Julia Reda zur EU-Urheberrechtsreform: „Der Kompromiss ist Augenwischerei“
Die Europaparlamentarierin kritisiert die jüngste Einigung zur EU-Urheberrechtsreform. Julia Reda über Uploadfilter, Internetkonzerne und Europapolitik.
taz: Frau Reda, am Mittwochabend haben sich die Unterhändler von Rat und Parlament auf Bestimmungen zur EU-Urheberrechtsreform geeinigt. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Julia Reda: Ich bin enttäuscht, da das Parlament die Einigung zwischen Deutschland und Frankreich, die vergangene Woche im Hinterzimmer ausgehandelt wurde, einfach übernommen hat.Ich glaube, da wird das Parlament seiner demokratischen Rolle als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger nicht gerecht.
Bei dem deutsch-französischen Kompromiss geht es darum, dass kleine Unternehmen von den Uploadfiltern befreit sein sollen.
Der Kompromiss ist Augenwischerei. Deutschland tut so, als hätten sie eine Ausnahme für Start-ups bei Uploadfiltern rausverhandelt. Tatsächlich sind die Voraussetzungen, davon zu profitieren so eng, dass sie niemandem helfen. Es reicht nicht, dass man ein kleines Unternehmen ist, man muss auch eine geringe Reichweite haben und jünger als drei Jahre sein. Selbst Ein-Personen-Unternehmen, die keine Ambitionen haben, groß zu werden, sind in diesem Entwurf nach drei Jahren verpflichtet, Uploadfilter einzusetzen. Dazu zählen auch Diskussionsforen oder kleine Plattformen, die urheberrechtlich gar nicht relevant sind.
Machen Uploadfilter denn nicht auch Fehler?
Uploadfilter, die tadellos funktionieren, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das ist technisch ausgeschlossen, weil das Urheberrecht komplex ist. Ein Algorithmus müsste erkennen, was ein kreatives Werk ist. Das ist völlig ausgeschlossen. Youtube hat mit Content-ID einen solchen Uploadfilter, der in der Entwicklung übrigens Millionen gekostet hat. Und alles, was die Filter tun, ist zu gucken, ob bestimmte Aufnahmen vorkommen oder nicht. Was sie nicht können, ist zu prüfen, ob vielleicht eine Ausnahme gilt, die eigentlich die Grundrechte der Nutzer schützen soll. Dazu gehört die Parodiefreiheit, das Zitatrecht. Solange der Algorithmus nicht dazu in der Lage ist, einen Sinn für Humor zu entwickeln, wird er diese Sachen auch sperren.
Jahrgang 1986, sitzt seit 2014 als einzige Piratin im EU-Parlament und ist dort stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Europäischen Grünen. Für die Fraktion ist sie sogenannte Schattenberichterstatterin bei den Verhandlungen zur EU-Urheberrechtsreform.
In der Einigung steht, dass Memes und Gifs, die zum Beispiel in die Kategorie Humor fallen, weiter hochgeladen und geteilt werden können.
Ja, aber sie sind nicht von der Filterung ausgenommen. Sie sind nur keine Urheberrechtsverletzung. Artikel 13 stellt fest, dass Parodien und Zitate in allen Mitgliedstaaten erlaubt sein sollen. Das ist zwar ein erster Schritt, aber dort steht nicht, dass die Uploadfilter die erkennen können. Letztendlich hilft es den Usern wenig, wenn das erlaubt ist, in der Praxis aber der Uploadfilter die Inhalte trotzdem sperrt. Das ist für die Alltagskultur im Netz, Memes, Livestreams völlig unmöglich. Es hilft mir ja nicht, wenn mein Livestream 24 Stunden später zur Verfügung steht, wenn das Ereignis längst vorbei ist.
Angenommen ein freier Reporter ist auf der Straße und streamt live zu einem Ereignis. Wäre das so einfach möglich?
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Uploadfilter Fehler machen und so einen Reporter sperren, wenn zum Beispiel im Hintergrund Musik spielt. Die Konsequenz des Ganzen ist das Gegenteil von dem, was man erreichen wollte. Ich glaube es ist deshalb so weit gekommen, weil es in der EU ein allgemeines Unwohlsein darüber gibt, dass Facebook und Google so eine Macht im Internet haben. Da stimme ich auch völlig zu. Problematisch sind aber die Mittel, die dafür gewählt werden, die wiederum unter anderem von anderen großen Medienkonzernen vorgeschlagen werden. Ich glaube Ziel ist nicht, Google und Facebook eins auszuwischen, sondern den Medienkonzernen gefällt nicht, dass jeder auf solchen Plattform berichten kann. Denn damit nimmt man ihnen ja das Geschäftsmodell. Denn sie sind die Gatekeeper, die Zugang zu Informationen, Nachrichten und Kultur ermöglichen. Ich glaube, die haben gar nichts dagegen, wenn am Ende das Internet aussieht, wie das Kabelfernsehen, weil das ist die Welt, die sie kennen und in der sie groß geworden sind.
Was wäre in Ihren Augen eine bessere Lösung?
Wenn man die großen Plattformen in den Fragen wirklich reguliert, in denen die Probleme sind. Das allergrößte Problem ist das Steuerrecht, da die Firmen im großen Stil Steuervermeidung betreiben und nicht dort Steuern zahlen, wo sie ihr Geld verdienen. Der zweite Punkt: Gerade Google und Facebook haben auf dem Werbemarkt große Verwerfungen erzeugt. Sie dominieren den Werbemarkt. Was wir brauchen ist eine Verschärfung des Steuerrechts und eine gezielte Regulierung von Werbung auf der Basis von persönlichen Daten. Also: Stärkerer Datenschutz, stärkere Werberegulierung, stärkeres Steuerrecht. Die Probleme, die wir mit diesen Plattformen haben, wurden nicht durch das Urheberrecht erzeugt und werden auch nicht durch das Urheberrecht gelöst werden.
In dem Entwurfstext steht, dass es eine faire Lizenzvereinbarung mit Rechteinhabern geben soll. Wie könnten Urheberrechte unabhängig davon besser im Netz geschützt werden?
In der Regelung ist unklar, was Plattformen genau tun sollen. Da steht: Sie sollen größte Bemühungen anstreben, solche Lizenzen zu bekommen. Es stellt sich die Frage: Von wem? Die Idee scheint so als sei sie von jemandem, der denkt, es gebe fünf Rechteinhaber auf der Welt. Tatsächlich gibt es wahrscheinlich fünf Milliarden. In der heutigen Welt sind auch nicht mehr alle Kreativen in Verwertunggesellschaften organisiert. Die allermeisten Kreativen im Netz sind Amateure und es ist völlig unmöglich, dass Plattformen von allen im Vorfeld Lizenzen einholt. Was man machen könnte, was fairer wäre, ist, wenn große Plattformen, die mit der Verwertung von Useruploads Geld verdienen, pauschale Lizenzen an die Verwertungsgesellschaften zahlen. Dann müssten für die alltägliche Nutzung im Gegenzug Verwertungen legalisiert werden. Wir haben das in Deutschland für die Privatkopie. Die finden auch nicht alle gut. Sowas könnte man auch für private Plattformen machen. Remixes und Memes wären erlaubt und im Gegenzug bekommt die Verwertungsgesellschaft eine Pauschale. Das fände ich fair.
Sie fordern das EU-Parlament auf bei der bevorstehenden Abstimmung, gegen die Einigung zu stimmen. Gehen sie davon aus, dass der vorliegende Text abgelehnt wird?
Ich bin relativ zuversichtlich, dass das Parlament mindestens die Uploadfilter ablehnt, hoffentlich auch das Leistungsschutzrecht. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Verhandlungsergebnisse werden ohne Änderung durchgewunken. Dann tritt es sofort in Kraft. Die zweite Möglichkeit ist aber, dass das Parlament auch Änderungen vornehmen kann. Ich werde mich dafür einsetzen, Artikel 11 und Artikel 13 zu streichen.
Warum ist es für viele so kompliziert zu verstehen, was das Leistungsschutzrecht als auch die Uploadfilter eigentlich meinen?
Es gibt bei der Europäischen Kommission eine riesige Schere zwischen Zielen und tatsächlichen Auswirkungen. Also alle Unterstützer dieser Richtlinie reden die ganze Zeit darüber, was die Ziele sind. Dann sagen sie: Das Ziel ist, dass die Plattformen die Kreativen fair bezahlen. Aber die Kritik richtet sich nicht gegen diese Ziele, sondern die Methoden. Das wird auch aus der Wissenschaft, von Menschenrechtsvertretern, wie den UN-Sonderberichterstattern ganz klar gesagt, dass diese Regeln das Gegenteil ihrer Ziele bewirken werden. Stattdessen werden große Plattformen noch stärker gemacht und kleine Kreative geschädigt. Das ist das zentrale Missverständnis, es wird ständig über die Absichten dieser Reform geredet und nicht über das, was sie bewirkt.
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