Judenhass im Jugendfußball: Tatort Fußballplatz
Sie haben übelste antisemitische Drohungen ausgestoßen und den Hitlergruß gezeigt: Zwei A-Junioren wurden in Berlin nun für zwei Jahre gesperrt.
Das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) hat die beiden Junioren nun verurteilt: zwei Jahre vollständiger Ausschluss aus dem organisierten Fußball. Es ist „die schärfste Individualsanktion, welche die Rechts- und Verfahrensordnung des BFV vorsieht“, heißt es im Urteil. Ihr Verein muss zudem 1.500 Euro Strafe zahlen. Das Team des CFC Hertha 06, das zunächst suspendiert war, darf zwar wieder auflaufen, allerdings wird ein zwischenzeitlich verpasstes Spiel als verloren gewertet, darüber hinaus werden drei Punkte abgezogen. Gegen das Urteil können die Vereine Einspruch einlegen.
Das Sportgericht hat keinen Zweifel, dass hier „schwere Fälle diskriminierenden Verhaltens, darunter antisemitische Äußerungen und Gesten“ vorlagen. „Das ist eine Lüge“, sagt allerdings Ergün Çakır zu den Vorwürfen. Er ist Präsident des CFC Hertha 06 und Vater eines betroffenen Spielers. Ja, sein Sohn habe die Spieler von Makkabi beschimpft, gibt er zu, aber nicht mit solchen Hasstiraden, nicht mit diesen Worten. „Der Junge ist aufgeflippt, aber man muss doch fragen, wieso“, man habe ihn doch die ganze Zeit beleidigt.
Dass nun sein Sohn und ein anderer Spieler seines Vereins so hart bestraft wurden, hält Çakır für falsch. „Die Jungs sind 17, 18 Jahre alt. Man sollte diese Kinder nicht in dieser Art provozieren“, führt er aus. „Man muss ihnen helfen und sie nicht in eine Ecke treiben.“
Schuld an der Eskalation trägt für Çakır der Schiedsrichter, der zu jung sei und kein Fingerspitzengefühl besessen habe. Dass sein Sohn auch den Unparteiischen beleidigt hat, nachdem der ihm Rot zeigte, steht auch in dem Urteil: „Fick dich, du Hurensohn-Bastard, du bist doch von den Juden gekauft.“
Sonderbericht des Schiedsrichters
Von dieser und den anderen antisemitischen Beleidigungen und Drohungen hätten weder er selbst noch etwa 30 andere CFC-Anhänger etwas mitbekommen, sagt Çakır. Die Spieler und die Anhänger des TuS Makkabi haben diese Rufe aber zweifelsfrei gehört. Auch der Schiedsrichter hat sie im „Sonderbericht“, den er für den Verband anfertigte und der der taz vorliegt, mitgeschrieben.
Nach dem Spiel „stand ein Jugendlicher in Zivil ca. drei Meter neben dem Schiedsrichter“, heißt es dort. „Er schien sichtlich aufgebracht über die ausgerollte Israel-Fahne zu sein, die TuS Makkabi für ein Mannschaftsfoto aufgehängt hatte. Äußerst aggressiv schrie er der Gastmannschaft quer über den Platz entgegen: ‚Ich ficke euer Land und eure Fahne, ihr Hurensöhne.‘“ Später habe eine Zuschauerin gerufen: „Verpisst euch doch einfach, ihr Drecksvolk. Immer gibt es Stress mit euch. Immer provoziert ihr.“ Der Schiedsrichter vermerkt auch dies in seinem Bericht.
Hertha-06-Präsident Çakır sagt: „Wenn Makkabi so provoziert, dann werden die hier nie beliebt sein.“ Was er Provokation nennt, ist das Zeigen einer Israel-Flagge, Çakır nennt sie im Gespräch „Judenfahne“.
„Mit Hertha 06 hatten wir schon häufiger Probleme“, heißt es bei Makkabi. Doch das, was ihre A-Junioren erleben mussten, ist ein „Vorfall, den wir so noch nicht erlebt haben“.
Das will etwas heißen. In Berlin gibt es RIAS, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. Die erfasst auch solche judenfeindlichen Vorfälle, die unter der Schwelle des Strafrechts liegen. „Ähnlich wie im Rest der Gesellschaft ist das Dunkelfeld nicht gemeldeter Vorfälle im Fußballbereich riesig“, sagt Benjamin Steinitz von RIAS. „Seit 2015 wurden uns 28 antisemitische Vorfälle in Berliner Stadien bekannt. Fast jeder dritte antisemitische Vorfall auf Berliner Fußballplätzen richtete sich gegen Makkabi-Spieler oder Fans eines Makkabi-Vereins.“
Eine Studie des Soziologen Lasse Müller von 2021 fand heraus: 39 Prozent der Mitglieder des Dachverbandes Makkabi Deutschland waren schon von einem antisemitischen Vorfall betroffen. Im Fußball sind es sogar zwei Drittel. Und 38 Prozent der Makkabi-Mitglieder gaben an, sich unwohl zu fühlen, wenn sie außerhalb des Trainingsplatzes Makkabi-Kleidung tragen. Ein Teilnehmer der Studie: „Bin mit Makkabi-Klamotten mein Handy reparieren gegangen. Nachdem ich die Quittung bekommen habe, auf der eigentlich meine Adresse stehen sollte, stand anstatt meiner Adresse ‚Holocauststraße‘.“
Das Urteil des BFV-Sportgerichts wird von Makkabi gelobt, auch wenn man sich wenig Illusionen macht. Und Benjamin Steinitz begrüßt die Sanktionen, „weil sie deutlich machen, dass antisemitische Äußerungen empfindliche Konsequenzen haben können“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht