Italien gegen Spanien im EM-Halbfinale: Große italienische Oper

Mit viel Pathos gehen die Italiener ins Halbfinale. Bis jetzt hatten sie genug Platz zum Spielen. Gegen Spanien könnte es aber eng werden.

Lorenzo Insigne schießt, der Belgier Toby Alderwereld versucht zu bloicken

Lorenzo Insigne (l.) hat keine Angst vor Toby Alderweireld Foto: Federico Gambarini/dpa

Es ist eine große Oper, die da gerade aufgeführt wird von der italienischen Nationalmannschaft. Da ist natürlich die Hymne, die sie singen, als wären sie elf Tenöre im Kokainrausch. Da ist die Lust am Offensivspiel, über die immer noch gestaunt wird, auch wenn Italien mit Beginn der Qualifikation jedes Spiel dieser EM-Kampagne gewonnen hat. Und da ist das Drama um den linken Außenverteidiger Leonardo Spinazzola, dessen Achillessehne beim 2:1 im Viertelfinale gegen Belgien gerissen ist. Die Mannschaft tut alles, um aus dieser sportlichen Schwächung neuen Spirit zu generieren.

Gewinnen wollen sie sowieso gegen Spanien am Dienstag in Wembley (21 Uhr, ARD). Jetzt wollen sie es auch für Spinazzola tun. Wer auf Instagram das Video anschaut, das Spinazzolas Abschied aus dem Kreis der Nationalmannschaft zeigt, das Klatschen, die Küsse, das Tätscheln seiner Wangen, der wird sich nicht wundern, wenn Tränen aus seinem Smartphone laufen. Gefühl, das können sie, die Italiener. Das Video, das die Mannschaft zeigt, wie sie im Flugzeug von München nach London Spinazzola besingt, ist auch nicht ohne. Große Oper eben.

Zwei Vorhänge soll es für die Azzurri noch geben. Im Halbfinale und im Endspiel. Dass das ohne Spinazzola nicht leichter wird, weiß Nationaltrainer Roberto Mancini natürlich. Als Ersatz wird er vermutlich Emerson aufbieten, der in der abgelaufenen Saison in der englischen Premier League kaum einmal für den FC Chelsea aufgelaufen ist. Wenn’s klappt, wäre das auch so eine opernreife Geschichte.

Für Mancini jedenfalls war Spinazzola einer der besten Spieler des Turniers. Solche Lobhudeleien gibt er derzeit zuhauf im italienischen Team. Alle schwärmen von Lorenzo Insignes irrem Bogenschuss zum 2:0 gegen Belgien. Der kleine Mann selber schwärmt von Jorginho, dem Hirn des italienischen Spiels, und schlägt ihn gleich mal für den Ballon d’Or vor, die Auszeichnung für den besten Kicker Europas. Und Marco Verratti, das andere Hirn im italienischen Zentrum, lobt Keeper Gianluigi Donnarumma über den grünen Klee. Alle sollen sehen, wie sehr sie sich lieben. Das mag gewiss helfen, die alleinige Erklärung für die Auftritte der Italiener kann es nicht sein.

Munteres Spiel

Vielleicht lässt sich an Lorenzo Insigne ganz gut zeigen, was Roberto Mancini da angestellt hat mit dem Team. Er lässt Italien in einem munteren 4-3-3 antanzen, so wie es einst die Niederländer gemacht haben. Der Hochsicherheitsfußball mit fünf Verteidigern ist Mancinis Sache nicht. So hat einer wie Insigne, der ganz gerne den Ball am Fuß hat, der sich selbst ganz gut zu gefallen scheint, wenn er den Ball von links außen in die Mitte schleppt, auch wenn sie oft keinen Raumgewinn zur Folge haben, ein wenig Platz zum Spielen. Genau das ist seine Erklärung für den Erfolg des Mancini-Fußballs: „Er lässt uns spielen“, hat er jüngst gesagt.

Andere Trainer würden vielleicht verzweifeln an einem Spieler wie Insigne, der viel zu oft macht, was er will, und viel zu selten, was vielleicht in diesem Moment das Richtige wäre. Manchmal aber ist das, was Insigne will, eben doch das Richtige. Und dann schwärmt alle Welt und schreibt Geschichten über den Straßenfußballer, den sie einst Maradonino genannt haben sollen und den sie in seiner Heimatstadt Neapel auch mal Lorenzo il Magnifico nennen, wie jenen mächtigen Freund der schönen Künste aus dem Hause Medici im 15. Jahrhundert.

Wie prächtig er gegen Spanien zu spielen in der Lage ist, wird sich zeigen. Ob Insigne überhaupt oft zum Zug kommt, ist eine der großen Fragen vor dem Spiel. Die Spanier sind mit ihrem intensiven Gegenpressing ihren Gegnern bis dato ziemlich auf die Nerven gegangen. Wie teilweise drei Spieler, den Gegner anlaufen, der gerade einen Ball erobert hat, ist selten zu sehen im Nationalmannschaftsfußball. Mit unheimlich hohem Energieeinsatz sind die Spanier bis jetzt ans Werk gegangen, zwei Verlängerungen stecken ihnen in den immer um Spielkontrolle bemühten Beinen. Ob sie zu solchen Energieleistungen noch einmal in der Lage sind, auch diese Frage wird am Dienstag beantwortet.

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