Junge Schulsprecherin über Engagement: „Wächst mir auch mal über den Kopf“
Aylin Ünveren ist 13 Jahre alt und Schulsprecherin an ihrem Berliner Gymnasium. Nachmittags abhängen geht da kaum, denn sie nimmt ihren Job sehr ernst.
wochentaz: Aylin, du bist 13 Jahre alt. Was macht man in dem Alter, wenn man nachmittags von der Schule nach Hause kommt?
Aylin Ünveren: Ich mache sofort Hausaufgaben. Dann esse ich etwas. Dann entspanne ich mich. Und dann muss ich als Schulsprecherin nachmittags oft noch viel an Projekten arbeiten und Gremiensitzungen organisieren oder E-Mails verfassen an Lehrer oder an die Schulleitung. Manchmal mache ich mir extra morgens im Unterricht erst mal eine To-do-Liste für den Nachmittag.
Die Schülerin
Aylin Ünveren, 13 Jahre alt, geht in die 8. Klasse des Heinz-Berggruen-Gymnasiums in Berlin-Charlottenburg. In ihrer (knappen) Freizeit interessiert sie sich für Fußball und hat auch selbst in einer Mädchenmannschaft gespielt. Bei einer berlinweiten Wahl zur „Klassensprecherin des Jahres“ wurde Aylin im vergangenen Jahr auf den 3. Platz gewählt. Die Jury hatte ihr Engagement beeindruckt, wie es „auch bei wesentlich älteren Schüler*innen“ selten zu finden sei. Später will sie einmal Berufspolitikerin werden: „Den Job stelle ich mir so ähnlich vor wie den einer Schulsprecherin – nur, dass ich dann keine Schule mitgestalte, sondern eine Stadt oder ein Land.“
Die Sprecherin
Der oder die Schulsprecher*in vertritt, im Team mit bis zu drei Stellvertreter*innen, die Interessen aller Schüler*innen einer Schule. Dafür kann die Gesamtschülervertretung – alle Klassensprecher*innen – bis zu zweimal im Monat während der Unterrichtszeit zu Sitzungen einberufen werden. Das wichtigste demokratische Beschlussgremium einer Schule ist die Schulkonferenz. Sie ist paritätisch besetzt mit Vertreter*innen für Schüler*innen, Eltern und Personal und entscheidet zum Beispiel auch über Budgetfragen.
Ich hätte jetzt gedacht, man hängt als Teenager auch einfach mal gerne ab nach der Schule.
Es passiert schon mal, das andere ins Kino gehen, und ich schreibe dann abends noch eine E-Mail. Finde ich dann in dem Moment auch manchmal schade. Aber ich habe mir den Job als Schulsprecherin ja selbst ausgesucht. Das muss man also auch auf sich nehmen wollen, denke ich. Am Wochenende habe ich dann Zeit für mich. Aber klar, manchmal wächst mir das auch mal über den Kopf, das war auch schon Thema mit meinen Eltern zu Hause.
Wie sieht dieser Job aus, wie du es nennst, was macht eine Schulsprecherin?
Ich schaue, was sich die Schülerschaft wünscht, was man verbessern kann. Dann schreibe ich E-Mails an die Lehrer und schaue, was ich erreichen kann. Wir haben einen Wunschbriefkasten bei uns an der Schule, da können alle Schüler ihre Wünsche reintun.
Was sind das für Wünsche, um die du dich kümmerst?
Die Oberstufenschüler wünschen sich zum Beispiel gerade Räume, die sie in ihren Freistunden für Hausaufgaben nutzen können. In der Mensa sind oft auch viele jüngere Klassen, da gibt es wenig Ruhe. Das ist gerade ein Thema: Ruheräume.
Wie viele Stunden sind das am Nachmittag, die du für diese Anliegen brauchst?
Das kommt darauf an. Manchmal ist es eine Stunde am Tag, manchmal auch weniger. Den Wunschbriefkasten leere ich immer freitags.
Wie gesagt, du könntest nachmittags auch einfach abhängen – und eben nicht nur am Wochenende. Was treibt dich an?
Ich finde, Schule ist ein Ort für die Schüler. Natürlich auch für die Lehrer. Aber ich glaube, jedes Kind hat das Recht, dass das Lernen angenehm ist. Ich will die Schule zu einem besseren Ort machen. Für alle.
Das ist ein großes Ziel. Wie kommt man da hin?
Ich muss Anwältin sein für meine Mitschüler. Wenn sie ein Problem untereinander haben oder auch wenn es Probleme mit den Lehrern gibt. Ich höre mir auch private Probleme an. Das ist manchmal nicht ganz einfach. Und ich bereite Gremiensitzungen vor.
Das ist viel Verantwortung.
Ja, das stimmt.
Wenn du dich nicht kümmern würdest, würden die Interessen von euch Schüler*innen übersehen?
Das hängt nicht alleine an mir, die Schülerschaft an meiner Schule ist insgesamt sehr engagiert. Aber ich glaube, wenn wir Schulsprecher – wir sind ja ein Team – nicht wären, dann würden viele Projekte nicht so unterstützt an der Schule und vor allem nicht so schnell umgesetzt werden.
Was meinst du konkret, wo würdet ihr Schüler nicht gehört worden?
Ich sage jetzt mal ein Beispiel: der Weihnachtsbasar. Das fanden die Lehrer zu aufwändig, deshalb wurde das nichts. Jetzt haben wir gedacht: Okay, dann eben ein Sommerfest. Wir würden nämlich gerne nach den Coronajahren mal wieder alle zusammenkommen und ein Fest feiern. Wir fangen dafür schon jetzt an mit den Planungen, gemeinsam mit den Eltern und Lehrern, damit das auch etwas wird, anders als der Weihnachtsbasar. Alle Klassensprecher sollen jetzt Umfragen in ihren Klassen machen, was sie sich für ein Fest wünschen. Dann wollen wir die Elternvertreter mit einbeziehen. Wenn die Eltern mit dabei sind, ist das mehr Druck für die Schulleitung.
Warum braucht es so viel Druck, damit man eure Interessen im Blick hat?
Ich glaube, es ist ein Zeitproblem. So wie ich das verstehe, hat nicht jeder Lehrer Lust darauf, sich am Nachmittag noch extra Gedanken zu machen und Dinge gemeinsam mit den Schülern vorzubereiten. Dabei wäre es sehr schön für uns Schüler, wenn das mehr passieren würde.
Da müsst ihr euch selbst drum kümmern.
Ja, genau.
Um welche Projekte musst du dich gerade noch selbst kümmern?
Ich würde gerne eine Mädchen-Fußball-AG gründen. Ich habe selbst Fußball gespielt. Und ich weiß, dass viele Mädchen gerne Fußball spielen würden, aber vielleicht nicht unbedingt die Möglichkeit haben, in einen Verein zu gehen. Ich finde, wir brauchen diese AG bei uns an der Schule. Ich habe schon mit der Fachbereichsleitung Sport, also den Sportlehrern, gesprochen, ob es freie Hallenzeiten gibt. Aber leider ist nachmittags alles ausgebucht mit Vereinssport. Jetzt gucke ich gerade nach freien Hallen in der näheren Umgebung der Schule.
Das machst du alles alleine?
Es war meine Idee, also kümmere ich mich besonders darum. Aber die anderen Schulsprecher unterstützen mich.
Wird dieses Engagement von den Lehrkräften gesehen – oder ist da auch ein Gefühl der Genervtheit: Jetzt schon wieder diese Schüler mit ihren Extra-Projekten!
Das kommt immer auf die Lehrkräfte an. Die meisten unterstützen uns natürlich und interessieren sich für unsere Arbeit, aber manche sagen dann: Muss das jetzt sein?
Was sagst du dann?
Ich schaue, ob man einen Kompromiss findet. Aber ich versuche, meinen Plan durchzusetzen. Zum Beispiel das Sommerfest: Die Lehrer unterstützen uns leichter, habe ich festgestellt, wenn wir möglichst viel selbst machen, wenn wir sie nicht so sehr brauchen. Deshalb versuchen wir jetzt in den Klassen viele Ideen zu sammeln, die wir alleine umsetzen können.
Du bist in der 7. Klasse Schulsprecherin geworden, das ist ungewöhnlich – meist ist man für dieses Amt mindestens in der Oberstufe. Wie setzt du dich durch?
Also, bei den ersten Gremiensitzungen haben mich die Älteren schon ein bisschen komisch angeschaut, was ich denn da vorne zu suchen hätte. Aber ich habe mir dann gesagt: Die Mehrheit hat mich gewählt und das zwei Jahre in Folge. Deshalb gehe ich immer selbstbewusst und zielgerecht an die Sache ran.
Herrscht in der Schulkonferenz, dem höchsten Beschlussgremium der Schule, wo ihr als Schülervertreter*innen neben Lehrkräften und Elternvertreter*innen sitzt, eigentlich Augenhöhe?
Ja, wir dürfen alle unseren Senf dazugeben. Das ist auch gefragt. Wir haben zum Beispiel kürzlich über ein neues Handykonzept für die Schule gesprochen. Wir haben derzeit ein System, das nennt sich Handy-Ampeln – wo die Handyampel Rot zeigt, dürfen keine Handys benutzt werden.
Zum Beispiel im Klassenraum.
Genau. Aber irgendwie hat sich niemand so richtig daran gehalten, weil es auch nicht akzeptiert war bei den Schülern. Jetzt sollte das Handykonzept neu geschrieben werden, die Schülerschaft sollte sich einbringen – und alle sollten sich dabei entgegenkommen. Wir wollten mehr Freiheiten von den Lehrern. Im Gegenzug wurde von uns verlangt, dass wir uns auch wirklich an das vereinbarte Konzept halten.
Gibt es denn einen Kompromiss?
Ja. Die fünften und sechsten Klassen dürfen gar keine Handys benutzen, im Unterricht ist es auch tabu – es sein denn, die Lehrer erlauben es ganz ausdrücklich. Dafür haben wir Schüler uns durchgesetzt, dass wir die Handys jetzt auch auf den Gängen im Schulgebäude benutzen dürfen. Aber nur mit Kopfhörer oder auf lautlos gestellt, das ist die Bedingung: Es darf nicht laut klingeln.
Würdest du sagen: Schule ist ein demokratischer Ort?
Ja, doch. In den Gremien, in denen ich sitze, findet Demokratie statt. Wir werden alle gehört!
Warum ist das so wichtig aus deiner Sicht?
Wir Schüler sind die nächste Generation. Wir haben ein Recht darauf, dass Lernen angenehm ist. Und es wäre doch schlimm, wenn sich nichts verändert. Die Nachfrage nach Veränderungen ist ja da. Wenn sich die Schüler in der Schule wohlfühlen, haben sie auch viel mehr Antrieb zum Lernen.
Wir haben uns vor einigen Wochen auf einem Podium getroffen, da ging es um Mitbestimmungsrechte für Schüler*innen in der Schule. Viele der Jugendlichen haben gesagt: Noten sind etwas sehr Unfaires, sehr Autoritäres. Wie geht es dir damit?
Ich finde, Noten spiegeln schon ganz gut wider, woran man ist. Ich finde, es ist eine Art der Bestätigung der erreichten Leistungen, anhand denen man an sich arbeiten und sich verbessern kann.
Hast du das Gefühl, man lernt in der Schule, was Demokratie bedeutet?
Wir reden darüber ausgiebig im Politikunterricht.
Hört ihr zu?
Ja. Aber es hängt auch davon ab, wie die Lehrer den Unterricht gestalten. An unserer Schule setzt man auch gerne auf Erklärvideos, mit denen Schüler alles leichter und besser verstehen.
Diskutiert ihr untereinander über Politik auf dem Schulhof?
Wenn eine Wahl ansteht, wie jetzt wieder in Berlin …
… die Wahl zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen am 12. Februar.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Genau. Da hängen ja nun auch überall Plakate. Da fragen wir uns gegenseitig schon auf dem Pausenhof: Für wen bist du?
Die rot-grün-rote Koalition in Berlin will künftig ein Wahlrecht schon mit 16 fürs Abgeordnetenhaus. Im Bundestag blockiert die CDU ein Wahlrecht mit 16 für Bundestagswahlen. Regt dich das auf?
Ich fände es richtig, wenn wir Jugendliche wählen dürften. Man hat ja mit 16 auch durchaus schon einen gewissen Verstand.
Ist 16 nicht auch bloß eine willkürliche Zahl? Warum nicht schon wählen mit 13?
Ich würde es mir jedenfalls zutrauen, und meinen Mitschülern auch. Wir haben unseren eigenen Kopf und wissen, welche Themen uns wichtig sind.
Was ist dir wichtig?
Das Thema Diskriminierung. Letztes Jahr haben wir Schülersprecher den Vorschlag gemacht, dass sich unsere Schule für den Titel Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage bewirbt. Doch einige Klassensprecher wollten das nicht, sie meinten, wir müssten uns einen solchen Titel erst verdienen. Jetzt kommt die Initiative Diskriminierungskritische Schulentwicklung erst mal zu uns, und es gibt Projekttage und Workshops. Übrigens hat sich unsere Schulleitung für dieses Projekt beworben und wir wurden als eine von drei Schulen aus Berlin ausgewählt, bei diesem Projekt mitzumachen.
Ist Rassismus ein Thema an deiner Schule?
Wir haben mal eine anonyme Umfrage gemacht. Und da kam zutage, dass Lehrkräfte sich auch rassistisch geäußert haben sollen gegenüber Schülern. Dazu muss ich aber sagen, dass unsere Schule sehr hellhörig bei dem Thema ist und sofort aktiv wird.
Hast du persönlich schon Rassismus erlebt?
Tatsächlich habe ich weder in der Schule noch sonst im Alltag Rassismus erlebt. Aber ich habe bei Freunden mitbekommen, dass sie wohl aufgrund ihres Nachnamens Probleme bei der Wohnungssuche hatten und andere Familien von Vermietern bevorzugt worden sind.
Du klingst mit deinen 13 Jahren sehr erwachsen, wie du über dein Amt als Schulsprecherin nachdenkst. Ist das eigentlich schwierig für dich, ständig dieses Amt mit dir herumzutragen – spürst du da von Seiten deiner Altersgenoss*innen auch Unverständnis?
Manchmal. Als Klassensprecherin ist es zum Beispiel meine Pflicht, bei Vertretungsausfall zu schauen, wo der Lehrer bleibt. Da sind dann viele sauer auf mich, da bin ich die Spielverderberin.
Was hast du dann gemacht?
Ich habe gesagt, ihr habt mich dafür gewählt, dass ich das mache. Manche haben das nicht verstanden, andere schon.
Kommst du damit klar?
Ich versuche, das zu trennen: Ich bin Aylin, die Mitschülerin, aber ich bin auch Klassen- beziehungsweise Schulsprecherin. Und manchmal verzwickt sich das eben ein bisschen.
Stimmt es, dass Mitschüler*innen eine Straße nach dir benennen wollten, weil du dich so für sie einsetzt?
Ja, das war eine Schreibaufgabe im Englischunterricht. Nach wem würdet ihr eine Straße benennen? Da war ich ganz schön gerührt. Es tut gut, wenn man manchmal sieht, dass Leute dankbar sind. Ich mach’s ja für die Schüler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben