Jugendlicher Polit-Youtuber aus Bremen: „Fragen kostet nichts“
Leonard Geßner ist 15 Jahre alt. Für sein Online-Format „Die Fragen stelle ich!“ interviewte er zwei Jahre lang Politiker*innen – nur scheinbar naiv.
Es scheint, als spekuliere er darauf, dass die überwiegend geschliffenen Rhetoriker*innen bei einem anfangs ja gerade mal 13 Jahre alten Interviewer nicht ganz so auf der Hut. Da ist es dann vielleicht kein bisschen naiv, wenn er Alice Weidel (AfD) fragt, ob sie gerne Bundeskanzlerin wäre. Oder Jens Spahn (CDU), wie er es eigentlich geschafft habe, Bundesminister zu werden.
Geßner beginnt immer mit der Bitte ans Gegenüber, sich kurz vorzustellen. Und schon da sind die Reaktionen interessant. Fast alle stocken kurz – solche Polit-Alphatierchen setzen offensichtlich voraus, dass sie keiner Vorstellung mehr bedürfen. Aber Geßner hat den Anspruch, den Menschen seiner Generation Politik näher zu bringen, und da ist es mit der Bekanntheit der ach so Bekannten nicht weit her.
Eine einzige Einstellung
„Politik der Generation Z“ heißt Geßners Youtube-Kanal – ein geradezu altbackener Titel, und mit den Medienvorlieben heutiger Zwölf- bis 18-Jähriger scheint auch das Format selbst erst mal wenig zu tun zu haben: Zwischen 15 und 37 Minuten lang sind die Beiträge und bestehen meist aus einer einzigen Kameraeinstellung: links Geßner, rechts sein Gast. Oder umgekehrt.
Natürlich hat er kein Team, und wenn er in den vergangenen zwei Jahren ungefähr alle zehn Wochen für einige Tage nach Berlin fuhr, passte seine gesamte Aufnahmetechnik in Geßners Rucksack. Manchmal schaut er während des Interviews dann auch besorgt in die Kamera: Gleich bei einem seiner ersten Interviews überhitzte seine Digitalkamera und fiel aus.
Die Beiträge auf seinem Kanal bestehen also zum allergrößten Teil aus Gesprächen eines Schülers mit Profi-Politiker*innen; solchen aus Bremen, aber auch echten Bundesebene-Promis. Dabei weiß Geßner selbst: Die Konzentrationsspanne von Mediennutzer*innen seiner Generation, das gilt als erwiesen, ist kurz. Und dennoch macht er die Sache richtig, er wirkt authentisch und glaubwürdig.
Sein minimalistischer Stil wurde aus der Not geboren: Damals mit 13 wusste er kaum etwas von Kameraperspektiven oder Schnitt, Geld hatte (und hat) er auch keins. Er sieht ein wenig aus wie ein Klassenprimus und braver Sohn – seine einzige Referenzperson ist laut den Interviews, die ausnahmsweise mal er anderen gegeben hat, denn auch seine Mutter. Die habe gesagt: „Fragen kostet nichts“, als er mit der Idee zu ihr gekommen sei.
Am Frühstückstisch ausgefragt
„Nicht vor dem ersten Kaffee“, auch das könnte sie mahnend gesagt haben: Schon als Zehnjähriger nervte er am Frühstückstisch die Eltern, wenn er auf dem öffentlich-rechtlichen Kinderkanal die Informationssendung „Logo“ gesehen hatte und unbedingt darüber reden wollte, was das denn eigentlich sei: Politik. Er ist schon deshalb untypisch für seine Generation, weil er sich für Politik interessiert, ja: begeistert. Er will aber andererseits nicht die Welt verändern, ist nicht empört über soziale Ungerechtigkeit oder die Zerstörung der Natur.
In diesem Sinne könnte man das erwähnte Interview mit Jens Spahn für Geßners autobiografisch aufschlussreichstes halten: Wenn der Bundesgesundheitsminister davon erzählt, warum er selbst als 14-Jähriger begann, sich politisch zu engagieren, und wie dann aus dem Hobby ein Beruf wurde, dann spricht er da offensichtlich zu einem Seelenverwandten – und gibt ihm nebenbei gleich noch ein paar Karrieretipps.
Denn Geßner will nicht etwa Journalist werden, sondern Politiker, sich engagieren in Sachen Rente und für die Digitalisierung an den Schulen. „In ein paar Jahren“, sagt er, „werde ich mich dann für eine Partei entscheiden“: Da spricht beinahe schon ein angehender Berufspolitiker, der sich nicht zu früh in die Karten schauen lassen will. Tatsächlich ist es schwer bis unmöglich, Geßner politisch einzuordnen, auch nicht anhand des Buchs, das er gerade herausgebracht hat – auch das trägt den Titel „Politik der Generation“ und will erklärtermaßen ein „unbequemer Blick in die Zukunft“ sein. Ebenfalls auf Youtube gibt es ein Video zu sehen von der Buchvorstellung mit Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Auch den hat er schon interviewt, klar.
Was man für politische Unentschiedenheit halten könnte, kommt ihm bei seinen Interviews sichtlich zugute: Geßner hat Gregor Gysi von der Linkspartei interviewt, aber mit Alice Weidel, Beatrix von Storch und Alexander Gauland gleich drei Politiker*innen der AfD. Und am Ton seiner Fragen ist nie zu erkennen, wie er selbst das Gesagte bewertet. Er wirkt professionell und immer gut vorbereitet. Ein höflicher, schmächtiger junger Mann, der vielleicht Beschützerinstinkte weckt – und so eben manche Antwort zu hören bekommt, die andere nicht aus den gewieften Befragten herausgekitzelt hätte.
Klicks dank Kontroverse
Geßner hat den erklärten Anspruch, mit Politiker*innen aller Richtungen zu reden. Umstritten sind, kaum überraschend, die Beiträge mit den Vertreter*innen der rechten AfD. Er erzählt, eine Stiftung habe sich deshalb von der Mitfinanzierung seines Projektes zurückgezogen. Welche Stiftung? Das sagt er nicht, auch darin höchst professionell. Andererseits haben nur diese unter seinen Videos fünfstellige Aufrufzahlen, viele andere liegen im unteren bis mittleren dreistelligen Bereich.
Am meisten lernen kann aus diesen Gesprächen wohl das politische Wunderkind Leonard Geßner selbst. Wenn drei weitere Jahre in der Schule erst um sind – es seien „leider noch so viele, sagt er –, will er Jura studieren, Wirtschaftsrecht interessiere ihn zurzeit besonders. Dass seine Unternehmung sich wirtschaftlich nicht rechnet, weiß er: Er finanziere seine Aktivitäten von Taschen-, Weihnachts- und Geburtstagsgeld, auch die Eltern unterstützten ihn.
Das öffentlich-rechtliche „Content-Netzwerk“ Funk, ausdrücklich dem Nachwuchs gewidmet, lehnte es ab ihn zu unterstützen, und dann die Sache mit der nicht näher benannten Stiftung. Auch sein Buch, herausgebracht und vermarktet auf eigene Faust, werde mit viel Glück gerade mal die Kosten einspielen, sagt Geßner. Immerhin: Für 25 Euro erwarb er im Netz ein Logo, das aussieht, als wäre ein Legostein mit einem Pfeil gekreuzt worden. Und zu Beginn jedes Videos erklingt eine kurze, so billige wie einfallslose Fanfare aus dem Synthesizer – alles für die Marke.
Auch als Folge von Corona hat Leonard Geßner „Die Fragen stelle ich!“ beendet. Ab November plant er ein neues Projekt, auch dafür will er Politiker*innen interviewen. Die alte Serie wiederauferstehen lassen: Das täte er einzig für Angela Merkel. An die Bundeskanzlerin ging eine seiner ersten Anfragen, und er hat es danach immer wieder versucht. Wohl aus Enttäuschung sagt er seinen einzigen ernsthaft kritischen, politisch eher unklugen Satz: Merkels Büro sei von allen „das unfreundlichste“.
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