Juristin über Unisex-Versicherungen: „Die Rente differenziert auch nicht“
Dass Männer bei Versicherungen für Frauen mitzahlen, findet die Juristin Astrid Wallrabenstein nicht diskriminierend. Unisex-Tarife gebe es überall.
taz: Frau Wallrabenstein, hat Ihr Mann noch schnell eine private Krankenversicherung abgeschlossen?
Astrid Wallrabenstein: Mein Mann ist in der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus Überzeugung.
Männer sollen für Frauen mitbezahlen. Da wird gleichbehandelt, was ungleich ist. Ist das Diskriminierung?
Wenn man die Geschlechter in der Versicherung erfasst, dann sind mal die Männer günstiger und mal die Frauen. Die Frage ist: Will man solche Unterschiede beachten oder nicht? Das ist eine politische Entscheidung. Die EU hat in ihrer Gleichstellungsrichtlinie bestimmt, dass Frauen und Männer den gleichen Zugang zu Dienstleitungen haben sollen.
Die Versicherer fürchten die „adverse Selektion“, dass also die Frauen in die billige neue Rentenversicherung gehen und die Männer aus ihr fliehen. Dann wird die Versicherung, weil auf der neuen Grundlage kalkuliert wird, wieder teurer.
Wohin sollen die Männer denn fliehen? Unisex gibt es dann doch überall. Es wird beim Übergang ruckeln: Krankenversicherungen mit vielen Frauen unter den Mitgliedern werden einen teureren Tarif errechnen als solche mit mehr Männern, weil sie mit einem massenhaften Wechsel ihrer Bestandskundinnen in den neuen Tarif kalkulieren müssen. Aber das gleicht sich mit der Zeit an.
43, ist Professorin für öffentliches Recht an der Goethe-Universität in Frankfurt und hat sich auf Sozialrecht spezialisiert.
Die Allianz gibt Zahlen bekannt, nach denen ein Mann in der Pflegezusatzversicherung jetzt noch um knapp 30 Euro billiger dran ist als eine Frau. Da würde ich auch nervös als Mann.
Das ist der Tarif von heute. Die neuen Tarife sind ja noch gar nicht veröffentlicht. Die Pflegezusatzversicherung ist, davon abgesehen, eine Fehlkonstruktion. Die Reichen könnten ihre Pflegekosten später ja selbst zahlen, die Versicherung begünstigt nur ihre Erben. Aber die Armen, die sie brauchen würden, werden keine abschließen.
Aber Frauen werden länger gepflegt als Männer.
Das ist ein Irrtum. Die Männer werden auch lange gepflegt. Aber raten Sie mal, von wem. Die Frauen zahlen im Moment eine höhere Versicherung dafür, dass sie erst jahrelang ihren Mann pflegen und seine Versicherung damit schön billig halten. Und weil kein Mann sie pflegt, werden sie plötzlich „teuer“. Das Gerechtigkeitsproblem liegt hier doch nicht in gleichen Tarifen!
Aber in der Rentenversicherung gibt es Unterschiede: Frauen leben länger.
Ja und? In der gesetzlichen Rente wird auch nicht nach Geschlecht differenziert, und es stört keinen. Wie soll ich es sagen: In Europa sind wir übereingekommen, dass die Geschlechter gleichbehandelt werden. Wir differenzieren auch in der Haftpflichtversicherung nicht nach Nationalitäten, obwohl bekannt ist, dass bestimmte Nationen unfallträchtiger fahren. In Europa werden sie trotzdem gleichbehandelt. So ist es auch mit Frauen und Männern. Ein Mann, der nicht für Frauen mitzahlen will, muss auswandern. Und zwar ziemlich weit weg.
Also sollte ich als Mann nun noch schnell eine private Rentenversicherung abschließen?
Das können Sie halten, wie Sie wollen. Jetzt wollen die Versicherungen gern noch ein paar Extraabschlüsse mitnehmen, deshalb die aggressive Werbung. Ich wette, dass dieses Geschrei punktgenau am 21. Dezember verstummen wird – und es danach auch wieder viele attraktive Angebote geben wird. Denn danach wollen die Versicherungen wieder Abschlüsse generieren, da wird ihnen schon etwas einfallen. Und ich garantiere Ihnen: Sie werden nicht so schlimm aussehen, wie es jetzt den Anschein hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen