piwik no script img

Journalistin Alsu KurmashevaVorwurf unbekannt

Die russisch-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva wurde in Russland zu 6,5 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Schlag gegen die Pressefreiheit.

Journalistin Alsu Kurmasheva mit ihrem Rechtsanwalt im Gericht in Kasan am 31. Mai 2024 Foto: AP

Moskau taz | Es verlief im Verborgenen. Keine öffentliche Gerichtsverhandlung, Vorwürfe unbekannt. Am Ende fiel das Urteil gegen Alsu Kurmasheva: sechseinhalb Jahre Haft. Es ist ein weiterer politischer Schuldspruch nach einem kurzen Prozess gegen eine Journalistin mit US-Staatsbürgerschaft.

Nur auf der Homepage des Obersten Gerichts in der russischen Teilrepublik Tatarstan lässt sich Kurmashevas „Vergehen“ einsehen. „Paragraf 207.3, Fall geprüft am 19. Juli, Schuldspruch“, steht da.

Hinter diesen Zahlen verbirgt sich die sogenannte „Verbreitung von Falschinformationen über die russische Armee“. Jegliche öffentliche Kritik am Kreml und dem Überfall der Ukrai­ne im Februar 2022 zieht in Russland mittlerweile solche „Fakes“-Vorwürfe nach sich.

Russische Medien meldeten, die Anklage gegen Kurmasheva speise sich aus ihrem 2022 veröffentlichten Buch „Nein zum Krieg. 40 Geschichten über russische Bürger, die sich der Invasion in der Ukraine widersetzen“. Was der 47-Jährigen konkret zur Last gelegt wird, ist auch nach dem Gerichtsentscheid nicht bekannt.

Ähnlichkeiten und Unterschiede zum Fall Gershkovich

Das Urteil gegen die Journalistin war in Kasan, der Hauptstadt von Tatarstan, am selben Tag gefallen wie auch das gegen den US-Korrespondenten Evan Gershkovich in Jekaterinburg am Ural. Ein Gericht hatte den 32-jährigen vergangenen Freitag wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Strafkolonie „strengen Regimes“ schuldig gesprochen. Ebenfalls nach nur drei Prozess­tagen, ebenfalls in einer geschlossenen Verhandlung, ebenfalls unter fadenscheiniger Begründung.

Gershkovich, der für das Wall Street Journal schrieb und wie alle Aus­lands­kor­re­spon­den­t*in­nen beim russischen Außenministerium akkreditiert war, soll – so folgte das Gericht den Vorwürfen des russischen Geheimdienstes FSB und der Staatsanwaltschaft – „im Auftrag der CIA geheime Informationen über Herstellung und Reparatur von Militärtechnik durch den Rüstungsbetrieb Uralwagonsawod gesammelt und dabei Methoden der Konspiration beachtet“ haben.

Der in den USA als Sohn sowjetischer Emigranten geborene Gershkovich bestritt jegliche Schuld, wie die in der kasachischen Sowjetrepublik geborene Alsu Kurmasheva. Men­schen­recht­le­r*in­nen und Po­li­tik­be­ob­ach­te­r*in­nen sprechen in Russland von einem sogenannten Austauschfonds westlicher Staats­bür­ge­r*in­nen – vor allem amerikanischer –, damit das russische Regime im Westen verurteilte russische Verbrecher freipressen könne.

Die Fälle von Kurmasheva und Gershkovich sind dennoch unterschiedlich, obwohl sie zeigen, dass unabhängige Berichterstattung aus Russland immer schwerer gemacht wird, dass Journalist*innen, inländische wie ausländische, immer stärker ausloten müssen, wie es um ihre Sicherheit steht, wenn sie aus dem Kriegsland berichten wollen, das den Krieg in der Ukraine im Alltag negiert und doch täglich seine Söhne zu Grabe trägt.

Kurmasheva ist Radiojournalistin und arbeitete für das russischsprachige Internetmedium Idel.Realii, einen Ableger des vom US-Kongress finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), in Russland als „unerwünschte Organisation“ gebrandmarkt. Alle russischen Bürger*innen, die für eine solche arbeiten, machen sich strafbar.

Gefährliche Doppelstaatsbürgerschaft

Aus Prag in Tschechien informiert Idel.Realii über die Wolga-Region und ethnische Minderheiten und Menschenrechte in den russischen Teilrepubliken Tatarstan und Baschkortostan. Auch Kurmasheva war aus Kasan nach Prag gezogen, kam aber wegen eines „familiären Notfalls“ im Mai 2023 zu ihrer Mutter zurück nach Tatarstan. Als sie wieder wegfliegen wollte, wurde sie an der Grenze festgehalten. Der Vorwurf: Kurmasheva habe ihren US-Pass nicht offiziell gemeldet.

In Russland ist es eine Straftat, die doppelte Staatsbürgerschaft vor den Behörden zu verheimlichen. Der Geheimdienst entzog ihr, deren Mann und zwei Töchter in Tschechien leben, beide Pässe. Im Oktober warfen die Behörden ihr vor, sich nicht als „ausländische Agentin“ registriert zu haben und setzten sie fest.

Die Journalistin, die auf Russisch berichtete, soll Informationen über das russische Militär gesammelt haben, die „gegen die Sicherheit der Russischen Föderation genutzt werden könnten“, so die Vorwürfe.

Die Doppelstaatsbürgerschaft wurde Kurmasheva zum Verhängnis. Für die russischen Behörden ist sie eine Russin, keine Ausländerin wie der Amerikaner Gershkovich. Sie kann nicht einmal auf Beistand der US-Botschaft hoffen, denn Russlands Offizielle lassen das nicht mehr zu.

Kurmasheva wird in den Augen der Geheimdienste erst zur Amerikanerin, wenn sie mit ihr – wie auch mit Gershkovich – ihre Tauschgeschäfte machen können.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Wieso wird eine solche Tendenzberichterstattung nicht als Kommentar gekennzeichnet? Das man in der Überschrift und Teaser vortäuscht das die "Vorwürfe Unbekannt" seien um dann im späteren Verlauf die Anschuldigungen und Vergehen aufzuzählen, diese also sehr wohl bekannt waren ist ja kein Zeichen für fairen Journalismus

    Aber das man bei Russland immer mit zweierlei Maß misst ist ja auch nichts neues!

    Und nicht nur in Russland ist es eine Straftat eine doppelte Staatsbürgerschaft zu verschweigen, in den USA ist es genauso. Auch gibt es dort Foreign Agents Registration Act!

    Hätte ein Russe das gleiche bei einer Ausreise aus den USA gemacht, dann wäre der auch festgesetzt worden! Aber wahrscheinlich gebe es dann keinen Artikel in der taz der das ankreiden würde.

    Und natürlich sind solche Angriffe auf die Pressefreiheit zu verurteilen! Aber wir brauchen ja nicht so zu tun als wäre unsere Seite da viel Besser. Das man z.B. die Compact über den Umweg über das Vereinrecht verbietet, statt das durch das über das Gericht zu machen sehe ich ähnlich kritisch!

    • @Bacta:

      In dem Artikel geht es um eine konkrete Verurteilung auf russischer Seite.



      Was bringt uns da Ihr Whataboutism?