Juristin über Bürokratie und Naturschutz: „Oft hapert es an der Koordination“

Wenn wir den Bau von Gleisen, Windrädern oder Leitungen nicht beschleunigen, schaffen wir die Energiewende nicht. Das sagt die Juristin Ines Zenke.

Ein Mann auf einer Straße vor einem Fels

Umstrittener Fels. Mitglied der Bürgerinitiative „Salpeterbewegung. Pro Albtalstraße“ Foto: Wilma Leskowitsch

taz am wochenende: Frau Zenke, ein Windrad oder ein paar Kilometer Gleisstrecke zu bauen, dauert in Deutschland manchmal Jahrzehnte. Warum?

Ines Zenke: In der Praxis hapert es nach meiner Erfahrung bei Verzögerungen oft an der Koordination der verschiedenen Fachbehörden, die an einem großen Genehmigungsverfahren ja beteiligt sind. Oft bestimmt der Langsamste das Tempo. Hier sollte die Bundesimmissionsschutzbehörde gestärkt werden, die das Verfahren führt. Außerdem könnte man Projektmanager einführen, die es bislang nicht in allen Bundesländern gibt. Sie übernehmen einen Teil der Abstimmung zwischen den Beteiligten und verbessern das Verständnis füreinander. Aber auch die Antragsteller können etwas beitragen, indem sie bestens vorbereitete Anträge einreichen.

Welche Infrastrukturprojekte haben es besonders schwer?

Vor allem solche, die wegen ihrer räumlichen Ausdehnung besonders viele verschiedene Landschaften, Situationen sowie eine erhebliche Anzahl von Bürgerinnen und Bürger betreffen. Die jüngst diskutierte Uckermarkleitung nördlich von Berlin zum Beispiel soll 115 Kilometer lang sein. Natürlich zieht ein solches Vorhaben besonders viel Aufmerksamkeit auf sich. Hinzu kommt, dass für bestimmte Projekte auch das Prüfprogramm im Genehmigungsverfahren anspruchsvoll ist. Bei einem Windpark sind die Fragen nach dem Vogelschutz nun einmal schwieriger zu beantworten als bei einem Blockheizkraftwerk.

ist Juristin mit dem Schwerpunkt Energierecht. Sie ist Honorarprofessorin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde im Lehrgebiet Infrastrukturrecht und Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD.

Man könnte ja auch sagen: Macht nichts, dass es so lange dauert, schließlich müssen sich alle, die ein Recht dazu haben, gegen Straßen, Schienen oder Windräder wehren können.

Selbstverständlich steht es jedem Beteiligten, jeder Betroffenen frei, die Einhaltung seiner/ihrer Rechte auch prüfen zu lassen. Genauso wie es selbstverständlich sein sollte und regelmäßig auch ist, dass den gegen ein Projekt erhobenen Einwendungen akribisch nachgegangen wird. Um die Hinweise schnell, aber trotzdem richtig abzuarbeiten, braucht es bei den Behörden ausreichend und am besten bereits langjährig erfahrenes Personal. Hier geht es nicht nur um den allgemeinen Fachkräftemangel, den wir alle spüren. Es geht auch um den notwendigen Austausch unter den Behörden. Es hat ja nicht jede Genehmigungsbehörde alle Tage mit einem Leuchtturmprojekt der Energiewende zu tun. Hier wird es wichtig, dass Verwaltungsmitarbeiter auch dezentral auf Fachexpertise zugreifen können. Dass wir Infrastrukturprojekte schneller genehmigen, ist essenziell für den Klimaschutz. Ohne neue Windräder, Gleise oder Stromleitungen schaffen wir die Energiewende nicht.

Halten Sie die vor Kurzem eröffnete Fabrik des Autoherstellers Tesla in Brandenburg für ein gelungenes Planungs- und Genehmigungsbeispiel? Alles ging rasend schnell, und jetzt ist der Ärger zum Beispiel über eine zu hohe Wasserentnahme groß.

Das Tesla-Beispiel zeigt zunächst einmal, dass es grundsätzlich möglich ist, ein solch umfassendes Projekt in sehr kurzer Zeit zu realisieren. Das ist ja nicht wenig. Es wird aber auch deutlich, was es noch zu tun gibt. Wenn wir Projekte in dem Umfang und der Anzahl umsetzen wollen, die nötig sind, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, müssen wir immer so schnell sein. Schnell ging es bei Tesla aber vor allem deswegen, weil das Unternehmen bereit war, mit dem Bau auf der Grundlage einer sogenannten Zulassung des vorzeitigen Beginns zu starten. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung gibt es dabei zwar trotzdem. Es bleibt aber das Risiko, dass das Unternehmen auf eigene Kosten zurückbauen muss, wenn sich im weiteren Verfahren doch noch durchgreifende Bedenken gegen das Projekt ergeben. Nicht jeder kann oder will dieses Risiko tragen.

Lassen sich die Verfahren beschleunigen, ohne die Interessen des Naturschutzes oder von Betroffenen zu vernachlässigen?

Natürlich. Einwände müssen möglichst frühzeitig vorgebracht und abgearbeitet werden können. Zum anderen müssen in der Verwaltung zusätzliche Ressourcen geschaffen werden, um den ja vorhandenen Prüfaufwand zu stemmen. Es geht nicht darum, Entscheidungen auf Kosten der Prüfqualität zu beschleunigen, sondern darum, die Genehmigungsverfahren insgesamt zu stärken. Dafür müssen wir Verfahren auch vereinfachen und standardisieren. Hilfreich wäre hierbei zum Beispiel eine Technische Anleitung, kurz TA. Das sind Verwaltungsvorschriften, die Umweltrecht konkret und detailliert beschreiben, was Sicherheit für alle Beteiligten schafft. Für Luftreinhaltung, Lärm oder Siedlungsabfall gibt es sie schon. Solche Vorgaben wären auch für den Artenschutz sinnvoll.

Welchen Vorteil hätte es, Bewohnerinnen und Bewohner oder Umweltverbände früher als bislang in die Planungen für Großprojekte miteinzubeziehen?

Es könnte früher mit der Prüfung von Einwendungen begonnen werden und Arbeitsschritte könnten parallel laufen. Allerdings steht zu Beginn der Planung natürlich noch nicht im Detail fest, wie ein Vorhaben ausgeführt wird. Deswegen kann die Öffentlichkeitsbeteiligung andererseits auch nicht vollständig zeitlich vorverlagert werden.

ist Juristin mit dem Schwerpunkt Energierecht. Sie ist Honorarprofessorin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde im Lehrgebiet Infrastrukturrecht und Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD.

Lassen sich die Interessen von Naturschutz und Infrastrukturprojekten denn überhaupt immer in Einklang bringen? Oder anders: Müssen wir uns daran gewöhnen, dass es bestimmte Projekte eben nicht gibt? Nach dem Motto: Artenschutz darf auch mal schmerzen?

Nun, man könnte sagen: Es kann nicht jedes Projekt an jedem beliebigen Standort realisiert werden. Das stimmt sicherlich, doch dürfte das Problem ein anderes sein. In vielen Fällen, in denen es heute noch heißt, dass ein Vorhaben nicht möglich ist, wurden die Möglichkeiten für einen schonenden Ausgleich zwischen Infrastrukturentwicklung und Naturschutz noch gar nicht umfassend bewertet. Die Bundesregierung ist dabei, diesen Bereich voranzubringen, jedoch stehen wir hier noch am Anfang.

Naturschutz ist Ländersache, häufig sind auch lokale Naturschutzbehörden eingebunden. Auf welcher Ebene müsste der Gesetzgeber aktiv werden, um die Verfahren effizienter und zugleich wirkungsvoller zu gestalten?

Der Vollzug von Umweltgesetzen und die Gestaltung von Behördenstrukturen liegen in den Händen der Länder, das ist richtig. Die Grundlagen für Planungs- und Genehmigungsverfahren bilden aber Bundesgesetze. Der Bund könnte hier steuernd mit eingreifen.

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