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Jubiläum Widerstand im Hambacher ForstLängst verheizte Heimat

Schon 1978 organisierten junge AkademikerInnen in der „Hambach-Gruppe“ Widerstand gegen den Braunkohle-Irrsinn in Nordrhein-Westfalen.

Nur ein Zipfel ist geblieben – und selbst der ist in Gefahr Foto: dpa

Aachen taz | Rüdiger hat die Kladde von damals mitgebracht. Sofort blättern alle drin herum: „Guck mal hier, ach, wie witzig…, das war schon 1983…?“ Die Kladde ist ein massives Buch, DIN A 3, mit dickem schwarz-braunem Einband; hier wurden handgeschrieben alle internen Infos der Hambach-Gruppe festgehalten, Kontaktadressen, Protokolle. „Wieso noch kein ökologisches Anforderungsprofil für Inden II?“, wird mal gemahnt. Oder: „Danach Demo-Dias geguckt. Sonntag Exkursion Jugendliche mit Reisebus.“ Oder: „Uli hat mit dem Spiegel-Typ telefoniert.“ Und auch mal der Nachwelt erklärt: „Die Ladies der Gruppe knabbern wie wild Erdnüsse.“

Die Hambach-Gruppe, gegründet 1978, war eine Initiative von Studierenden und Jungwissenschaftlern gegen den Braunkohle-Irrsinn. Sie haben Broschüren gemacht, manchmal vorab zugespielte Gutachten veröffentlicht („wir hatten da jemandem beim Regierungspräsidenten“) oder bei Podiumsdiskussionen Politiker und RWE-Leute vor allem mit dem Ewigkeitsthema Grundwasserabsenkung ins Schwitzen gebracht. „Da tauchten plötzlich fachlich qualifizierte Leute auf, die gut argumentierend alles infrage stellten“, sagt Rüdiger, der auch die Idee mit dem Revival-Treffen zum 40. hatte. „RWE war manchmal ziemlich abgenervt von uns.“

Sechs Leute sind gekommen ins Café Kittel, den Szenetreff in Aachens Innenstadt. Heute sind sie Landschaftsarchitektin, Hydrogeologe, Energieberaterin, Architekt, Stadtplanerin oder Politiker: Rüdiger Sagel, studierter Bergbau-Ingenieur, war von 1998 bis 2012 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, lange für die Grünen, dann für die Linke, deren Fraktionschef er heute noch im Stadtrat von Münster ist. Andere lassen sich entschuldigen: Ilse sei auf ihrem Biohof bei Braunschweig gebunden, Dorothea hat einen Chorauftritt in Belgien.

Argumentieren, Streiten und Veröffentlichen waren das eine, Agitieren das andere. 1981 hatte jedeR der Gruppe eine RWE-Aktie. Dann war Vollversammlung. „26 von 30 Redebeiträgen kamen von uns“, erzählt Rüdiger, „und vor allem: es gab noch keine Redezeitbegrenzung“. Jeder habe im Schnitt eine Viertelstunde gesprochen. „Die Gesamtzeit kannste ja ausrechnen. Die sind bald wahnsinnig geworden.“ Seit 1982 gibt es bei der RWE AG eine Redezeitbegrenzung.

Schon 1985 hat die Hambach-Gruppe ein Buch herausgegeben, das heute noch erschütternd aktuell ist: „Verheizte Heimat“. Uli sagt: „Wir haben wirklich Kompetenz aufs Parkett gebracht“, und zeigt eine Skizze: „Das alles war mal der Hambacher Forst, und der war wirklich wunderschön.“ Er zeigt auf eine schraffierte Fläche: „Alles weg, nur noch dieses Zipfelchen ist geblieben.“

Landleben, Nachbarschaftsbande, Heimat

„Dieses Zipfelchen“, der Hambacher Restforst, heute Symbol der Energiewende, die Waldbesetzer als stille Helden – klingt da Eifersucht durch, Neid? Nein, sagen alle. Nein, wir haben nur die Anfänge des Widerstandes gestaltet, vor 30, 40 Jahren. „In den Broschüren kann man genau lesen, was passieren wird.“ Grundwasserabsenkung, Umsiedlung, Vertreibung, Dreck, Energieverschwendung. „Steht alles schon drin“, meint Uli. „Wir waren halt unserer Zeit voraus“, sagt Rolf leise.

Abgesenktes Grundwasser, Vertreibung, Dreck – steht alles schon drin

Uli, früher „Hambach-Gruppe“

Rolf, heute Architekt, ist unmittelbar Betroffener gewesen; er ist in Manheim groß geworden, mittlerweile ein Geisterdorf, das noch dran glauben soll in den nächsten Jahren. Er erzählt von seinem Vater. Sein ganzes Leben habe der in Manheim zugebracht, Landleben, Nachbarschaftsbande, Heimat. Dann die Umsiedlung. „Mein Vater hat nie verkraftet, was aus seinem Dorf wurde. Der hat sich woanders nicht mehr zurechtgefunden. Vor ein paar Jahren ist er völlig frustriert und depressiv gestorben.“

Und die anderen von damals? Einer sei jetzt Oberbergdirektor bei der Bezirksregierung in Arnsberg, der zuständigen Behörde für das Kohlegraben in NRW. Hat der die Seiten gewechselt? Na ja, könne man so nicht sagen, sagt Uli, als habe er ein Geheimnis. Ach, und Rainer Osnowski war auch dabei? Damals eifriger Schreiber beim Kölner StadtBlatt, heute Manager der litCologne. Die Kladde ist bei Maria angekommen. „Hier steht: Alex hat die Fahrradtor verschlafen.“ Schallendes Gelächter ringsum. Der Alex? Ist heute Geschäftsführer eines großen Fahrradhändlers in Aachen.

Andrea fragt herum: „Wer war denn neulich auf der großen Demo im Wald?“ Sie natürlich, Sabine auch, die damals für die Wanderausstellungen zuständig war. „Ich konnte mich nicht aufraffen“, gibt Rolf zu. „Dorothea wollte hin“, aber den Fußmarsch von Düren habe sie abgebrochen, zu weit. „Das ist nichts mehr für Alte“, habe sie gesagt. Hah, meint Maria: „Ich habe in der S-Bahn den jungen Leuten erzählt, was wir vor fast 40 Jahren schon gemacht haben. Die waren beeindruckt und haben enttäuscht gefragt, warum es die Hambach-Gruppe nicht mehr gibt. Hab ihnen dann mein Alter gesagt.“ Maria ist 65.

Voller Brunnen

Joseph Beuys habe die Arbeit der Hambach-Gruppe sehr geschätzt, erinnert sich Sabine. „Da haben wir mal eine Ausstellung bei ihm in Düsseldorf in einem Zelt gemacht.“ Und Uli erzählt noch die Anekdote aus Paffendorf. Da hatte RWE damals in einem Schloss seine PR-Stelle. Die Hambach-Gruppe hatte eine Fachexkursion für die Deutsche Geologische Gesellschaft gemacht. Ein sehr alter Besucher habe mit seinem Gehstock in dem Innenhofbrunnen herumgefuhrwerkt und den schmuddeligen Bewuchs von Grünzeug herausgeschleudert: „Wie wollen Sie eigentlich eine Milliarde Kubikmeter Grundwasser beherrschen, wenn Sie nicht mal einen Brunnen sauber halten können?“

1989/90 hat sich die Hambach-Gruppe aufgelöst. „Zuletzt haben wir noch in Leipzig die Ökolöwen in den Osttagebauen mit Know-how und Broschüren unterstützt“, sagt Politaktivist Rüdiger. Der letzte Eintrag in der Kladde lautet „Sperrmüll anrufen“. Ein paar hundert Seiten danach sind noch unbeschrieben.

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2 Kommentare

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  • Braunkohle ist in grossen Mengen verfügbar und sehr billig, weil sie einfach zu fördern ist. Man könnte den Atomausstieg beschleunigen und mehrere Kernkraftwerke sofort vom Netz nehmen, wenn man übergangsweise Strom aus Braunkohle gewänne.

    Solange die Weltbevölkerung dank der Kirchen jeden Tag um 250.000 Menschen steigt, von denen jeder im Jahr 60 Tonnen CO2 produziert/ausatmet, ist es sowieso sinnlos, CO2 einzusparen.

    • @Maike123:

      Schwachsinn. Ein einziges Braunkohlekraftwerk wie Niederaußem emittiert pro Minute so viel CO2 wie 35 Millionen Menschen, die angestrengt atmen. So schnell KANN die Weltbevölkerung gar nicht wachsen. twitter.com/EarthF...059965724335263744