Juraprof über Presse in den USA: „Unser rechtlicher Rahmen beruhigt mich“
Die US-Verfassung biete noch Schutz vor den Angriffen von US-Präsident Donald Trump auf die Presse, sagt Juraprofessor Russell Miller. Ein Gespräch.

taz: Die Trump-Regierung greift die Pressefreiheit in den USA an mehreren Fronten an. Wie solide sind die gesetzlichen Garantien?
Russell Miller: Ich bin noch ziemlich zuversichtlich, was den rechtlichen Rahmen zum Schutz der Pressefreiheit angeht. Ich möchte nicht das Thema wechseln, aber in gewisser Weise sind die nichtrechtlichen Herausforderungen für die Presse im Moment viel bedrohlicher. Es gibt eine Zersplitterung der Medien, da die sozialen Medien eine immer größere Rolle spielen, und dazu eine größere Konzentration bei den Eigentümern der Medien. Dazu kommt das allgemeine Misstrauen. In unserem System haben wir sogar fast eine Kultur der Feindseligkeit gegenüber den Medien. Und gegen diese soziokulturelle Erosion kann das Rechtssystem nicht viel ausrichten.
taz: Dennoch braucht ein System rechtliche Leitplanken. Eine ziemlich gute scheint der erste Zusatzartikel zur Verfassung zu sein, in dem die Redefreiheit festgeschrieben ist.
Miller: Genau. Der erste Verfassungszusatz beschäftigt sich mit dem, was wir „prior restraint“ nennen. Das geht bis auf die amerikanische Revolution zurück. Davor beurteilte der König, was veröffentlicht werden durfte, und erteilte Lizenzen für bestimmte Inhalte. Davor bietet die Verfassung einen fest verankerten Schutz.
taz: Könnte man dieses Prinzip auf den Fall der Associated Press anwenden, deren Journalisten Trump aus dem Oval Office verbannt hat, weil sie sich weigerten, den Begriff „Golf von Amerika“ zu übernehmen?
Miller: Stellt man es so dar, dass der Ausschluss einer Journalistin aus dem Pressepool sie daran hindert, eine bestimmte Nachricht zu berichten, könnte das diesen Schutz gegen Zensur und „prior restraint“ berühren. Eine ebenso wichtige Doktrin des ersten Verfassungszusatz ist die „chilling doctrine“. Der Gedanke dahinter: Die Politik geht nicht gegen die Berichterstattung eines einzigen Journalisten vor und wirkt daher auf den ersten Blick neutral. Aber sie schreckt eine mögliche Rednerin ab, bringt sie zum Nachdenken: Wird das, was ich tun will, rechtliche Folgen haben? Es gibt auch einige neuere Fälle, die sich nicht auf den Ersten Verfassungszusatz berufen, sondern auf den Fünften, der ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert.
taz: Nennen Sie ein Beispiel.
Miller: Ich denke da an „CNN v Trump“ im Jahr 2018. Der Reporter Jim Acosta wurde aus dem Weißen Haus geworfen, weil er unangenehme Fragen gestellt hatte, woraufhin das Gericht anordnete, dass sein Pressezugang wieder hergestellt werden muss. Nicht so sehr wegen des Ersten Verfassungszusatzes, sondern wegen dieses Rechtsstaatlichkeitsbegriffs in unserer Verfassung, der besagt, dass der Staat nicht willkürlich oder aus Animosität handeln darf. Wenn wir über die Versuche der Trump-Regierung reden, Journalisten auszuschließen, überzeugt und beruhigt mich dieser rechtliche Rahmen.
taz: Eine weitere Taktik der Regierung ist es, Medienhäuser mit kostspieligen Verleumdungsklagen anzugreifen. Es gibt das Urteil im Fall „New York Times v Sullivan“ aus dem Jahr 1964, in dem der Oberste Gerichtshof das Recht von Amtsträgern, wegen Verleumdung zu klagen, stark eingeschränkt hat. Es besteht jedoch die Sorge, dass ein neues Urteil diesen Präzedenzfall aufheben oder verwässern könnte.
Miller: Das Urteil „NYT v Sullivan“ ist sehr eindeutig. Es ist wiederholt angewandt worden. Es ist ein Grundpfeiler unserer Rechtssprechung. Und so wie Präzedenzfälle hier in den USA funktionieren, sollte das Urteil für immer bindend sein. Eine große neue Studie von mir zeigt aber, dass das Oberste Gericht ein neues Verständnis davon hat, wie verbindlich Präzedenzfälle sein sollten. Wir haben wiederholt wichtige Entscheidungen gesehen, in denen das Gericht etablierte Präzedenzfälle gekippt hat. Die Dobbs-Entscheidung hat etwa „Roe v Wade“ gekippt und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch abgeschafft.
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taz: Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf im Rechtssystem?
Miller: Ich würde gern ein Recht auf Nachrichtenbeschaffung sehen. Etwa eine Mischung aus dem Ersten Verfassungszusatz und dem Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren, die besagt, dass man mich als Journalisten nicht daran hindern darf, Informationen zu sammeln, zu berichten und mein Recht auf freie Meinungsäußerung auszuüben. Da würde ich gerne eine stärkere Grundlage sehen.
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