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Juristische Jahresbilanz der taz„Bossi hat ein Genre begründet“

Wenn wir uns in rechtlichen Fragen unsicher sind, rufen wir Christian Rath an. Diesmal für seine Jahresbilanz 2015.

Rolf Bossi mit der Schauspielerin Ingrid van Bergen, die 1977 angeklagt war, weil sie ihren Geliebten Klaus Knath erschossen hatte Foto: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

Uli Hoeneß hat Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt, das Landgericht Augsburg will das prüfen. Käme Hoeneß im März frei, hätte er nur die Hälfte seiner Haftstrafe verbüßt. Will er einen Promi-Bonus?

Normalerweise werden Haftstrafen erst nach zwei Drittel der Zeit zur Bewährung ausgesetzt. Die Aussetzung nach der Hälfte ist selten, vor allem bei Straftätern, die zu Strafen über zwei Jahren verurteilt wurden. Hoeneß erhielt dreieinhalb Jahre wegen Steuerhinterziehung. Allerdings hat er auch eine außerordentlich gute Sozialprognose.

Der Münchner Staranwalt Rolf Bossi hat Prominente wie Romy Schneider, Hardy Krüger und Ingrid van Bergen und spektakuläre Verbrecher wie die Geiselnehmer von Gladbeck vertreten. Am 23.12. ist er im Alter von 92 Jahren gestorben. Was bleibt von ihm?

Bossi hat in Deutschland wohl das Genre des Staranwalts begründet. Aber er war schon sehr lange nur noch eine Legende, seine Nachwirkung ist eher gering. Er hat die letzten 20 Jahre, in meinem Berufsleben, keine große Rolle mehr gespielt.

Polens neue Regierung hat als Erstes das Verfassungsgericht neu organisiert und entmachtet. Ein Staatsstreich, wie manche sagen?

Es gibt keine anerkannten Mindeststandards, was die Aufgaben und Befugnisse eines Verfassungsgerichts betrifft. Wenn man aber dessen Urteile ignoriert, die Zusammensetzung manipuliert und die Verfahrensregeln so ändert, dass es weitgehend lahmgelegt ist, dann wirkt das wie das Signal zum Übergang in einen autoritären Staat.

Im Interview: Christian Rath

Dr. Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz und stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Er lebt in Freiburg

Wie sieht Ihre juristische Jahresbilanz aus - was waren Ihre Highlights?

Da wäre als erstes das „Safe Harbor“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober, der damit seinen frischen Ruf als Grundrechtegericht gefestigt hat. Er hat dabei den Datenschutz europäischer Bürger über einen EU-Beschluss gestellt, der die Übermittlung persönlicher Daten aus Europa in die USA erlaubte.

Beim Kopftuchurteil im März hat das Bundesverfassungsgericht seine frühere Entscheidung aus dem Jahr 2003 und damit einen eigenen Fehler korrigiert. Lehrkräften kann nun nicht mehr pauschal das Tragen einer religiösen Kopfbedeckung verboten werden. Der Schutz der Religionsfreiheit gilt auch für Minderheiten. Dies sicherzustellen, auch gegen politische Mehrheiten, ist der Job eines Verfassungsgerichts.

Drittes Highlight, diesmal negativ, war das Verfahren wegen angeblichen Landesverrats gegen Journalisten des Onlinemediums netzpolitik.org. Es ist erschütternd, dass so ein absurdes Ermittlungsverfahren in Deutschland überhaupt möglich war.

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19 Kommentare

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  • Zum "jurististischen Jahresblick" gehört unbedingt auch der NSU-Prozeß vor dem OLG München, wo auch in diesem Jahr keine Beweise (DNA, Fingerabdrücke, Sichtungen zu Tatzeit und -ort) dafür präsentiert werden konnten, daß Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jene Taten begangen haben, bei denen Beate Zschäpe der Mittäterschaft angeklagt ist.

    • @Albrecht Pohlmann:

      Was wohl auch mit daran liegt, dass Beate Zschäpe diese Beweise vorher selbst vernichtet hat. Ich kann darin beim besten Willen keine entlastenden Momente für Frau Zschäpe finden - Sie etwa?

      • @Rainer B.:

        Lieber Rainer B., oft liegen wir beide ja gar nicht so weit auseinander - aber hier mißverstehen Sie mich: Ich meinte, daß gerichtsfeste, beweiskräftige Spuren für die Täterschaft von Böhnhardt und Mundlos an allen "NSU_Tatorten" fehlen. Und die konnte Beate Zschäpe am 4.11.2011 nicht vernichten. Es gibt lediglich - anzweifelbare - Indizien und jede Menge post mortem gefundene Sach"beweise". Die allerdings auch jeder Dritte, der Zugang zu den Tatorten in Eisenach und Zwickau hatte, dort hätte hinlegen können. - Worauf es mir ankommt: Vor lauter Freude darüber, daß es auch eine "braune RAF" (Nachrichtendienst-Magazin "Der Spiegel") gegeben haben soll, haben sich viele, zu viele Linke verleiten lassen, die vollkommen unglaubwürdige NSU-Story unserer vermeintlichen Sicherheitsbehörden zu glauben. Dabei ist Staatsskepsis erste Bürgerpflicht, linke zumal.

        • @Albrecht Pohlmann:

          Nun ja - wenn Frau Zschäpe unter falschem Namen Unterkünfte für die beiden Uwes jeweils an den Orten und vor den Morden besorgt hat, werden sich solche Indizien durch linke Staatsskepsis oder vermeintlichen Zufall kaum wegreden lassen.

          • @Rainer B.:

            Ihre Antwort ist mir ganz unverständlich - vor welchen der dem NSU zugeschriebenen Taten soll denn Beate Zschäpe Wohnungen am Tatort angemietet haben? Obwohl ich mich seit 2011 mit dem NSU-Komplex beschäftige, habe ich davon noch nie etwas gehört.

            • @Albrecht Pohlmann:

              Oh, da muss ich dann wohl was verwechselt haben. Frau Zschäpe hat ja nach eigener Aussage immer erst nach den Morden von den Morden erfahren. Die Anmietung von Wohnungen und Fahrzeugen unter falschem Namen war lediglich Teil eines bizarren Liebesspiels, das schließlich im Abfackeln der gemeinsamen Wohnung seinen Höhepunkt fand. Auch bei den zahlreichen Waffen, die man aus dem Bauschutt holte, kann es sich eigentlich nur um unaufgefordert zugesandtes Sexspielzeug gehandelt haben. Bleibt nur die Frage, wer jetzt ausgerechnet der Frau Zschäpe warum irgendwas anhängen will? Die Kirche mit ihrer Sexualmoral?

              https://de.wikipedia.org/wiki/Beate_Zsch%C3%A4pe

  • 1G
    12671 (Profil gelöscht)

    Hier hätten eigentlich die ganzen Blockaden von Gegendemonstranten hingehört, die nicht geahndet wurden, obwohl sie zum Teil den Straftatbestand der Nötigung erfüllen.

     

    Und hier hätte auch auf die unterlassene Verfolgung von Straftaten eingegangen werden müssen, denen Polizei und Staatsanwaltschaft nicht nachgegangen sind.

     

    Insgesamt erodierte deswegen unsere Demokratie nicht mehr so stark wie seit dem 2. Weltkrieg, siehe interessanten Bericht unter http://analogo.de/2015/12/24/saeulen-der-demokratie-geraten-in-mainz-ins-wanken/

    • @12671 (Profil gelöscht):

      Seit dem WWII erodiert also die Demokratie? Aber jetzt "nicht mehr so stark"??

       

      Man man man... und das am "Heilig Abend"...

       

      Ich weiß, sie haben den Satz in Ihrer Aufregung "verbastelt" und wollten eigentlich etwa ganz anderes, viel schlimmeres sagen...

       

      Probieren Sie es mal mit "Kraft aus Freude" anstatt mit "Frust und Zorn".

       

      Schönes Leben noch!

      • 1G
        12671 (Profil gelöscht)
        @CäptnTrips:

        Ja, danke für den Hinweis. Es muss heißen: "Insgesamt erodiert deswegen unsere Demokratie derzeit nicht mehr so stark wie seit 1925. Und diese Erosion arbeitete mit dem Zerfall der Weimarer Republik direkt auf den 2. Weltkrieg hin."

         

        Im Übrigen das Hoeness-Beispiel und die Gerechtigkeit: Herrn Hoeness nun vorzeitig auf der Haft zu entlassen, und dies mit "Kraft aus Freude" zu unterstützen, bezeugt schon Ihr sehr fragwürdiges Gerechtigkeitsideal als moralische Basis. Frohe Weihnachten!

  • Urteil eins hat ökonomische Gründe, Urteil zwei ist das Versagen des säkularen Staates, Urteil drei ist richtigerweise auch ein Versagen.

    Was war jetzt noch das Tolle?

    MfG.

    • @tätig ist:

      einspruch - das BVerfG hat im diesjährigen "kopftuchurteil" für alle, wo mit anderen körperteilen als wie mit dem kopf denken, PRÄZISIERT, welches in einem säkularen RECHTSstaat die anforderungen an eine "hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage" für das verbot des tragens religiöser symbole sind.

      wie das rumgeeiere in Berlin bis hin zum verstecken (qua sperrvermerk) eines gutachtens des wissenschaftlichen dienstes des abgeordnetenhauses zur frage, ob das neutralitätsgesetz verfassungskonform sei, zeigt, brauchen welch etliche da noch ziemlich viel lesehilfe.

      • @christine rölke-sommer:

        Einsprung;)

         

        Mit Verlaub - Verkündungszeit -

        Gewiß & ->

        Schwere Geburten -

        Ein paar Blätter weiter ~>

         

        Aber "…für alle, wo…"¿

        So relativ bayrisch kryptisch -

        Wie der Rest.

        (Wie erst für Balin - wa;!¡)

        • @Lowandorder:

          ab+an steht auch im tagesspitzel was von interesse http://www.tagesspiegel.de/berlin/neutralitaetsgesetz-in-berlin-spd-versteckt-gutachten-zum-kopftuch/12753080.html

           

          schon im 1. "kopftuchurteil" wurde laut+deutlich geschrieben, dass für ein verbot eine "hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage" von nöten sei.

          nicht verlangt indessen wurde, dass jedes bundesland eine solche schaffen müsse.

          einfach mal nachlesen, herr kolleche.

          • @christine rölke-sommer:

            Schön - Frau Kollecha -

            Dass Sie's auch - allgemein

            Verständlich gemacht haben.

            Kann ja - sicher is sicher ->

            Nicht oft genug Jesagt werden;)

            Fein.

  • Wenn Christian Rath bei Hoeneß eine "außerordentlich gute Sozialprognose" sieht, dann ist das doch schwer erklärungsbedürftig. Hat er vielleicht einfach nur die Grundvermutung dieser Klassenjustiz ungeprüft verinnerlicht, wonach die großen Gangster per se einsichtiger seien, als die kleinen? Bedenke - ein kleiner Gangster muss sehr viel mehr Straftaten begehen, um sich später auch mal eine gute Sozialprognose leisten zu können!

    • @Rainer B.:

      Keine Klassenjustiz. Er hat vergessen zu schreiben, dass eine Strafaussetzung nach Verbüßung der Hälfte der Haftdauer nur für Ersttäter in Frage kommt. Und bei diesen wird (schon aus ökonomischen Gründen) recht häufig von der vorzeitigen Entlassung Gebrauch gemacht. Da genügt oft schon ein fester Wohnsitz, "geregelte" Familienverhältnisse und Aussicht auf einen Job.

      • @Cerberus:

        Doch Klassenjustiz, denn ein erheblicher Teil befindet sich ja nur aus ökonomischen Gründen in Haft.

        (z.B. Ersatzfreiheitsstrafe)

        Gefangene, die über genügend Geld verfügen, werden ohnehin zu den Kosten der Haft herangezogen (Haftkostenbeitrag).

        https://dejure.org/gesetze/JVollzGB_III/51.html

  • @R.;)

     

    & Gern gelesen. Das -

    "Es gibt keine anerkannten Mindeststandards, was die Aufgaben und Befugnisse eines Verfassungsgerichts betrifft. Wenn man aber dessen Urteile ignoriert, die Zusammensetzung manipuliert und die Verfahrensregeln so ändert, dass es weitgehend lahmgelegt ist, dann wirkt das wie das Signal zum Übergang in einen autoritären Staat.…"

     

    bedarf angesichts des recht fortschrittschlichen Starts der polnischen Dritten Gewalt

    (rollierende Vorsitzende usw;)

    Der Korrektur -

    "wirkt" durch "ist das der" ersetzen &

    "wie ein Signal" - streichen.

     

    Ps Zur außerordentlichen

    Sozialprognose von süchtig ->

    Uli die Wurst - >

    Kein Kommentar;!¡)

    Owie lacht - hück.

  • "Drittes Highlight, diesmal negativ, war das Verfahren wegen angeblichen Landesverrats gegen Journalisten des Onlinemediums netzpolitik.org." - Sorry, aber ein Verfahren "wegen angeblichen Landesverrats" hat es nicht gegeben. So dämlich ist kein Staatsanwalt, in seine Anklageschrift etwas von "angeblich" zu schreiben. Dabei handelt es sich um die Interpretation durch Christian Rath. Korrekt wäre: "wegen durch die Staatsanwaltschaft behaupteten Landesverrats".