Journalismus in Belarus: Wie man (nicht) akkreditiert wird
Die Regierung Belarus annulliert alle Presseakkreditierungen. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 20.
D as belarussische Außenministerium hat alle bereits ausgestellten Akkreditierungen ausländischer Journalist:innen für ungültig erklärt. Der Leiter der Presseabteilung beim Außenministerium, Anatoli Glas, betonte: „Das ist keine Säuberung des Nachrichtenfeldes, sondern Arbeit nach neuen Regeln, zur Vereinfachung des Erhalts von Akkreditierungen. Diese Veränderungen sind nicht nur bei uns eingegangenen Akkreditierungswünschen geschuldet, sondern auch dem Druck auf unser Land.
In jüngster Zeit gibt es Unterstützungen finanzieller wie auch organisatorischer Art von Seiten westlicher offen extremistischer Medien.“ Das neue Akkreditierungssystem diene dem Land zur „legalen Verteidigung der Informationshoheit von Belarus.“
Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.
„Viele Journalist:innen haben schon einen Antrag auf Neu-Akkreditierung gestellt“, erzählt Ekaterina Andreeva, Journalistin bei Belsat (TV-Sender, der von Polen aus für belarussisches Publikum sendet, Anmerkung d. Redaktion), die bereits mehr als zehn Mal wegen Arbeit ohne Genehmigung verhaftet wurde. „Kolleg:innen, wird es überhaupt noch mal Akkreditierungen geben?“
Ein Korrespondent hört auf, ein solcher zu sein, wenn er seinen Zuschauer:innen und Zuhörer:innen keine Informationen mehr geben kann. Er wird ins Okrestina-Gefängnis gebracht. Na und? Es gibt Dutzende von uns. Und eine ganze Flut von Nachrichten. Das System kann ‚Darmverschlingungen‘ bekommen, wenn es täglich hunderte von Journalistenfällen verdauen muss. Schon rein physisch kann es damit gar nicht fertig werden.
35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.
Als wir mit dem Job angefangen haben, war klar, dass die Regierung nicht aufhören wird, die Meinungsfreiheit zu bekämpfen. Indem wir uns für politischen Journalismus entschieden haben, haben wir quasi mit uns selbst einen schrecklichen Vertrag unterzeichnet, bei dem im Kleingedruckten steht: Mir ist klar, dass wenn ich gut bin in meinem Job, am Ende Gefängnis, Emigration oder Tod stehen. Und wir waren gut.“
Olga Komjagina, Journalistin beim Nachrichtenportal tut.by, wurde am Sonntag verhaftet, sie war an der Kleidung als Pressevertreterin zu erkennen.
„Nur uns konnte man auf der Agrarausstellung verhaften, als ich gerade nach dem Spinatpreis fragte“, sagte Olga. „Bei der Polizei wurde ein ‚prophylaktisches Gespräch‘ geführt.“
Während der friedlichen Proteste am letzten Wochenende wurden 245 Menschen verhaftet. Nach Angaben des belarussischen Journalistenverbandes waren darunter 15 Pressevertreter:innen. Fünf davon kamen ins Isolationshaft, man wird sie für die Teilnahme an nichtgenehmigten Veranstaltungen verurteilen.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen