Jürgen Trittin über Griechenland: „Eine Niederlage für Merkel“
Der Grünen-Politiker findet, dass Griechenland in die EU gehört. Und sagt, warum die Kanzlerin nun einen unbequemen Schritt gehen muss.
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taz: Herr Trittin, Ihre Fraktionsspitze ist enttäuscht über das Nein der Griechen. Sie auch?
Jürgen Trittin: Man sollte solche Entscheidungen nicht zu emotional bewerten. Frust oder Enttäuschung helfen ja jetzt nicht weiter – auch wenn ich anstelle der Regierung Tsipras eine Einigung gesucht hätte, um das Risiko eines Grexits zu vermeiden. Wir müssen nun dringend über die nächsten Schritte reden, um die Einheit des Euro zu wahren und Griechenland als vollwertiges EU-Mitglied zu erhalten. An dieser Position haben die Grünen übrigens nie gezweifelt.
Aber die Sorge vor dem Grexit ist mit dem Nein-Votum noch mal gewachsen. Ist das Ziel, Griechenland im Euro zu halten, nicht inzwischen Wunschdenken?
Nein, das ist die richtige Haltung. Ein Grexit kann formal nur durch Griechenland herbeigeführt werden. Wenn ich die Tsipras-Regierung richtig verstehe, hat sie das nicht vor. Zweitens gibt es aus Sicht Deutschlands und Europas überragende Interessen, einen Grexit zu verhindern. Angesichts der Probleme, mit denen Europa von der Ukraine bis Nordafrika und dem Nahen Osten konfrontiert ist, dürfen wir keine Schwächung der EU riskieren.
Was muss nun auf das Nein zum Sparkurs folgen?
Das Nein ist auch eine Niederlage für Merkel. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit für alle gekommen. Die griechische Regierung muss mit dem starken Mandat im Rücken beweisen, dass sie in der Lage ist, ihr Land jenseits der Austerität zu sanieren. Und Frau Merkel muss einen Schritt gehen, den sie nie gehen wollte. Sie muss zugeben, dass eine Sanierung in Griechenland nicht gelingen kann ohne eine Minderung der Schuldenlast. Ob man das Entschuldung, Umschuldung oder Schuldenschnitt nennt – es wird genau darauf hinauslaufen, was ja selbst der IWF als unumgänglich ansieht.
Wie könnte der Weg dahin aussehen?
Es braucht dringend einen Sondergipfel der EU-Staatschefs. Und es ist auch klar: Es wird keine substanziellen Verhandlungen geben ohne ein Mandat des Bundestags. Die Bundesregierung muss sich jetzt schnell entscheiden, ob sie ein Mandat für Verhandlungen will. Es wird sicher nicht einfach, aber am Ende ist ein Kompromiss immer noch das am wenigsten schlechte Ergebnis.
60, Ex-Bundesumweltminister, sitzt für die Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Zuvor war er Fraktionschef und Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Nach dem schlechten Ergebnis seiner Partei zog er sich aus der Spitze zurück.
Tsipras hat behauptet, ein Nein stärke Athens Verhandlungsposition. Stimmt das?
Innenpolitisch ist Tsipras natürlich gestärkt – nach einer Zustimmung von über 60 Prozent kann ihm niemand mehr am Zeug flicken. Gegenüber den europäischen Verhandlungspartnern ist er hingegen eher geschwächt und in einer Hochrisikolage. Denn das Nein hat jene Kräfte in Europa – und nicht nur in Deutschland – gestärkt, die Griechenland ohnehin aus dem Euro mobben und den Staatsbankrott in Kauf nehmen würden. Wie das ausgeht, ist völlig offen.
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