Joyn-Serie über einen Uber-Fahrer: Hamburger Straßen sind lang
In der Serie „Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers“ befördert Kostja Ullmann skurrile Fahrgäste durch die Hansestadt und führt pointierte Dialoge.
In der Serie „Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers“ kommt Susanne Wolff in der Rolle der Krebserkrankten während einer kurzen Autofahrt buchstäblich zu sich selbst, und Kostja Ullmann ist der teils ahnungslose, teils mitfühlende Zeuge dieser Verwandlung. Er spielt den um-die-30-jährigen Uber-Fahrer Ben. In jeder der sechs Folgen der ersten – und leider wohl auch einzigen – Staffel kutschiert er eine Reihe von Kund*innen durch Hamburgs Straßen.
Ben selbst scheint noch nicht wirklich in seinem eigenen Leben angekommen zu sein, so hat er keine Wohnung, sondern schläft bei Freunden – und in manchen Nächten auch im Auto. Seit einem One-Night-Stand erwartet Nadja (Claudia Eisinger) ein Kind von ihm, und wie er während ihrer Schwangerschaft immer erwachsener wird, das stiftet die Rahmenhandlung.
Die Serie basiert auf einem australischen Vorbild, „Diary of a Uber Driver“, wirkt aber nie wie ein bloßes Remake. Drehbuchautor Georg Lippert und Regisseur Julian Pörksen haben sich den Stoff radikal zu eigen gemacht: Ist nach den ersten zwei Folgen die Grundsituation geklärt, erlauben sie sich erstaunliche Freiheiten beim Erzählen.
So gibt es lange Perspektivwechsel, wenn etwa die Kamera einem besonders unfreundlichen Fahrgast in dessen Wohnung folgt, wo er glaubt, durch das Fenster in einer Wohnung gegenüber die Leiche eines alten Mannes zu entdecken. Eine andere Episode beginnt und endet mit der Geschichte eines Taxifahrers (Ibrahima Sanogo), der versucht, seine Familie aus Afrika nach Deutschland zu holen. Als ihm Ben eine Kundin vor der Nase wegschnappt, gerät er in Rage.
Beide treffen nur bei diesem sekundenlangen Streit auf der Straße aufeinander – genau genommen kann die Geschichte des wütenden Mannes also nicht dem titelgebenden Tagebuch entstammen, denn Ben erlebt sie selbst ja gar nicht. Aber wie die Serie von den Lebensumständen eines Emigranten in Deutschland erzählt, das ist erstaunlich komplex. Und den Konflikt zwischen den traditionellen Taxigeschäften und dem multinationalen Konzern Uber bringt sie auch noch auf den Punkt.
Etwa ein Drittel der Serie entstand im fahrenden Auto gedreht, und im Pressematerial schildert Regisseur Pörksen, wie er zehn Tage lang in einem Kofferraum zubrachte: „mit eingeklappten Beinen... auf einer Yoga-Schaumstoffmatte“.
Die Anstrengung hat sich gelohnt, denn während dieser Fahrten hat die Serie ihre schönsten Momente. Ein Grund dafür sind die pointierten Dialoge, bei denen die räumlichen und vor allem zeitlichen Begrenzungen den Autor Lippert offenbar eher inspirierten als einschränkten.
Für Kurzauftritte engagierte man dann auch noch hochkarätige deutsche Schauspieler*innen, die sich mit offensichtlicher Spielfreude in die präzise auf sie zugeschnittenen Rollen stürzten: Lars Rudolph gibt einen kriminellen Steuerberater, Karl Harding einen Rentner, der sich senil stellt, um so seiner Pflegerin zu entkommen. Edin Hasanović spielt einen Ex-Drogenhändler auf Jobsuche, der bei einem Vorstellungsgespräch eine erfundene Referenz angegeben hat. So muss Ben während der Fahrt am Telefon einen begeisterten Ex-Vorgesetzten darstellen.
Nebenbei bietet die Serie auch eine Art Hamburg-Stadtrundfahrt: Ben chauffiert seine Kund*innen durch verschiedene Viertel, und der selbst in der Stadt lebende Kameramann Manuel Mack feiert sie – mit Bildern vom piekfeinen Blankenese übers adrette Eppendorf und das coole Schanzenviertel bis hin zu heruntergekommenen Ecken in der Hafengegend.
„Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers“. Regie: Julian Pörksen. Mit Kostja Ullmann, Claudia Eisinger u. a. D 2020, sechs knapp halbstündige Episoden. Zu sehen bei Joyn Plus
Lippert und Pörksen waren so ehrlich, ihr ganz großes Vorbild zu offenbaren: Als Ben Nadja zu einem Kinoabend einlädt, will er ihr „Night on Earth“ zeigen – den Film, den Jim Jarmusch komplett in Taxis spielen ließ.
„Aus dem Tagebuch eines Uber-Fahrers“ wäre gut aufgehoben im Programm eines Fernsehsenders oder bei Netflix. Da sie der Streaminganbieter Joyn in Auftrag gegeben hat und nur gegen Bezahlung in seinem Premium-Bereich zeigt, bekam sie bislang nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hätte.
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