Juristin über Schwangerschaftsabbrüche: „200 Kilometer zu reisen, ist nicht hinnehmbar“
In Deutschland sei der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ausreichend gesichert, sagt Céline Feldmann vom Deutschen Juristinnenbund.
taz: Frau Feldmann, wann ist ein Schwangerschaftsabbruch legal in Deutschland?
Céline Feldmann: In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar, aber es gibt Ausnahmen: Die medizinische Indikation, also wenn das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Person gefährdet ist, hat keine Frist. Und die kriminologische Indikation, zum Beispiel nach einer Sexualstraftat. Die greift bis zur 12. Woche. In beiden Fällen übernimmt die Krankenkasse die Kosten. Am häufigsten findet ein Abbruch nach der Beratungslösung statt: Wenn sich die schwangere Person in einer anerkannten Beratungsstelle beraten lässt, mindestens drei Tage bis zum Abbruch wartet und den Abbruch von einer Ärzt*in durchführen lässt, ist dieser bis zur 12. Woche straffrei. Die Kosten werden nur übernommen, wenn die schwangere Person entweder über kein oder nur ein sehr geringes Einkommen verfügt. Und dann gibt es noch eine juristische Privilegierung von schwangeren Personen: Wenn sie eine Beratung hatte und der Abbruch bis zur 22. Woche stattfindet, sieht das Gericht von einer Strafe ab.
Vorsitzende der interkommissionellen Arbeitsgruppe zum Schwangerschaftsabbruch und stellvertretende Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes. Feldmann arbeitet als Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin und promoviert an der HU Berlin.
taz: Wie bewerten Sie diese gesetzliche Lage?
Feldmann: Der Schwangerschaftsabbruch ist im Strafgesetzbuch geregelt. Hier gilt er in Form der Beratungsregelung als tatbestandslos, aber dennoch als rechtswidrig – eine Konstruktion, die in der Rechtswissenschaft heftig kritisiert wird. Das gibt es sonst im Strafgesetzbuch nicht und hat weitreichende Folgen. Durch die Stellung als „rechtswidrig“ wird ausgedrückt, dass der Abbruch vorwerfbares Unrecht darstellen soll. Das begünstigt gesellschaftliche Stigmatisierung und erschwert es, den Schwangerschaftsabbruch als normale Gesundheitsleistung zu betrachten. Das ist einer der Gründe dafür, warum Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
taz: Wofür plädiert der Deutsche Juristinnenbund (DJB)?
Feldmann: Die Entscheidung über einen Abbruch ist verfassungsrechtlich geschützt, als Teil des reproduktiven Selbstbestimmungsrechts sowie des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In Deutschland wird der Zugang zu einem straffreien Abbruch aber nicht ausreichend gesichert, was vor allem daran liegt, dass die Zahl der Anbieter sich seit 2003 fast halbiert hat. Besonders in ländlichen Regionen gibt es oft keine Versorgung. Der DJB fordert daher eine Neuregelung und eine Entkriminalisierung des Abbruchs. Es geht nicht um eine ethische Debatte, sondern um eine Frage von Rechten. Das Strafrecht ist der falsche Ort, um moralische Fragen zu diskutieren. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass Personen bis zu 200 Kilometer reisen müssen, um einen Abbruch vornehmen zu lassen, besonders wenn man bedenkt, dass viele Ärzt*innen, die noch Abbrüche vornehmen, in den kommenden Jahren in Rente gehen werden. Das muss sich ändern, und ein erster Schritt wäre eine Entkriminalisierung.
taz: Wie steht Deutschland da im Vergleich zu anderen Ländern?
Feldmann: Interessanterweise ist der Schwangerschaftsabbruch in vielen europäischen Ländern auch im Strafgesetzbuch geregelt. In den Niederlanden ist der Abbruch bis zur 24. Woche erlaubt, wobei es früher eine fünftägige Wartezeit nach der Beratung gab, die aber seit 2022 abgeschafft wurde. Also deutlich einfacher als bei uns. In Österreich gilt er, wie bei uns, grundsätzlich als Straftat, wird aber nicht verfolgt und es gibt Ausnahmen. Die Frist beträgt dort drei Monate, wobei theoretisch ein Abbruch bis zur 16. Woche möglich wäre. Es gibt auch später noch Ausnahmen, zum Beispiel bei einer medizinischen Indikation, wenn das Leben der Schwangeren gefährdet ist oder der Fötus eine Gefahr darstellt.
taz: Ist es auch grundsätzlich strafbar, wenn Personen aus Deutschland einen Abbruch im Ausland vornehmen lassen?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Feldmann: Auf der sicheren Seite ist die schwangere Person auf jeden Fall, wenn sie die Voraussetzungen der Beratungslösung erfüllt – dann ist der Eingriff nach dem Gesetz ohnehin straffrei. Theoretisch gilt das deutsche Strafrecht im Falle des Abbruchs für Deutsche, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, auch im Ausland. Ob das für die schwangere Person heute noch zeitgemäß ist, ist fraglich – und übrigens ein weiterer Grund, warum der Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert werden sollte.
taz: 2024 lag ein Gesetzentwurf vor, der einen Abbruch vor der 12. Woche straffrei stellen sollte. Er wurde nicht mehr beschlossen. Wie stehen jetzt die Chancen für eine Änderung?
Feldmann: Es ist schwer zu sagen, ob eine Gesetzesänderung noch durchgesetzt werden kann, besonders wenn man die Haltung von CDU und CSU zur Reform von Paragraf 218 betrachtet. Der Gesetzesentwurf, der von über 324 Abgeordneten verschiedener Fraktionen unterstützt wurde, hat es leider nicht zur Abstimmung geschafft, dabei enthielt er den Minimalkonsens. Das ist enttäuschend, vor allem, weil es sich um eine langjährige und dringende Forderung handelt. Wir setzen uns weiterhin für die Entkriminalisierung des Abbruchs ein.
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