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Juristin über rassistische Polizeikontrollen„Du gehörst nicht dazu!“

Ein Deutscher mit indischen Vorfahren klagt gegen rassistische Polizeikontrollen. Juristin Petra Follmar-Otto fordert das Ende des „Racial Profiling“.

Protest gegen „Racial Profiling“ in Berlin, August 2013 Bild: Imago/Christian Ditsch
Interview von Imre Balzer

taz: Frau Follmar-Otto, der Kläger in München sagt, Kontrollen wegen Merkmalen wie der Hautfarbe würden gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen. Das Urteil könnte ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Racial Profiling werden. Warum sind solche Prozesse überhaupt noch nötig?

Petra Follmar-Otto: Der Gesetzgeber sendet widersprüchliche Signale. Einerseits gibt es im Grundgesetz und in zahlreichen internationalen Konventionen, die Deutschland unterschrieben hat, ganz klar das Verbot jeder rassistischen Diskriminierung durch staatliche Behörden. Gleichzeitig ist aber in unseren Gesetzen auch der Auftrag zu anlasslosen Kontrollen an die Polizei formuliert, der letztlich genauso eine diskriminierende Kontrollpraxis befördert. Jenseits der Einzelfall-Überprüfung durch Gerichte meinen wir, dass die Ermächtigungsgrundlage im Bundespolizeigesetz gestrichen werden sollte.

Sie sprechen von Paragraf 22, Absatz 1 des Bundespolizeigesetzes.

Genau. Grundsätzlich ist es in Deutschland als Rechtsstaat so, dass polizeilichen Maßnahmen immer ein Verdacht zugrunde liegen muss. Es gibt nur wenige Ausnahmetatbestände, bei denen dieses Erfordernis eines konkreten Verdachts nicht existiert und die Polizei zu sogenannten anlasslosen Kontrollen ermächtigt ist. Paragraf 22, Absatz 1 des Bundespolizeigesetzes erlaubt es Polizisten, etwa in Zügen, an Bahnhöfen oder auf Flughäfen in Zusammenhang mit der Bekämpfung illegaler Migration ohne konkreten Verdacht zu kontrollieren. Dies führt zu einer Kontrollpraxis, die an äußeren Merkmalen anknüpft.

Wie sähe eine Alternative zu dieser Praxis beim Thema illegale Einwanderung aus?

Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Mit der Abschaffung der Binnengrenzen in der EU – einer großen Errungenschaft für die Freizügigkeit – sind flächendeckende Grenzkontrollen in der EU europarechtlich verboten. Damit scheidet die Möglichkeit aus, tatsächlich ohne Diskriminierung jede Person zu kontrollieren – ganz abgesehen davon, dass dies aufgrund des Aufwandes wohl auch niemand will.

Es gibt Diskussionen, ob es andere verfassungskonforme Vorgaben für die Kontrollpraxis geben kann, zum Beispiel jede x-te Person zu überprüfen. Ich habe aber Zweifel, ob das zu einer Veränderung der diskriminierenden Praxis führen würde. Interessant ist übrigens auch, dass die bisherige Kontrollpraxis keinesfalls erfolgreich ist. Die Trefferquote der Kontrollen liegt gerade einmal bei ein bis zwei Prozent.

Hat die Polizei ein Rassismusproblem?

Im Interview: Petra Follmar-Otto

ist Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland und Europa des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Die Polizei kann nicht allein zum Schuldigen gemacht werden. Die primäre Verantwortung sehen wir beim Gesetzgeber. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsgrundlagen geschaffen und ist somit auch politisch verantwortlich. Wichtig ist aber auch, dass die Sensibilisierung für alle Formen rassistischer Diskriminierung in der Polizeiaus- und Fortbildung verankert wird und das Ziel diskriminierungsfreien Handelns in der Polizei als Führungsaufgabe verstanden wird. In den letzten Jahren ist dazu in den Polizeien durchaus auch eine Auseinandersetzung in den Gang gekommen, das ist sehr positiv.

Reicht die Sensibilität für das Thema in Deutschland aus?

Ein ganz wichtiger Aspekt ist tatsächlich, dass vielfach noch die Existenz des Problems geleugnet wird. In letzter Zeit wurde zwar vermehrt über die Praxis berichtet. Aber wir stehen noch am Anfang eines Prozesses der Bewusstwerdung des Problems. Das ist auch darin begründet, dass immer noch die Realität des Einwanderungslandes Deutschland nicht richtig in allen Köpfen angekommen ist. Nach wie vor glauben viele, anhand äußerer Merkmale festlegen zu können, wer zu Deutschland gehört und wer nicht. Das ist es auch, was diese Art von Kontrollen so verletzend für die Betroffenen macht. Jede Ausweiskontrolle sendet das Signal: „Du stehst unter Verdacht, du gehörst nicht dazu.“

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3 Kommentare

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  • Es gibt dabei zwei Probleme: Zum einen, dass die Polizei bei diesen Kontrollen vor allem nach Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung sucht. Warum stehen diese Delikte im Fokus der Ermittlungen?

    Das andere Problem ist die Diskriminierung der Menschen, die einem Täterprofil ähnlich sind. Das kann das äussere Aussehen, eine Namensähnlichkeit, das Geschlecht, die Religion oder Nationalität sein. In allen Fällen ist eine gewisse Häufung vielleicht hinzunehmen - eine massive Häufung schränkt jedoch diese unschuldigen Menschen massiv ein.

  • Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, anstatt nach "grenzpolizeilicher Erfahrung", wie im Gesetz (die in der Praxis wohl auf "Bauchgefühl" und damit auf persönliche Vorurteile hinauslaufen dürfte), nach einem vorher erfahrungsunabhängig ermittelten Verteilungsschlüssel vorzugehen, der in festgelegten Zeitabständen (z.B. nach einem Jahr) wieder aktualisiert werden muss?

     

    Wenn es sich um verdachtsunabhängige Kontrollen handelt, kommt man wohl um "äußere Merkmale" nicht herum, denn sonst bleibt ja nicht viel - aber man könnte wenigstens fair sein und dafür sorgen, dass "jeder mal dran" ist, wenn auch nicht unbedingt gleich oft.

     

    Man könnte zu diesem Zweck eine Liste als möglicher relevanter "äußerer Merkmale" zusammenstellen, z.B. Geschlecht, Alter, vermutliche Herkunft etc. Um dann den oben erwähnten Verteilungsschlüssel zu bekommen, kontrolliert man pro Zeitintervall (und eventuell Kontrollort) einmal eine ausreichend große Zahl von Menschen, bei denen diese Merkmale gleichmäßig verteilt sind und zeichnet auf, bei welchem Anteil der Träger jedes Merkmals ein "Treffer" vorgelegen hat.

     

    Später kontrolliert man dann - bis zur nächsten Aktualisierung - anhand dieses Verteilungsschlüssels. Wenn also bei der gleichmäßigen Kontrolle z.B. 65% aller "Treffer" männlich waren, sollten 65% der kontrollierten Personen Männer sein, usw.

     

    Auf diese Weise könnte die Polizei immer noch auf "Erfahrungswerte" zurückgreifen, ohne sich deshalb dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt sehen zu müssen, weil diese mittels eines geeigneten Verfahrens ermittelt und überprüft werden. Wahrscheinlich hätte man auf diese Weise sogar eine höhere Trefferquote als mittels Bauchgefühl.

     

    Vielleicht könnte man die Beamten mit geeigneten Methoden auch dokumentieren lassen, dass sie sich an den Schlüssel gehalten haben, damit von einer Kontrolle Betroffene sich später auf Wunsch von deren Rechtmäßigkeit überzeugen können.

  • Sehr guter Artikel! Weiter so!