Jubel um Italiens EM-Finaleinzug: Jede Menge Energie

Schon vor dem Sieg gegen Spanien war die Freude über eine neue Spielergeneration in Rom zu spüren. Nach dem finalen Elfer gab es kein Halten mehr.

Ein Fan schwekt eine riesige Italienfahne vor dem Kolosseum in Rom

Malerischer Fahnenschwenk: Italienische Fans vor dem Kolosseum in Rom Foto: Alessandra Tarantino/ap

ROM taz | Der Finaleinzug der Italiener beginnt und endet mit zwei pa­rallelen Bildern, so filmisch, als seien sie von einem überehrgeizigen Regisseur montiert. Zum Spielauftakt stehen die Fans beim Public Viewing auf der Piazza del Popolo in langen Reihen Arm in Arm wie Spieler zu einem Elfmeterschießen, so zeigt es das italienische Fernsehen.

Und zum Ende der Partie stehen die Spieler Arm in Arm wie ihre Fans auf der Piazza del Popolo, beim Elfmeterschießen. Dann trifft Jorginho, und die Bar in der Nähe des Kolosseums, in der ich das Spiel verfolge, explodiert. Niemand sitzt hier, zwei kleine Jungs tanzen, es wird auf Stühle, Tische, Tresen gehämmert und aus den Lautsprechern ertönt das ewige „Un' estate italiana“ von Gianna Nannini. Draußen auf der Straße bricht die Eks­ta­se los. Italien ist im Finale.

Diese letzte Etappe war eine spielerisch herausragende, rasend schnelle Partie, eine der besten des Turniers, die ebenso gut mit einem Sieg der Spanier hätte enden können. Ja, vielleicht hätte Spanien es sogar ein klein wenig mehr verdient gehabt. Aber im Fußball hat recht, wer gewinnt, und dieses italienische Team hat nicht unverdient gesiegt.

Zwei völlig unterschiedliche Spielanlagen begegneten einander in Wembley: die Spanier um den groß aufspielenden Leipziger Dani Olmo und den bald womöglich ganz großen 18-jährigen Pedri zogen Ballbesitzfußball wie zu Iniestas besten Zeiten auf, sezierten in überraschend veränderter Offensivbesetzung immer wieder geduldig die italienische Abwehr, um dann vors Tor zu stoßen. Zu Beginn der zweiten Halbzeit zogen sie dieses Netz so eng, dass ein Treffer überfällig schien. Der fiel dann auch (60.), aber für Italien: Federico Chiesa schlenzte den Ball sehenswert halbhoch rein.

Das Crescendo des Spiels

Die Italiener spielten so überfallartig, wie die Spanier sich Zeit ließen; mit präzisen, schnellen Kontern suchten sie immer wieder Immobile, und wie das atemlose Spiel es wollte, kreierte Italien mit seinen Gegenstößen oft gefährlichere Torchancen als die Spanier. Die dann durch Morata kurz vor Schluss verdientermaßen ausgleichen konnten. Das Crescendo des römischen Publikums war in dieser Kneipe nicht unbedingt absehbar: eine hyperklimatisierte Bar einer irischen Pub-Kette, in der es bis kurz vor dem Spiel still und lückenhaft besetzt blieb.

Ein Kellner meines Stammlokals, der immer großzügig Limoncello aufs Haus schenkt, hatte mich hierher geschickt, und kurz befürchtete ich, dass der Limoncello-Kellner ein Stimmungsgrab empfahl. Aber mitnichten, die Leute tauchen bloß erst fünf Minuten vor Anpfiff auf.

„Die Leute sind in Italien enthusiastischer als früher“, berichten drei Mädchen, kaum über 18, die hinter mir gucken und den letzten Teil des Spiels schreiend und stehend verbringen. „Man kann die Begeisterung überall auf der Straße spüren. Es spielt eine neue Generation.“ Um die Begeisterung zu spüren, muss man hier hinhören.

Es hängen fast keine Nationalflaggen in den Fenstern, auch kein sonstiger Tand; man muss darauf achten, wie die Kellner in den Restaurants schon Tage vorher vom Spiel sprechen, oder wie auf der Straße eine Frau völlig unvermittelt „Un' estate italiana“ auf dem Handy anspielt und mit ihrem Begleiter lauthals singt, mitten am Tag. Überhaupt, Frauen. Dass drei Mädels sich ohne Jungs in der Kneipe zum Fußballschauen verabreden, gibt es auch noch nicht so lange. Die Frage, ob sie öfter Fußball schauen, bejaht eine entschieden.

Dass dieses Spiel, dessen Tempo nach zwei spektakulären und kräftezehrenden Halbzeiten in der Verlängerung etwas abnimmt, im Elfmeterschießen enden würde, ist nur logisch für den großen Showdown. Moratas verschossener Elfer ebnet Italien den Weg ins Finale, aber mit den Spaniern wird in den nächsten Titelrennen gewiss zu rechnen sein. In der Bar sind alle zufrieden, auch der amerikanische Tourist, der einräumt, von Fußball nicht allzu viel zu verstehen, aber trotzdem sicher ist, dass Italien verdient gewonnen habe. „Vor dem Turnier haben wir das absolut nicht erwartet“, sagt die Kellnerin, die sich mitfreut, obwohl sie nicht viel vom Spiel sah. „Die letzten Jahre waren so schlecht. Jetzt sind wir sehr hoffnungsvoll.“

Draußen geht der Autokorso los, Gruppen strömen durch die Innenstadt, gewandet in Flaggen, bewaffnet mit Tröten. Wohin mit all ihrer Energie? Noch Stunden werden sie feiern, sehr hoffnungsvoll. Und von einer Dachterrasse singt eine Gruppe a cappella „Un' estate italiana“, von den magischen Nächten eines italienischen Sommers.

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