piwik no script img

Juristin über CO2-Einsparung„Klimaschutz hat keinen Vorrang“

Warum werden CO2-intensive Bauprojekte wie neue Straßen immer noch genehmigt? Die Regierungsberaterin Sabine Schlacke erklärt die rechtliche Lage.

Wie viel zählt der Klimaschutz? Ausbau der A14 in Sachsen-Anhalt Foto: Christian Schroedter/imago
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Frau Schlacke, die einzelne neue Straße, vielleicht selbst der einzelne neue Flugplatz machen noch keine Klimakrise – aber letztlich floriert durch sie ein insgesamt klimaschädliches Verkehrssystem. Das Ergebnis sehen wir in der deutschen Klimabilanz, der Verkehr reißt die gesetzlichen CO2-Grenzwerte. Welche Rolle spielt das bei der Genehmigung von Einzelvorhaben?

Im Interview: Sabine Schlacke

Die Rechtsprofessorin, 55, lehrt an der Universität Greifswald. Seit 2008 ist sie Mitglied und seit 2016 Ko-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.

Sabine Schlacke: Auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben ist Klimaschutz zu berücksichtigen. Das regelt seit 2019 das Klimaschutzgesetz in seinem Paragrafen 13.

Was heißt „berücksichtigen“?

Berücksichtigen heißt, dass die Behörde die Auswirkungen des Vorhabens in Bezug auf die nationalen Klimaschutzziele zu ermitteln, zu bewerten und in die Zulassungsentscheidung als einen Belang einzustellen hat. Klimaziele sind insbesondere die Reduktion von Treib­hausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent sowie die Erreichung von Klimaneutralität bis 2045. Berücksichtigen meint allerdings nicht, dass sich der Klimaschutz immer durchsetzt, sondern er wird gegenüber anderen Belangen abgewogen.

Der Klimaschutz hat keinen Vorrang vor anderen Interessen?

Nein, das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2022 im Fall einer neuen Autobahn und jüngst bei der Zulassung einer Pipeline für ein LNG-Terminal ganz klar entschieden. Der Klimaschutz muss in die Abwägung einbezogen werden, hat aber keinen Vorrang.

Was hieß das für die Autobahn?

Die Autobahn durfte gebaut werden. Es handelte sich um ein Teilstück der Nordverlängerung der A 14 in Sachsen-Anhalt. Die Planfeststellungsbehörde hatte festgestellt, dass das neue Autobahnteilstück zusätzlichen Verkehr erzeugt und damit klimaschädlich ist. Es trage jedoch allenfalls ein Zehntel Promille zur deutschen Jahresemissionsmenge bei. Deshalb durfte der Verkehrsnutzen höher bewertet werden, denn der Lückenschluss im Autobahnnetz verbinde Sachsen-Anhalt erstmals mit den Ostseehäfen.

Auch in manchen Bundesländern gibt es Klimaschutzgesetze. In Baden-Württemberg zum Beispiel wird verlangt, dass der Klimaschutz bei Projekten nach Landesrecht „bestmöglich zu berücksichtigen“ ist. Was bedeutet das?

Der Klimaschutz ist hier ein bisschen stärker gewichtet. Aber der Unterschied ist nicht groß. Es geht eben auch in Baden-Württemberg nur um ein „Berücksichtigen“, nicht um einen Vorrang.

Ist das denn mit dem berühmten Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 vereinbar?

Bisher wohl ja. Aber die Karlsruher Richterinnen und Richter haben auch klargemacht, dass die Erreichung des Klimaneutralitätsziels bei fortschreitendem Klimawandel an relativem Gewicht gewinnt – das wirkt sich auch auf die Zulassung von Einzelvorhaben aus.

Wäre spätestens dann nicht eine klare Prioritätensetzung erforderlich, dass zum Beispiel nur noch die allerwichtigsten neuen Straßen gebaut werden dürfen?

Wir haben in Deutschland kein Gremium, das sagt: Die Umgehungsstraße in A ist wichtiger als die Umgehungsstraße in B. Das ist im Föderalismus auch schwer vorstellbar.

Beim Autobahnbau gibt es aber den zentralen Bundesverkehrswegeplan.

Stimmt, da wäre eine klimapolitische Prioritätensetzung möglich. Aber verfassungsrechtlich ist das auch dann noch nicht zwingend. Dem Klima ist es egal, ob CO2 beim Verkehr oder bei Heizungen von Häusern eingespart wird.

Muss bald nicht alles getan werden, was vertretbar und möglich ist?

Sehr wahrscheinlich. Aber was vertretbar ist, muss eben immer in der jeweiligen Situation unter Abwägung aller betroffenen Rechtsgüter geklärt werden. Wenn es um Einzelvorhaben geht, entscheiden das im Streitfall die Verwaltungsgerichte.

Wer kann klagen, um den Klimaschutz bei Einzelvorhaben wie Autobahnen, Flugplätzen und neuen Baugebieten vor Gericht verhandeln zu lassen?

Jeder anerkannte Umweltverband und außerdem Grundeigentümer, die wegen des Vorhabens enteignet werden sollen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • lt eines Umfrageergebnisses von letzter Woche machen sich die menschen Sorgen wegen Krieg und Unruhen und wegen einer wirtschaftlichen Verschlechterung. Der Klimawandel und die Probleme damit sind weit nach hinten gerückt. Mit dieser Awareness der Menschen kann man schon eine laxere Politik in Sachen Umwlet und Nachhaltigkeit durchziehen.

  • "Jeder anerkannte Umweltverband und außerdem Grundeigentümer, die wegen des Vorhabens enteignet werden sollen."

    Also nicht die Betroffenen (Du & Ich und alle anderen Menschen) .



    Schöne Gesellschaft in der wir hier leben.

    Ist doch genau der selbe Scheiß wie bei den Planverfahren der AKWs.

    Die Menschen im Bereich der "Wolke" durfen sich nicht äußern oder gar klagen ...