimmt. Ansonsten eher nicht. Aber es lag immer im Interesse der Sendung, dass Gäste auch Pointen abschießen, punkten, auch auf meine Kosten.
Die Grünen-Politikerin Göring-Eckardt dachte, sie sei eine Humorkanone, und bestand darauf, aus dem benutzten Glas von Howard Carpendale zu trinken. Eine Steilvorlage. Sie haben das so stehen lassen.
Warum nicht? Sie hatte damit einen guten Einstieg ins Gespräch. Für mich war das okay. Da gab’s viel peinlichere Aktionen. Ich habe noch nie jemanden daran gehindert, danebenzugreifen, wenn er das unbedingt tun will. Aber ich trete nicht nach. Es ging mir nie darum, Gäste zu benutzen, um mich selbst zu erhöhen. Es gab auch Fälle, wo ich hinterher sagen musste, da warst du zu terriermäßig unterwegs und nicht ganz fair.
Bei wem?
Zum Beispiel auch bei Claudia Roth. Natürlich wollte ich oft provozieren. Aber dann muss ich dem Gast auch den Raum lassen, sich zu erklären.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will der Bundeswehr ein neues Image geben: als Armee der Berater und Helfer. Wie das einer sieht, der in Afghanistan war, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 28./29. November 2015. Außerdem: Wie Beautybloggerinnen im Kampf gegen den Terror helfen könnten. Und: Der Kabarettist Frank-Markus Barwasser hört auf. Ein Abschiedstreffen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
„Pelzig“ ist eine Talkshow, in der die Gäste mit einer Kunstfigur sprechen. Erwin Pelzig ist ein Hut und Männerhandtasche tragender Franke, von dem man nicht genau weiß, ob er weise ist oder stulle.
Ja, das ist der Unterschied: Ich bin eine Kunstfigur, dahinter kann ich mich verstecken. Der Gast ist er selbst.
Der Gast kann sich auch hinter Pelzig verstecken und sagen, ihr wisst doch, das ist Kabarett.
Genau deshalb sind manche Gespräche erhellend. Weil der Gast dann spricht wie ein Kind mit der Krokodilspuppe. Das Kind weiß, das Krokodil ist nicht echt. Aber das Kind nimmt es dennoch ernst. Während einiger heller Momente der Sendung funktionierte das.
Was war ein heller Moment?
Ich habe die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gefragt, wann sie bei einem 12- bis 16- Stundentag nachdenkt. Das Publikum lachte, aber Kraft fand das gar nicht so komisch. Gute Frage, sagte sie, und nach einigem Nachdenken: im Auto. Dass sie darüber nachdachte, wann sie nachdenkt, das fand ich sympathisch und erhellend. Aber es ist eine Illusion zu glauben, die kommen zu mir und erzählen Dinge, die sie noch keinem erzählt haben.
Vollprofipolitiker setzen sich die Humormaske auf und lächeln alles weg.
Humor ist eine der wenigen Eigenschaften, die man nicht simulieren kann. Witzig sein kommt gut, Witzigtun nicht. Und was auch nicht so gut kommt: Wenn Gäste Geschenke mitbringen. Dazu neigten stets die Damen und Herren der CSU. Außer Seehofer.
Die sind das so gewöhnt.
Das habe ich auch so gesagt. Aber schön, wenn das ein anderer auch ausspricht.
Sie haben uns in die Pointe gelockt?
Tja. Hochpädagogisch. Das habe ich in der Sendung auch gemacht.
Das klingt nach hochkomplizierter Gesprächssteuerung.
In der Sendung bin ich Pelzig, ich spiele ihn nicht mehr. Es gibt auch keine Vorabsprachen mit den Gästen. Ich bekomme von meiner Redaktion Dossiers. Das sind immer so 200 Seiten und durch diese gründliche Vorbereitung zeige ich meinen Gästen, dass ich sie ernst nehme. Ich kenne auch die Antworten, die sie sich zurechtgelegt haben auf Fragen, die sie schon hundertmal beantworten mussten.
Wir Ihre auch. Die Kraft-Geschichte haben Sie schon öfter erzählt.
Wundert Sie das? Die Frage nach meiner Gesprächssteuerung sollte ich ja auch schon oft beantworten.
Was sagen Sie zur These, dass Bettina Schausten, Rainald Becker oder Maybrit Illner letztlich auch Kunstfiguren sind, wenn sie mit Politikern reden?
Es gib einen entscheidenden Unterschied: Pelzig kann sagen, ich habe keine Ahnung, ich fühle mich überfordert, deshalb frage ich. Ein seriöser Journalist darf nie zugeben, dass er überfordert ist.
Was ist das für ein Genre, das Sie da betreiben?
Unterhaltung. Wir sind ein kleines ZDF-Team. Es gibt keine Produktionsfirma, wollte ich nicht. Ich hatte mal eine für meinen Film, aber das ist furchtbar aufwendig. Ich wollte nur die Sendung machen.
Pelzig haben Sie 1993 erfunden. Erst war er nur auf der Bühne, dann im Radio, im Bayerischen Fernsehen, im Ersten, seit 2011 im ZDF. Er hat sich intellektualisiert mit den Jahren. Warum?
Ich wollte es besser mit ihm aushalten. Sein Charme war rustikaler am Anfang. Das wäre schnell langweilig geworden für mich. Heute ist er ein bemühter Weltenversteher, einer, der mehr auf der Suche nach Fragen ist als nach Antworten.
Er hat Sie weit getragen.
Ja, wir haben einen Film zusammen gemacht, dann ein Theaterstück, sind dann im Fernsehensemble gelandet. Doch, wir haben uns lieb gewonnen.
Kann politische Satire mehr als Unterhaltung sein? Auch nach 22 Jahren Pelzig ist die Welt in desaströsem Zustand.
Satire kann ja auch aufklären und erklären, in unterhaltender Form. Was sie damit bewirkt, ist eine andere Frage. Für mich ist es immer wichtiger geworden, auch zu informieren. Aber es geht mir zu weit, wenn Leute sagen, dass sie bestimmte Sachen nur in der „Anstalt“ oder bei „Pelzig“ erfahren.
Ihr Wiener Kollege Alfred Dorfer machte viele Jahre erfolgreich Satirefernsehen, aber letztlich sei es Stoffwechselsatire, sagt der. Man verschaffe sich etwas Erleichterung, es ändere nichts.
Das würde ich unterschreiben. Und wer ändert etwas? Nehmen wir das Thema Flüchtlinge. Da ist es die Zivilgesellschaft, die handelt und versucht, mit der Situation klarzukommen. Die Ehrenamtlichen. Die müssen unterstützt werden, moralisch und finanziell. Sich auf die Bühne zu stellen und die Welt zu erklären, ist viel wirkungsloser und bedarf keines großen Mutes. Ich frage mich oft, was die Kabarettgemeinde miteinander verbindet. Die Unzufriedenheit als kleinster gemeinsamer Nenner reicht nicht aus. Wir mögen uns vielleicht einig sein, in dem, was wir ablehnen. Aber sind wir uns einig in dem, was wir danach wollen?
Heißt?
Wenn ich etwas TTIP-Kritisches mache, erhalte ich viel Beifall. Das ist einfach. Aber zum Prinzip der Figur Pelzig gehört es eben auch, einen letzten Zweifel an der eigenen Position zu vermitteln. Das ist auch ein Stilmittel. Ein anderes verführerisches Stilmittel sind Beleidigungen. Da gibt es schnell Applaus. Aber ich versuche schon, bei der Sache zu bleiben.
En passant mal ein ‚George Dabbelju Depp Bush‘ erlauben Sie sich schon.
Klar, aber das würde ich dem auch ins Gesicht sagen. Leider habe ich nicht die Gelegenheit dazu. Generell ist das für mich schon ein Maßstab: Alles, was ich ausspreche, möchte ich den Betroffenen auch ins Gesicht sagen können, wenn sie in der ersten Reihe sitzen.
Bei welchem Fernsehkollegen lachen Sie, Herr Barwasser?
Bei Jan Böhmermann. Ich bewundere ihn und seine Produktionsfirma. Man spürt, wie sehr die für ihr Projekt brennen. Das ist zum Teil sehr aufklärerisch in einer zeitgemäßen Form, ohne aber gequält originell sein zu wollen.
Böhmermann ist Hochgeschwindigkeit. Pelzig ist dagegen richtig langsam.
Ja, sehr langsam. Altmodisch fast. Ich komme ja von der Theaterbühne. Da gibt es eine andere Dramaturgie, viele inhaltliche Rückbezüge auf bereits Gesagtes, auch stille Momente. Ich habe die Gespräche von Günter Gaus geliebt. Diese Langsamkeit, diese hanseatische Kühle, da könnte ich mich beömmeln, und das hat mich fasziniert.
Ein Politiker, ein Journalist, ein echtes Gespräch: Fehlt das im Fernsehen?
Von der Idee halte ich viel. Es war typisch für meine Sendung, dass ich mit jedem Gast einzeln spreche und mit viel Zeit. Dieter Hildebrandt sagte mal zu mir, du bist der einzige, der mit den Leuten spricht, über die wir nur reden. Wir haben in der Redaktion öfter diskutiert, ob wir nicht schneller sein sollten und noch einen vierten Gast dazunehmen. Aber worüber will ich denn in sieben Minuten mit dem Gast sprechen? Dankenswerterweise überließ man die Entscheidung mir.
Das ZDF scheinen Sie ja toll zu finden.
Ja, der Sender gibt solchen Projekten Zeit und Freiheit. Er ist durchaus experimentierfreudig.
Das ZDF?
Klar, auch das ZDF ist ein Tanker, der nicht zur Hektik neigt, aber in meinem Genre sehe ich das so. „Anstalt“, „heute show“, Böhmermann: Das ist die Referenz für diese Art von Show geworden.
„Pelzig“ ist schon die zweite Sendung, die Sie freiwillig aufhören. Sonst muss man die Leute doch raustragen?
Diesmal fällt es mir noch schwerer nach insgesamt 18 Jahren. Ich habe intuitiv entschieden, und meine Intuition hat mich noch selten getäuscht. Ich bin aber mit dem ZDF so verblieben: Wenn, dann machen wir wieder was zusammen.
Warum hören Sie dann auf?
Ich benötige einfach mehr Zeit. Ich will Neues schreiben, ich will noch gründlicher und grundsätzlicher werden. Ich glaube, das müssen wir alle.
Wie ist Ihre seelische Verfasstheit angesichts der Weltlage?
Ich bewege mich in meinem Programm zwischen Karl Popper – Optimismus ist Pflicht – und Heiner Müller – Optimismus ist nur ein Mangel an Information. Ich bin kein Apokalyptiker, aber ich verzweifle, wenn ich zum Beispiel die Entwicklung in Syrien betrachte. Jetzt haben die Türken einen russischen Jet abgeschossen. So viele Parteien mischen in diesem Krieg mit. Diese Gemengelage, verbunden mit der Ignoranz über die Ursachen von Krieg, Armut und Flucht, hat das Zeug zum dritten Weltkrieg. Je tiefer ich in die Themen einsteige, desto ratloser werde ich. Dann denke ich: Waren die Achtziger nicht doch noch schön unkompliziert? Es gab den dicken Kohl und fertig.
Die Achtziger waren doch schrecklich leer.
Sie waren piefig, miefig, das schon, aber mir kam alles harmloser vor. Das war es im Grunde ja nicht, es war halt anders.
Sie haben 1981 Abitur in Würzburg gemacht. Waren Sie da schon politisch?
Ja, meine Politisierung kam in der RAF-Zeit. Würzburg war kein Zentrum des Linksradikalen, aber ich hatte trotzdem dauernd Flugblätter in der Hand. Und das führte zu Diskussionen zu Hause.
Waren Sie radikal?
Im Denken, ja. Im Tun hat mich die Pubertät beschäftigt.
Sie haben mal erzählt, Ihre politische Initiation sei Willy Brandt gewesen, 1974, auf dem Würzburger Marktplatz. Das ist zu idealisiert, um wahr zu sein?
Bitte, mit 14, da darf man doch wohl noch idealisiert sein. Ich hatte vier Onkels mütterlicherseits, da war von sehr konservativ bis ganz links alles dabei. Die fetzten sich bei den Familientreffen, das hat mich auch sehr geprägt.
Trotzdem traten Sie nicht in die SPD ein, wie es sich für einen Kabarettisten gehört.
Ich bin in gar keine Partei eingetreten. Ich bin in der Bayern aufgewachsen, da ist die CSU.
Eben.
Aber die SPD in Bayern war auch nicht so, dass du dachtest, willkommen in der Zukunft.
Warum gilt das eigentlich in Deutschland als Privatsache, wen man wählt? Das ist doch eine wichtige öffentliche Angelegenheit.
Schon, aber bei mir hatte das mit der Sendung zu tun: Ich wollte nicht als SPD oder Grüne oder Linke wählender Gastgeber auftreten.
Rein optisch: Wenn Sie mit Ihrem Cordhütchen einlaufen, denken Sie manchmal, was habe ich mir da eingebrockt?
Das denke ich öfter, kurz bevor ich auftrete, wenn ich in den Spiegel schaue. Dann denke ich: Ich möchte auch mal als schöner, smarter Mensch auf die Bühne gehen.
Wie viele dieser Hütchen haben Sie?
Zwei. Im Fernsehen trage ich noch das Original, 22 Jahre alt. Für die Bühne gibt es ein Ersatzmodell, aber das reißt an allen Ecken und Enden. Nachschub zu bekommen, ist schwierig. Deutschland ist kein Paradies mehr für Cordhutträger.
War es das jemals?
Früher war das selbstverständlich. Inzwischen gibt es den Typus Pelzig nur noch sehr selten. Aber ich halte durch, und eines Tages bin ich damit ganz vorn. Nur wer unmodisch bleibt, eilt seiner Zeit ständig voraus. Gerade war ich im Hutgeschäft, und da habe ich den Verkäufer gefragt, wie Hüte denn so gehen, und er sagte: sehr gut. Die kommen zurück. Hüte und Bowle.
Frappant, dass die Bowle in Ihrer Sendung so ein Erfolg wurde. Gruselige Farbe, gruseliger Geschmack. Wenn man etwas lange genug durchzieht, wird es Kult?
Anfangs war es das Unvermögen der Requisite. Erst später merkten wir, was für ein schöner Moment das ist: der erste Schluck des Gastes, dann der gequälte Blick.
Schmeckt die wirklich so schrecklich? Wonach?
Wenn ich das wüsste. Von Rezept würde ich jedenfalls nicht sprechen. Viel Säure ist drin, Farbstoff. Aber kein Alkohol.
Kein Alkohol?
Ich trinke keinen Alkohol, wenn ich arbeite.
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