Jordan Peeles Film „Nope“: Pferde in Bewegung

Regisseur Jordan Peele verrührt in „Nope“ Science-Fiction, Western und Rassismus. Heraus kommt aufgeklärtes, bilderstarkes Popcornkino.

OJ sitzt auf einem Pferd vor der Haywood-Ranch, Emerald geht auf deren Veranda entlang.

Ein Cowboy vor dem Showdown: OJ (Daniel Kaluuya) und Emerald (Keke Palmer) in „Nope“ Foto: Universal Studios

Am Anfang steht ein Bibelzitat. Ein Vers aus dem Buch des Propheten Nahum über den Untergang der mesopotamischen Stadt Ninive: „Ich werfe Unrat auf dich, schände dich und mache ein Schauspiel aus dir.“ So weit, so rätselhaft. Gehört hat man zuvor während der Titelsequenz des Spielfilms „Nope“ ein paar Dialoge aus dem Off mit Gelächter im Hintergrund. Später im Film folgen noch die Bilder dazu, es handelt sich um eine fiktive Fernsehshow, „Gordy’s Home“, in der ein Schimpanse der Star ist.

Aus der Show selbst sieht man in den ersten Minuten von „Nope“ ebenfalls Bilder, ohne Dialog. Dafür gibt es den verstörenden Anblick des Affen, wie er mit blutverschmierten Händen gegen die Füße einer leblosen Gestalt stößt, deren obere Körperhälfte von einem Sofa verdeckt ist. Ein Junge, unter einem Tisch versteckt, beobachtet das Geschehen mit kaum kontrolliertem Atem.

Klingt verwirrend? Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Absicht des US-amerikanischen Regisseurs Jordan Peele, der mit „Nope“ seinen dritten Spielfilm vorlegt. Darin setzt er dem Publikum erst einmal scheinbar unsortiert Dinge vor, die nicht auf Anhieb verständlich sind und erst im weiteren Verlauf erklärt werden. Zum Teil jedenfalls. Die genannte Sendung wird durchaus noch eine Rolle spielen, die eigentliche Handlung hat allerdings mehr mit Pferden zu tun.

Vor allem mit denen von Otis Jr. „OJ“ Haywood (kann skeptisch gucken wie sonst keiner: Daniel Ka­luuya). Er betreibt zusammen mit seiner Schwester Emerald (quirlig-selbstbewusst: Keke Palmer) die einzige Ranch in den USA, auf der Pferde von Afroamerikanern für Hollywood trainiert werden. Wie sein vor Kurzem unter mysteriösen Umständen gestorbener Vater, Otis Sr. (Keith David), ist er bei Filmdrehs der horse wrangler, der Pferdetrainer, der dafür Sorge trägt, dass die Tiere ruhig bleiben und tun, was sie vor der Kamera tun sollen.

„Nope“. Regie: Jordan Peele. Mit Daniel Kaluuya, Keke Palmer u. a. USA 2022, 131 Min.

Beim verschlossenen OJ klappt es mit dem Beruhigen und auch insgesamt mit der Arbeit nicht so gut. Auf einem Dreh muss er sich zunächst das herablassende Verhalten des Teams gefallen lassen, die lieber seinen Vater am Set gehabt hätten. Dann dreht sein Pferd plötzlich durch, weil jemand diesem einen Spiegel direkt vor die Augen gehalten hat, was OJ nicht rechtzeitig verhindern konnte. Der Job ist damit für ihn und seine Schwester gelaufen. Da OJ ohnehin Schulden hat, überlegt er, die Ranch zu verkaufen.

Zeugen seltsamer Ereignisse

Lucky, das Pferd mit dem Ausraster, bietet er kurz darauf dem Betreiber eines Wildwest-Themenparks in der Nähe an. Dieser Ricky „Jupe“ Park (Steven Yeun), war früher Kinderstar in einer Fernsehshow. Name: „Gordy’s Home“. Er war der verschreckte Junge unter dem Tisch. Der Affe Gordy, sieht man in einer Fortsetzung der Schreckensszene, hatte ihn damals irgendwann unter dem Tisch entdeckt, ihn aber verschont und sich ihm stattdessen in friedlicher Form genähert, wobei er die Faust zur Begrüßung reckte.

OJ und Jupe verbindet daher über den Pferdedeal hinaus noch mehr. Sie sind Zeugen seltsamer Ereignisse. So war OJ zugegen, als sein Vater tödlich verletzt wurde. Ein 5-Cent-Stück hatte diesem das Auge zerschnitten, als es vom Himmel in Richtung Erdboden schoss. Auch das Pferd, auf dem Otis Sr. in dem Augenblick gesessen hatte, bekam etwas ab, ein Sicherheitsschlüssel steckte in seiner Flanke, wie OJ irritiert bemerkte.

Jordan Peele inszeniert die Szene des Todes von OJs Vater nüchtern knapp, mit der genau richtigen Dosierung von beunruhigenden Signalen. Eine Wolke naht sich, aus der eine Art Drachenschnur herauszuhängen scheint, man hört ein Gellen wie von schreienden Stimmen, dann zischt es trocken, als Gegenstände des täglichen Gebrauchs auf die Erde herabschnellen. Für ein Flugzeugunglück, wie die offizielle Erklärung lauten wird, deutlich zu schnell.

OJ vermutet denn auch eine andere Ursache. Jupe ist diesem Anderen schon einen Schritt näher: Er meint, Aliens beobachtet zu haben. Es dauert nicht lange, da sieht auch OJ nachts etwas am Himmel, eine längliche flache Form, bloß angedeutet, doch gegenwärtig genug, um das Pferd an seiner Seite scheuen und Reißaus nehmen zu lassen.

Rassismus thematisieren

Dass von dem Ding am Himmel eine Gefahr ausgeht, ist OJ bald klar. Auch seine Schwester Emerald, in ihrer extrovertierten Art der Gegenpart zu OJ, ist verängstigt wegen der sonderbaren Erscheinungen. Sie will jedoch unbedingt versuchen, Filmaufnahmen zu machen, um zu beweisen, dass es Ufos gibt, und nebenbei reich und berühmt werden. Ihre Ranch rüsten sie darauf mit Hightech­kameras aus.

Jordan Peele hat in seinen ersten beiden Filmen, der Horrorkomödie „Get Out“ (2017) und dem Horrorthriller „Wir“ (2019) ziemlich direkt Rassismus thematisiert. In „Nope“ folgt die Handlung in Teilen einem klassischeren Schema, kombiniert Ufo-Verschwörungsthemen und den Kampf unerschrockener US-Amerikaner gegen eine unbekannte Bedrohung mit Western-Motiven.

Bloß dass Peele seine Figuren gegen die vorherrschenden Gepflogenheiten des Genres besetzt: OJ, Emerald und Otis Sr. sind afroamerikanische Cowboys, und der im Cowboy-Kostüm vor seinen Besuchern auftretende Jupe ist asiatisch-amerikanisch.

Peele mischt noch weitere Motive in sein Drehbuch, etwa den Vorzug der Erfahrung im Umgang mit Tieren. OJ wird seine Arbeit mit Pferden am Ende das Leben retten, während Jupe durch seine Begegnung mit dem Schimpansen, die für ihn glücklich ausging, den mutmaßlichen Aliens so furcht- wie ahnungslos gegenübertritt.

Gerechtigkeit für afroamerikanische Cowboys

Ein wuchtiger Klops Filmgeschichte ist in „Nope“ obendrein mit verarbeitet. Unmittelbar vor der Szene, in der OJ sein Missgeschick mit dem Pferd vor der Kamera hat, gibt es eine kurze Sequenz des englischen Filmpioniers Eadweard Muybridge zu sehen, in der dieser die Serienfotografie eines Pferdes mit Reiter in Bewegung mithilfe seines „Zoopraxiskop“ genannten Vorführgeräts zu einem zweisekündigen Kürzestfilm machte. „The Horse in Motion“ von 1878, in den USA entstanden, gilt als der Durchbruch bewegter Bilder auf dem Weg zum Film.

Die Sequenz, die Peele unter dem berühmten Namen verwendet, ist anscheinend aus einer späteren Serie von Muy­bridge namens „Animal Locomotion“, wie in US-amerikanischen Medien angemerkt wurde. An diesen Bildern interessiert Peele vor allem der Reiter, der „erste Filmstar“, bei dem es sich um einen Afroamerikaner handelt. Diesem will Peele Gerechtigkeit widerfahren lassen, stellvertretend zugleich für die vielen afroamerikanischen Cowboys, die in der Geschichte der USA einerseits und in Western-Filmen andererseits eine untergeordnete Rolle spielen.

Der Jockey wird bei ihm zu einem Vorfahren der Haywoods, der ihre Familientradition begründete. Emerald erzählt die Geschichte bei dem Hollywood-Dreh, kurz bevor dieser für OJ und sie mit dem Rausschmiss endet.

Ein bisschen ungelenk didaktisch fügt sich das ins Ganze, überfrachtet es fast. Doch Peele gleicht dies umso stärker mit spektakulären Bildern aus, die schon seine ersten zwei Spielfilme so bemerkenswert machten. In „Nope“ lässt er unbelebte Dinge, einen Rasensprenger zum Beispiel, wie Lebewesen auftreten, verkehrt die vertraute Welt des Alltags in etwas Fremdes. Und die ganz großen Bilder findet er am Ende, wenn er eine Pferdeweide mit „Skydancern“ vollstellt, diesen Stofffiguren, die durch Luft in ständige Bewegung versetzt werden. Bei ihm dienen sie zum Aufspüren von Aliens.

Nicht alles mag Sinn ergeben, nicht jeder Einfall mag der Geschichte nützen, doch der Rhythmus seiner Bilder, zusammen mit der Filmmusik, die von brummelndem Geräusch bis zum kolossalen Orchester-und-Chor-Showdown unterschiedlichste Register wählt, trägt die gut zwei Stunden über alle offen bleibenden Fragen hinaus. Und auch für das Bibelzitat vom Anfang findet er ein imposant drastisches Bild: Mit Unrat wird geworfen. Heftig.

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