Juristin über Zwangsprostitution: „Die Frauen glauben an Juju“
Wie werben Menschenhändler Frauen für die Prostitution an? In dem sie ihnen goldene Versprechungen machen, sagt Özlem Dünder-Özdogan von Kobra.
taz: Frau Dünder-Özdogan, in Bremen muss sich gerade ein Mann wegen des Verdachts auf Zwangsprostitution vor Gericht verantworten. Wie oft kommt das vor?
Özlem Dünder-Özdogan: Nicht häufig, wir begleiten jedes Jahr zwei bis drei Opfer bei einem Prozess. In der Regel kommt es erst gar nicht zum Prozess, auch wenn relativ klar ist, dass Frauen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden sind.
Warum kommt es so selten zum Prozess?
Solche Verfahren stehen und fallen mit den Aussagen der Betroffenen, die überragende Bedeutung für den Erfolg eines Strafverfahrens haben. Häufig sagen die Frauen erst nicht aus.
Warum nicht?
Manche sind so stark traumatisiert, dass sie nicht stabil genug für einen Prozess sind. Viele haben Angst vor den Tätern, vor allem dass diese ihren Kindern und Familien in den Heimatländern etwas antun. Manchmal scheitern die Prozesse mangels belastbarer Aussagen der Frauen. Oft werden die Täter freigesprochen, weil die Tat nicht bewiesen werden kann.
Können die Frauen auf eine solche Situation nicht vorbereitet werden?
Selbst wenn sie gut vorbereitet sind, sitzen sie im Gerichtssaal dem Täter gegenüber, das verursacht hochemotionale Ausnahmesituationen, das überfordert sie zum Teil. Viele Opfer, die zu uns kommen, zeigen die Täter erst gar nicht an. Sie sagen: Ich kann nicht zur Polizei gehen, sonst werde ich weiter bedroht. Zugespitzt kann man sagen: Nur ein Bruchteil der Täter wird geschnappt, von denen stehen wenige vor Gericht und noch weniger werden verurteilt.
Juristin und Koordinatorin bei Kobra in Hannover, einer Koordinierungs- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel und Zwangs-prostitution.
Wie viele Frauen betreuen Sie bei Kobra?
Im vergangenen Jahr hatten wir 57 Erstkontakte, in diesem Jahr sind es bis jetzt schon 48. Wir sind uns sicher, dass es sich bei den von uns begleiteten Frauen nur um einen Bruchteil der in Niedersachsen insgesamt Betroffenen handelt. Zumal nicht alle Opfer an Beratungsstellen vermittelt werden oder keinen Kontakt haben möchten.
Was heißt Erstkontakte?
Das sind Frauen, die erstmals in unsere Beratungsstelle gekommen sind, entweder auf Eigeninitiative oder sie werden von der Polizei oder anderen Organisationen vermittelt. Nicht alle betreuen wir bis zu einem Gerichtsprozess. Manche brauchen nur einen Rat oder sonstige Hilfe, andere brauchen Hilfe bei der Rückkehr ins Heimatland.
Wie kommen die Frauen in Ihre Beratungsstelle gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution?
Unsere Adresse ist nicht öffentlich bekannt. Die Frauen aus Afrika sind in ihrer Community meist gut vernetzt, hören dort von uns und stehen dann unvermittelt vor der Tür. Die Polizei bringt häufig Frauen zu uns, die sie aus einem Bordell geholt haben. Wir bringen sie in Frauenhäusern in ganz Niedersachsen sicher unter.
Woher kommen die Frauen?
Im vergangenen und in diesem Jahr verstärkt aus Afrika, insbesondere aus Nigeria. Gefolgt von deutschen Betroffenen und Bulgarinnen. Früher kamen die Frauen vor allem aus Bulgarien.
Im Gegensatz zu den bulgarischen Frauen, die über die EU-Freizügigkeit hier legal arbeiten dürfen, ist das den Frauen aus Afrika verboten. Trotzdem floriert das Sexgeschäft mit ihnen.
Das läuft vielfach im Verborgenen, in Wohnungen, in denen die Frauen als Sexarbeiterinnen nicht angemeldet sind, obwohl sie das laut Gesetz sein müssten. Diese Illegalität erschwert es der Polizei, Zwangsprostitution aufzudecken und zu bekämpfen. Für die Frauen bedeutet das häufig, dass sie eingesperrt sind und keine sozialen Kontakte haben. Andere dürfen auf die Straße gehen, trauen sich das aber nicht.
Viele nigerianische Opfer werden erst gar nicht entdeckt?
Ja. Erschwerend kommt hinzu, dass sie meist über Italien oder Frankreich nach Deutschland kommen. Das Dublin-III-Abkommen schreibt vor, dass sie zurückgebracht werden müssen in das EU-Land, das sie zuerst betreten haben. Dort wird den Frauen aber nicht geholfen, im Gegenteil, sie haben nach ihrer Rückkehr mit noch größeren Repressalien zu rechnen als vorher.
Wie funktioniert das Anwerben der Frauen durch Menschenhändler?
Sowohl in Afrika als auch in Europa werden junge Frauen und Mädchen von sogenannten Madames angesprochen und mit einem „lukrativen Jobangebot“ in Deutschland oder Italien gelockt. Oft wissen die Frauen nicht, wo sie arbeiten werden, viele stellen sich einen Friseursalon oder die Gastronomie vor. Bei den Betroffenen aus den EU-Ländern wissen manche, dass es sich um Prostitution handelt. Aber erst in Deutschland merken sie, dass sie nicht frei entscheiden können. Dann haben sie meist mehr Freier, als sie wollen, und sie bekommen nur einen Bruchteil des Verdiensts.
Die afrikanischen Frauen haben zudem mit einem Voodoo-Zauber zu kämpfen.
Ein traditioneller Ritus, Juju genannt. Die Betroffenen müssen gegenüber einem Priester schwören, dass sie den Anweisungen der Madames bedingungslos folgen. Es werden ihnen Fingernägel oder Schamhaare abgeschnitten, in ein Gefäß getan und an einem dunklen Ort verborgen. Der Priester suggeriert, dass er mit diesen Dingen eine Kraft entwickeln kann, die bis nach Europa reicht und die Frau vernichten kann, wenn sie sich falsch verhält. Daran glauben die Frauen fest, ihre Angst, dass der Juju wirkt, ist sehr groß.
Frauen sollen ebenso über die sogenannte Loverboy-Methode zwangsprostituiert werden. Wie geht das?
In diesem Fall gaukeln Menschenhändler potenziellen Opfern die große Liebe vor. Anfangs erhalten die Frauen Geschenke, der Mann vermittelt Geborgenheit und sagt: „Du bist meine große Liebe.“ Die Loverboys haben ein Fingerspitzengefühl dafür, bei welcher Frau das zieht. Auf diese Weise werden auch deutsche Mädchen in die Prostitution gedrängt.
Auch deutsche Mädchen?
Das ist kaum bekannt. Dieses Phänomen betrifft auch Mädchen, die aus gutbürgerlichem Hause kommen, aber von den Eltern vielfach nicht die Aufmerksamkeit und Zuneigung erfahren, die sie brauchen. Sie sind anfällig für die „große Liebe“ und ahnen nicht, dass die nur vorgegaukelt ist.
Wie kriegt der Loverboy das Mädchen letztlich ins Bordell?
Irgendwann sagt der Loverboy: „Hey, wir waren in Paris und in Rom, das war toll, wir könnten eine Familie gründen. Aber das kostet Geld und du könntest etwas zu unserer gemeinsamen Zukunft beisteuern. Ich habe gehört, dass man in der Prostitution schnell und viel Geld verdienen kann.“ In solchen Fällen geht es nicht nur um physische Gewalt, sondern um psychische Abhängigkeit, die systematisch hergestellt wird.
Unter diesen Umständen dürfte es noch schwieriger sein, die Menschenhändler vor Gericht zu stellen.
Ja. Irgendwann wissen die Mädchen zwar, dass sie einem Betrug aufgesessen sind, aber kaum eine von ihnen schafft es, sich aus diesem Teufelskreis aus Lügen und emotionaler Abhängigkeit zu lösen. Manche Mädchen, die gegen den Täter aussagen, ziehen ihre Anzeigen später zurück, weil sie hoffen, dass er sich am Ende doch noch für sie entscheidet.
Zurück zu Nigeria. Dort gibt es seit Jahren Warnkampagnen gegen die Maschen der Menschenhändler. Erfolgreich?
Welche Wirkung diese Kampagnen haben, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber von einem Video, in dem ein hoher Priester vor Juju warnt und erklärt, dass Voodoo keinerlei Macht über Menschen hat. Dennoch bleibt die Angst bei den Frauen groß und bestimmt ihr Leben.
Wie kann Zwangsprostitution wirksam vorgebeugt werden?
Prävention und Aufklärung sind unabdingbar, reichen aber bei weitem nicht aus. Wichtiger ist das Handeln der Regierungen. Die Frauen, die heute beispielsweise aus Bulgarien angeworben werden, gehören ethnischen Minderheiten an und leben dort schutz- und rechtlos am Rande der Gesellschaft. Aufgabe der bulgarischen Regierung ist es, diese Menschen wieder einzubinden in die Gemeinschaft und sie dadurch zu stärken.
Wollen Opfer, die aus der Zwangsprostitution aussteigen konnten, zurück in ihre Heimatländer?
Die bulgarischen Frauen kehren vorwiegend zurück zu ihrer Familie, die meisten haben kleine Kinder. Die afrikanischen Frauen wollen in Deutschland bleiben, weil sie in Afrika weiterhin gefährdet sind. Wir versuchen, ihnen dabei zu helfen, in Deutschland ein eigenständiges Leben aufzubauen.
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