Jazzdrummer Bennink über Trommelwirbel: „Die verdammten Spechte“
Han Bennink ist beim Jazzfest Berlin zu Gast. Er blickt auf eine lange Karriere zwischen freier Improvisation und bildender Kunst zurück.
taz: Han Bennink, wie geht es Ihnen, wo sind Sie gerade?
Han Bennink: Mir geht es eigentlich sehr gut. Obwohl ich aufpassen sollte, wenn ich das sage. In Holland muss man dann gleich auf Holz klopfen, man weiß ja nicht, was kommt, immerhin bin ich im 80. Lebensjahr. Nur meinen Zähnen geht es nicht so gut, die fallen aus. Demnächst muss ich zum Zahnarzt und dann bekomme ich Kastagnetten – und das als Schlagzeuger! Jetzt gerade sitze ich in meinem Haus bei Groningen, mitten im Wald mit vielen Vögeln um mich herum, ich liebe Vögel!
Ihr Drumstil ist sehr virtuos, immer geprägt von Tempo, Energie und Anarchie. Auf der Bühne sind Sie eine Naturgewalt. Lässt es sich als Free-Jazz-Schlagzeuger gut altern oder denken Sie manchmal ans Aufhören?
Zuerst einmal, den Begriff „Free Jazz“ kann ich nicht leiden. Was soll das überhaupt heißen? Ich nenne es lieber „improvisierte Musik“. Und ich denke gar nicht daran, aufzuhören. Nach wie vor spiele ich ausgiebig, vor allem mit jungen Musiker:innen. Nur die Konzertreisen finde ich strapaziös, Reisen fand ich aber immer schon anstrengend.
geboren 1942 in Zaandam/Holland, spielte in den 1960er Jahren u. a. mit Gato Barbieri, Sonny Rollins und Eric Dolphy, bevor er 1967 das Orchester ICP (Instant Composers Pool) mitgründete. Wichtige Alben: „Solo“ (1970); „Change of Season“, mit George Lewis und ICP (1985); „Two for Two“, Duo mit Aki Takase (2011).
Früher reisten Sie mit großer Ausrüstung umher, von tibetanischen Klanghörnern bis zu chinesischen Gongs. Mittlerweile kommen Sie nur noch mit Ihren Stöcken und Besen – und gelegentlich mit Ihren holländischen Holzclogs.
Als ich mit dem Saxofonisten Peter Brötzmann gespielt habe, bin ich 15 Jahre mit einem Bus durch Deutschland gefahren und habe mich geplagt mit viel Equipment. Mein Vater, ebenfalls Schlagzeuger, hat immer zu mir gesagt, wozu nimmst du immer so viele Teile mit? Du solltest das, was du zu sagen hast, mit einem Instrument ausdrücken. Also habe ich immer weiter reduziert und reise jetzt nur noch mit Trommelstöcken und einer Snaredrum. Bei meinem Auftritt in Berlin werde ich beim Konzert mit dem Orchester ICP ein komplettes Schlagzeug spielen.
Außerdem werden Sie in Berlin im Duo mit dem Pianisten Pat Thomas auftreten und mit dem ICP Orchestra, das Sie 1967 mit Misha Mengelberg und Willem Breuker als Kollektiv gegründet haben. Wie hat sich Ihre Musik seither gewandelt?
Das Orchester, wie es jetzt ist, besteht seit circa 15 Jahren. Davor habe ich in unterschiedlichen Konstellationen gespielt, etwa mit Steve Lacy, Derek Bailey und Dudu Pukwana. Wenn man mit zehn Musikern improvisiert, muss man vorher eine gemeinsame Formensprache finden, sonst klingt es am Ende wie ein Drip Painting von Jackson Pollock, genauer, wie ein jammervoller Versuch davon.
Für unser Konzert habe ich eine Reihenfolge von Kompositionen vorbereitet und dazwischen wird es kleine Gruppen geben, die dazu improvisieren. Zuerst wird eine Version von „Happy Go Lucky Local“ von Duke Ellington gespielt und dann ein Improvisationsspezial. Dafür haben wir zwei neue Mitglieder: Terrie Ex, Gitarrist der Amsterdamer Postpunkband The Ex, und Joris Roelofs an der Bassklarinette.
Live beim Jazzfest Berlin: 4. November Han Bennink mit Pat Thomas und danach mit dem ICP, im Silent Green (Wedding)
Ihr Pianist Misha Mengelberg ist leider 2017 gestorben. Wie sehr hat sein Tod das Orchester verändert?
Das war zunächst eine schwere Zeit für uns, er hinterlässt eine Lücke. Misha und ich haben seit 1959 zusammen gespielt, wir sind zwar in all den Jahren nie Freunde geworden, dafür waren wir zu verschieden. Auf der Bühne haben wir sogar oft gegeneinander gespielt, was natürlich eine besondere Reibung erzeugt hat. In Deutschland war die improvisierte Musik der 1960er und 1970er Jahre sehr brachial, in England wurde eher im Stil der Pointillisten improvisiert und in Frankreich war es Rokoko – verziert mit Ornamenten.
Empfohlener externer Inhalt
Solo Improvisation
In Holland haben wir uns jeweils von allem das genommen, was wir gebrauchen konnten. Dazu gehörte auch mal Blues, der in England streng verboten war. Es gab also gravierende regionale Unterschiede, wie improvisierte Musik in Europa gehandhabt werden durfte. Nach Mishas Tod war viel Unsicherheit, es überwog die Trauer und wir haben erst einmal ohne Klavier gespielt.
Gerade ist das Buch „MISHAKOSMOS – The Music Of Misha Mengelberg“ erschienen, für das Sie mit flotten Strichen das Cover gestaltet haben. Geht es Ihnen darum, sein Vermächtnis zu bewahren?
Ich selbst hätte seine Kompositionen nicht notieren können, denn ich kann keine Noten lesen. Für mich ist das nur Fliegenschiss auf weißem Papier. Aber das Orchester wurde ursprünglich für die Aufführung von Mishas Kompositionen gegründet.
Weshalb spielt im ICP Orchestra mit der Geigerin und Bratschistin Mary Oliver nur eine Musikerin?
Tja, weil es da so viele Männer gibt … Aber ich habe oftmals mit großartigen Musikerinnen gespielt, wie mit den beiden Pianistinnen Irène Schweizer und Aki Takase, die nun verdientermaßen den Mangelsdorff-Preis auf dem Jazzfest für ihr Lebenswerk bekommt.
Sie fühlen sich der Neo-Dada- und Fluxus-Bewegung der 1960er und 1970er Jahre verbunden, die von einer ästhetischen Radikalität geprägt war, die sich auch in Ihrer Spielpraxis zeigt. Sehen Sie sich als Teil dieser Bewegung?
Ich selbst war kein Teil der Bewegung, weil ich zu jung war. In den frühen 1960ern besuchte ich noch die Kunsthochschule und konzentrierte mich auf Radierungen. Aber gedanklich war ich schon beim Fluxus. Peter Brötzmann, der etwas älter ist als ich, hat in Wuppertal mit Nam June Paik an Installationen gearbeitet und als Teil von Peters Band habe ich auch mal bei Joseph Beuys gespielt.
Sie haben die Entwicklung der improvisierten Musik in Europa von Beginn an miterlebt und geprägt. Was kann Sie noch überraschen?
Mich interessiert vor allem, wie ich mich weiterentwickle. Ich übe schon mein ganzes Leben lang Trommelwirbel. Die einzigen, die es wirklich können, sind die Spechte, die ich im Wald höre. Die spielen die schönsten Wirbel und das macht mich verrückt, weil ich seit sechzig Jahren diese Wirbel übe und die verdammten Spechte üben überhaupt nicht dafür – und dann kommen sie und wirbeln wieder.
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