piwik no script img

Journalismus in BelarusEingesperrt, blockiert, verboten

Ein Regimegegner stirbt bei einem Schusswechsel, kritische Berichterstattung wird unterbunden. Olga Deksnis erzählt vom Leben in Minsk in stürmischen Zeiten. Folge 106.

Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Komsomolskaya Pravda vor dem Gefängnis Minsk, September 2020 Foto: Natalia Fedosenko/imago-images

2 011 habe ich die einjährige Journalistenschule des „Belarussischen Journalistenverbandes (BAJ)“ (eine Nichtregierungs-Organisation, u.a. mit dem Ziel, die Pressefreiheit zu gewährleisten; Anm. d. Redaktion) abgeschlossen. Danach kam ich in die Redaktion der Komsomolskaja Prawda in Belarus (die Zeitung ist eine regionale Ausgabe der russischen Komsomolskaja Prawda; Anm. der Redaktion) einer Zeitung, bei derviele gerne arbeiten wollten.

Dort habe ich meine erste Recherche im Bereich „selbst ausprobiert“ gemacht und zwei Monate in einem vietnamesischen Café gearbeitet. Aufgrund der so aufgedeckten Probleme wurden 27 von 31 Filialen dieser Kette geschlossen. Das war meine Meinungsfreiheit. Jetzt ist alles anders. Und journalistische Arbeit ist gefährlich geworden.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

Kürzlich erschien auf dem online-Portal der Komsomolskaja Prawda ein Artikeldes (belarussischen) Journalisten Gennadi Mosheiko über den Programmierer Andrei Selzer, der in einer Schießerei mit einem KGB-Mitarbeiter starb. Unbekannte Männer waren gewaltsam in die Wohnung des Mannes eingedrungen wie bei einem gefährlichen Kriminellen. In der Folge starben der Mitarbeiter des Staatsapparates sowie der Wohnungsinhaber. Selzer hatte zuvor lediglich ein paar Kommentare mit weiß-rot-weißer Symbolik (der belarussischen Opposition; Anm. der Redaktion) in den sozialen Netzwerken gepostet.

Der Journalist Mosheiko wurde in Moskau festgenommen und nach Minsk gebracht (jetzt sitzt er in Untersuchungshaft in Shodino). Die Machthaber blockierten die Website der Zeitung und das Informationsministerium entschied, die Redaktion der Zeitung in Belarus „aus Sicherheitsgründen“ zu schließen. (Die Printausgabe der Komsomolskaja Prawda war schon 2020 verboten worden; Anm. der Redaktion)

Bild: privat
Olga Deksnis

35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.

130 Menschen festgenommen

Jetzt drohen Mosheiko zwei Strafverfahren: wegen Schüren von Hass und wegen Beleidigung von Vertretern der Staatsmacht. Obgleich sein Artikel in seiner ursprünglichen Fassung nur drei Minuten auf der Website stand, und dann komplett gelöscht wurde. Der Chefredakteur der Komsomolskaja Prawda (und Generaldirektor des Verlagshauses Komsomolskaja Prawda in Russland, Anm. d. Redaktion) Wladimir Sungorkin, bezeichnete die Schwierigkeiten, die der belarussische Regionalausgabe gemacht wurden, als staatliche Willkür. Auch Wladimir Putins Pressesprecher Dmitri Peskow kritisierte, dass die Website der Zeitung blockiert wurde. Zu einem ernsten Konflikt zwischen den beiden Staaten kam es deswegen allerdings nicht.

Der (russische) Journalist und Videoblogger Ilja Warlamow nannte den Fall Gennadi Mosheikos „eine Entführung eines Menschen auf russischem Staatsgebiet durch Lukaschenko“. Weil die Frage der Auslieferung vor Gericht entschieden werden muss, wie das (belarussische) Nachrichtenportal Zerkalo schreibt.

Als weitere Folge der Schießerei wurde in Belarus mehr als 130 Menschen wegen Internet-Kommentare zu dem verstorbenen Mitarbeiter der Spezialkräfte festgenommen. Sie sympathisierten mit der falschen Seite. Die Leute werden jetzt ebenfalls beschuldigt, Hass zu schüren.

Repressionen gehen weiter

„Die Machthaber haben damit eine weitere glaubwürdige Zeitung zerstört“, kommentiert der Pressesprecher des „Belarussischen Journalistenverbandes“, Boris Goretzki. „Es ist eine Schande. Wir müssen standhalten. Und zurückkehren.“

Die Komsomolskaja Prawda in Belarus war die größte nichtstaatliche Printzeitung des Landes gewesen. Sie hatte eine tägliche Auflage von 31.000 Exemplaren und die umfangreichere Wochenendausgabe von 200.000 gehabt. Am 15. August 2020 hatte die Zeitung Fotos von im Minsker Okrestino-Gefängnis gestorbenen Menschen gedruckt.

Als Kioske den Verkauf dieser Zeitung abgelehnt hatten, hatten die Jour­na­lis­t*in­nen sie selber aus der Druckerei abgeholt und sie auf dem Land und in den Städten verteilt, wo es keinen Internetzugang gab. Sie hatten damit diejenigen über die Vorgänge nach der Präsidentschaftswahl informieren wollen, die nur Zugang zum staatlichen Fernsehen hatten und nicht erfuhren, was wirklich im Land vor sich ging.

Leider gehen die Repressionen weiter. Und die Zahl der unzufriedenen Be­la­rus­s*in­nen wächst.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!