Juristin über Fachkräftemigration: „Migration wird männlich gedacht“
Beim geplanten Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung seien die Bedarfe von Frauen nicht ausreichend berücksichtigt, sagt Juristin Sina Fontana.
taz: Frau Fontana, Expert*innen sagen, Deutschland brauche jährlich 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland – mindestens. Diese Woche will das Kabinett ein neues Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung beschließen. Wird Deutschland damit attraktiver?
Sina Fontana: Das Gesetz geht diese Aufgabe an, es gibt aber noch mehr Potenzial, zum Beispiel mit Blick auf Frauen. Damit meine ich sowohl Frauen als Fachkräfte als auch Frauen und Kinder, die zusammen mit Fachkräften nach Deutschland kommen. Deren Bedürfnisse sollten im Gesetz noch stärker berücksichtigt werden.
Aber das Gesetz macht doch gar keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Grundsätzlich sind Frauen mitgemeint, das Gesetz differenziert da nicht. Trotzdem können bestimmte Vorschriften sich eher zugunsten oder eher zulasten von Frauen auswirken.
Das klingt sehr abstrakt. Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Nehmen wir mal einen zentralen Aspekt der sogenannten Chancenkarte: Mit einem Punktesystem soll es künftig möglich sein, dass Fachkräfte auch ohne Arbeitsvertrag zur Jobsuche nach Deutschland kommen. Punkte gibt es etwa dafür, wenn die betreffende Person höchstens 35 Jahre alt ist – also noch lange in die Rentenkasse einzahlen kann. Das ist aber nun genau das Alter, in dem meist auch die Kindererziehung stattfindet – und die wird immer noch vorwiegend von Frauen gemacht. Das heißt: Frauen haben unter Umständen schlechtere Chancen auf die Chancenkarte.
Wie ließe sich das besser machen?
Wir vom Juristinnenbund schlagen vor, die Altersgrenze bei nachgewiesener Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zur Kinderbetreuung um zwei Jahre anzuheben. Wenn man schon eine Gesetzesreform macht, könnte man übrigens auch gleich auf Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache achten. Im Migrationsrecht ist durchgängig von „dem Ausländer“ die Rede.
Ist das nicht Wortklauberei?
36 Jahre, ist Professorin für Öffentliches Recht und Krisenresilienz an der Universität Augsburg. Sie ist im Deutschen Juristinnenbund Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung.
Erstens gibt das Grundgesetz Geschlechtergerechtigkeit vor. Diesem Auftrag sollte man als Staat auch sprachlich gerecht werden. Dessen ungeachtet wird Arbeitsmigration immer noch sehr männlich gedacht. Außer es geht um „typische“ Frauenberufe wie Pflege oder Erziehung – also die Entlastung von Care-Aufgaben durch Migrantinnen.
Sie haben Frauen als mitziehende Angehörige genannt. Wie ist da die Situation?
Die Politik hat inzwischen begriffen, dass es für ein Einwanderungsland essentiell ist, auch die Familie von Fachkräften mitzudenken. Der Nachzug von Ehepartner*innen und minderjährigen Kindern ist grundsätzlich möglich, nicht nur für Fachkräfte. Für Inhaber*innen der Blauen Karte – also für zuwandernde Akademiker*innen – soll es jetzt weitere Erleichterungen geben, etwa beim Wohnraum. Bereits heute müssen Ehepartner*innen von Blaue-Karte-Inhaber*innen nicht schon vor der Einreise Deutschkenntnisse nachweisen.
Die sind aber doch wichtig, um hier anzukommen, oder?
Natürlich. Gleichzeitig ist der Zugang zu Sprachkursen in den Herkunftsländern nicht immer einfach. Man könnte auch sagen: Die Frauen sollen diese Sprachfähigkeit durch einen schnellen Zugang zu einem Integrationskurs möglichst zügig hier vor Ort erwerben.
Wir reden über Akademiker*innen. Der Fachkräftemangel in Deutschland erstreckt sich inzwischen aber längst auch auf Menschen mit Berufsausbildung.
Je einfacher man es für Familien macht, desto attraktiver ist man als Land. Das Gesetz und auch die politische Debatte zielen durchaus darauf, auch unterhalb des Akademikerniveaus gezielt anzuwerben. Insofern wäre es sinnvoll, Erleichterungen auch auf diese Gruppe auszuweiten. Familien haben ein Bedürfnis, zusammen zu sein. Nur wenn das unkompliziert möglich ist, werden Menschen auch langfristig herkommen und bleiben.
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