Journalisten-Kongress: "Die Zukunft gehört den Freien"
Die Freischreiber besprachen in Hamburg die Zukunft der freien Journalisten. Fazit: Wer sich selbst zur Marke macht, hat gute Karten.
HAMBURG taz | Plopp! Plopp! Plopp! Das satte Geräusch sich öffnender Flensburger-Flaschen war allgegenwärtig beim "Zukunftskongress" der Freischreiber, dem vor knapp zwei Jahren gegründeten Berufsverband freier Journalisten. Rund 270 Menschen waren am Samstag gekommen - und wie es so ist mit Medienkongressen dieser Tage, wurden Wege aus der Krise gesucht.
Die trifft Freie als schwächstes Glied in der journalistischen Nahrungskette besonders: Laut einer Freischreiber-internen Befragung verdienten sie 2009 gerade mal 2.000 Euro im Monat - brutto. Zudem werden Freie zum Abtritt sämtlicher Nutzungsrechte an ihren Texten gegängelt. Wer nicht mitmacht, kriegt kaum Aufträge, denn die Konkurrenz ist groß: Rund 30.000 freie Journalisten drängen sich laut Annette Milz, Chefredakteurin des Branchenblatts Medium Magazin, auf dem Markt.
Von derart schlechter Stimmung wollte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen indes wenig hören: "Journalisten reproduzieren seit Jahren ihr apokalyptisches Bewusstsein." Titelgeschichten wie "Wozu noch Journalismus?" seien dafür Indiz: "Als würde einem ein Gärtner entgegenschleudern: Wozu noch Blumen?" Damit müsse Schluss sein, lieber solle man die "Verlustklage in Optimismus überführen", so Pörksen.
Also überlegte man gemeinsam, wie das funktionieren könne. Das unverwechselbare Plopp der Flens-Flaschen - die übrigens mit Mineralwasser gefüllt waren, nicht mit Bier - war dabei eine gelungene Metapher für die Hauptthese des Tages: Wer als Freier bestehen will, muss einen individuellen Sound entwickeln, zur eigenen Marke werden, ob als Experte, Stilist, Trendscout oder investigatives Trüffelschwein. Hierbei ist gerade das Internet hilfreich: Ein markantes eigenes Blog, eventuell flankiert durch intelligente Twitter- und Facebook-Aktivitäten, hilft beim Markenaufbau. Positivbeispiele waren auch anwesend: der Medienblogger Stefan Niggemeier und der Sportaufklärer Jens Weinreich etwa.
Das Internet war natürlich auch sonst sehr wichtig: ob durch Projekte im Bereich des unabhängigen Lokaljournalismus, wie etwa www.regensburg-digital.de, durch neue crossmediale Genres oder durch neue Vertriebsmodelle, die die strukturelle Macht der Verlage unterspülen - als Probierraum ist das Netz eine Chance für Freie, weil sie flexibler agieren können.
Wobei Flexibilität auch in der Berufsauffassung vorausgesetzt wird - zwangsläufig, denn um überleben zu können, kommen freie Journalisten kaum noch umhin, neben dem Kerngeschäft auch Brotjobs in verwandten Branchen zu übernehmen: Seien es Moderationen, Vorträge, Social-Media-Coachings - oder Aufträge im diffusen Feld der PR und des Corporate Publishing.
Dass das einst eiserne Gebot "Journalisten machen keine PR" längst nicht mehr haltbar ist, war der hochpragmatische Konsens am Samstag. Voraussetzung dafür sei laut Bernhard Pörksen allerdings "eine Ideologie der Transparenz." Und eine klare Trennung der Arbeitssphären.
Eine - unpraktischerweise recht arrogant vorgetragene - Widerrede des Netzwerk-Recherche-Vorstands Markus Grill wurde vom Publikum denn auch fast einhellig zurückgepfiffen: Aus dem "Elfenbeinturm" eines fest angestellten Spiegel-Redakteurs hätte er leicht reden. Und überhaupt sollten "auch die Verlage erst mal klären, dass sie keine Reiseunternehmen oder Handtuchverkäufer sind", erwiderte Freischreiber-Vorstandsmitglied Benno Stieber.
Ansonsten war aber alles sehr harmonisch. Statt auf Frontalunterricht vom Podium setzten die Freischreiber auf Workshops mit Publikumseinbindung. So gab man sich Tipps - wie ging das noch mal mit dem Einbau von Zählpixeln für die VG Wort? -, erzählte sich Anekdoten und klärte die wichtigen Fragen des Freiendaseins: Darf man für gut bezahlte Texte in peinlichen Medien eigentlich ein Pseudonym nutzen?
Mut machte schließlich der Medienwissenschaftler Stephan Weichert: "Ich glaube, die Zukunft gehört den Freien. Sie sind die treibende Kraft dabei, dass sich der Journalismus neu erfindet", sagte er in der Schlussdiskussion. "Die Verlage denken hingegen immer noch, das Internet ist irgendwann voll und wird wieder abgeschaltet."
Sonst noch was? Ach ja: "Einfach experimentieren - das ist das Beste, was man machen kann." (Katharina Borchert, Bloggerin und Geschäftsführerin Spiegel Online) "Scheuen Sie sich nicht vor Experimenten!" (Annette Milz) "Fazit ist: einfach machen!" (Stefan Niggemeier) "Experimentiere! Stay hungry! Stay foolish!" (Bernhard Pörksen)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebungen syrischer Geflüchteter
Autokorsos und Abschiebefantasien
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Sturz des Syrien-Regimes
Dank an Netanjahu?
Nach dem Sturz von Assad in Syrien
Türkei verkündet Erfolg gegen syrische Kurden
Greenpeace-Vorschlag
Milliardärssteuer für den Klimaschutz