Jan Josef Liefers singt Ostrock: "So anders war es bei uns auch nicht"
20 Jahre nach dem Mauerfall schaut Schauspieler Jan Josef Liefers zurück. Er will aufräumen auch mit der eigenen Vergangenheit - und geht mit den Ostrockliedern seiner Kindheit auf Deutschlandtournee.
Das Fernsehpublikum kennt Jan Josef Liefers vor allem als Professor Karl-Friedrich Boerne, den Pathologen aus dem "Tatort", der in Münster im tiefsten Westfalen spielt. Aufgewachsen ist der Schauspieler jedoch in der DDR.
Liefers wurde 1964 in Dresden als Sohn des Regisseurs Karlheinz Liefers geboren. Nach einer Tischlerlehre an der Semperoper ging er 1983 an die Ernst-Busch-Schauspielschule nach Berlin. Danach war er drei Jahre am Deutschen Theater.
Schon kurz nach der Wende ging Liefers in den Westen - noch 1990 wechselte er ans Thalia-Theater in Hamburg. Seither spielte er in zahlreichen TV- und Kinofilmen mit, zuletzt im "Baader-Meinhof-Komplex". Heute wohnt Liefers mit seiner Familie in Berlin-Steglitz.
Lange Zeit mied Liefers das Image des Ossis. Nun aber geht er weit zurück in seine Vergangenheit. Zusammen mit seiner Band Oblivion bringt er Mitte Februar den "Soundtrack meiner Kindheit" auf die Bühne. Liefers - nun im schluffigen Rocker-Outfit mit Hut - singt dabei ausschließlich Songs aus der DDR. In Berlin tritt er am 17. Februar in der Passionskirche in Kreuzberg auf.
taz: Herr Liefers, neigen Sie zur Ostalgie?
Jan Josef Liefers: Oh nein. Ich trauere der DDR nicht nach, wenn Sie das meinen. Ich habe keine wehmütigen Gefühle, wenn ich an dieses Land denke.
Immerhin machen Sie eine Tour mit alten Ostrocksongs.
Das Programm sollte ursprünglich nur ein einziges Mal aufgeführt werden, in der Reihe "Century Of Song" des Theaterfestivals Ruhrtriennale in Bochum. Ernst zu nehmende Musiker spielen dort Stücke, die ihrer Meinung nach das Jahrhundert oder auch nur ihr eigenes Leben geprägt haben. Eine ehrenvolle Einladung für meine Band und mich. Die Liste für das Set war schnell geschrieben, Songs von den Stones, den Beatles, Led Zeppelin, Dylan. Aber das traf es eigentlich nicht.
Sondern?
Man versucht gerne, sich im Nachhinein cooler darzustellen, als man eigentlich war. Die Wahrheit ist: Ich habe lange das gehört, was meine Eltern hörten und was so im Radio lief: Puhdys, Silly, Karat, Renft, City, Lift. Das sind meine frühen Prägungen, ob es mir gefällt oder nicht.
Und diesen Bands widmen Sie nun die Tour?
Es gab zwei Kriterien für die Songauswahl: Zum einen muss man die Lieder heute noch gut hören können. Zum anderen müssen sie für mein Leben eine Bedeutung haben. Ich war selbst schockiert, dass ich bestimmte Songs noch komplett mitsingen kann. Dann kam ich darauf, dass diese Stücke mit besonderen Situationen in meinem Leben verbunden waren. Wenn ich zum Beispiel das Gefühl hatte, vor eine Wand gerannt zu sein.
Sie singen "Als ich wie ein Vogel war" von Renft. Was ist da Ihr Bezug?
Das Lied stammt aus dem Defa-Film "Für die Liebe noch zu mager?" Der Song drückt für mich aus, dass man in einem bestimmten Alter, etwa wie ich mit 13, komplett ignoriert wird, egal was man tut.
Was denkt ein 13-Jähriger bei Zeilen wie "Als ich wie der Himmel war, überm Rosenstrauch, setzte mancher sich und sprach: Rosen blühen auch"?
Es ist nicht so kompliziert, wie es klingt. Du mauserst dich, versuchst, dich bemerkbar zu machen. Du bläst dich auf, wirst groß und kugelrund und himmelblau. Und alles, was die Leute sagen, ist: "Guck mal, die Rosen!" Ich wollte, dass die Leute mir zuhören, ich war ziemlich penetrant in meinen Versuchen, aber es schien niemanden zu interessieren. Der Song sprach zu mir: Wir sind Renft, wir wissen, wie es dir geht.
Sie erzählen beim Auftritt diese Geschichten aus Ihrer Kindheit und zeigen Super-8-Filme, die Ihr Vater von Ihnen gedreht hat. Ein ganz schöner Egotrip.
Hm. Vielleicht. Aber das Interessante an den Filmen bin gar nicht ich, es ist das, was neben und hinter mir zu sehen ist. Unsere kleine Tournee ist eigentlich die Konsequenz aus den positiven Reaktionen unseres Publikums, damals in Bochum. Wir dachten, da besteht offenbar ein Defizit.
Was meinen Sie?
Das DDR-Verständnis gerinnt langsam zu einem Bild: Entweder jemand war Opfer oder Täter. Wenn du kein richtiges Opfer warst, na ja, dann musst du eben irgendwie Täter gewesen sein. Dieses Bild enthält genug Dramatik für Kinofilme und Event-Zweiteiler. Florian Henckel von Donnersmarck und Veronica Ferres gehen dann in Talkshows und erklären den Osten. Egal wie aufrichtig und ehrenwert ihre Absichten sind: Das Leben, das meine alten Kumpels und ich kannten, kommt in dieser Dramaturgie nicht vor.
Was genau fehlt in den Filmen?
Nichts, diese Filme sind, wie sie sind. Aber es fehlen andere Filme. Ich war weder Opfer noch Täter. Und davon handelt der "Soundtrack meiner Kindheit". Da werden keine Heldenstorys erzählt, sondern schnöder Alltag, so ernsthaft oder absurd oder lächerlich er war.
Von Ihren zehn Auftritten machen Sie neun im Westen. Warum?
Wir haben öfter auch im Osten gespielt, aber den Leuten dort kann ich wenig Neues erzählen. Menschen, die im Westen aufgewachsen sind, können mehr entdecken. Wenn es gut läuft, sind sie neugieriger.
Das hat etwas Missionarisches: Sie erklären den Menschen im Westen, wie es im Osten war.
Kommt mir auch manchmal so vor. Aber ich rede ja nur von meiner kleinen Welt. Da wird niemand missioniert.
Was für ein Verhältnis hatten Sie zum Staat?
Eigentlich gar keines. Ich staune immer wieder, wie spurlos diese DDR-Propaganda an mir vorübergegangen zu sein scheint. Wenn ich heute Bilder sehe von den alten Mai-Demonstrationen, ich schaue mir das an, und denke, stimmt ja, so war das. Aber davon ist nichts hängen geblieben.
Wie kommt das?
Es liegt sicher daran, wie ich aufgewachsen bin. Die Atmosphäre bei uns zu Hause war sehr freigeistig. Jeder hat gesagt, was er sagen wollte. Es wurde viel gelacht über das Politbüro. Die Regierungs-Opas waren für uns eher Witzfiguren, weil sie so durchdrungen waren von ihrer Bedeutung und nur in Stereotypen redeten. Außerdem bin ich mit sehr viel Liebe groß geworden, bei meiner Mutter und meinen beiden Großmüttern. Ich könnte nicht sagen, dass ich irgendwas vermisst hätte. Begriffe wie "Reisefreiheit", das ist einem als Kind ja egal. Wir waren im Urlaub an der Ostsee und in Ungarn, das fand ich okay.
Es klingt, als wären Sie nie angeeckt.
Ich bin dauernd angeeckt. Weil ich die "falschen" Eltern hatte, drückte man mir eine Vier in Betragen rein, um zu verhindern, dass ich Abitur machen kann. Dann kam so ein Werber von der Nationalen Volksarmee und meinte, wenn ich eine Unteroffizierslaufbahn einschlagen würde, hätte ich das Abitur so gut wie in der Tasche. Ich sei nicht der erste Idiot, den sie zum Akademiker machten. Ich dachte, du kannst mich mal, und sagte: "Nee, kein Bedarf." Für die Schauspielschule reichte auch eine abgeschlossene Berufsausbildung, also lernte ich Tischler. Aber hätte ich Arzt oder Ingenieur werden wollen, hätte mir diese Begegnung alles versaut. Das war der Stil der DDR. Es gibt ein Lied, das wir auch spielen, "Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr". Dieser Song hat mir damals den Arsch gerettet.
Inwiefern?
Für mich hat die Welt auch nicht mehr gestimmt. Ich hab den Typ abblitzen lassen, das war ein gutes Gefühl. Aber es war auch meine erste Erfahrung mit der Willkür von Idioten. Ich war stinkefaul in der Schule, hatte jedoch gute Zensuren. Und dann kommt so ein Hampelmann, der keine zwei Sätze fehlerfrei zu Ende reden kann, und spielt mal eben mit meinem Leben.
Wären Sie heute ein anderer Mensch, wenn Sie im Westen groß geworden wären?
Gut möglich. Ich bin in einer Diktatur erwachsen geworden. Alles, was von der offiziellen Linie abwich, wurde unheimlich ernst genommen. Als Abschlussarbeit an der Schauspielschule haben mein bester Freund und ich "Lenz" von Georg Büchner auf die Bühne gebracht, eine Erzählung über den schizophrenen Dichter Jakob Lenz. Das Stück wurde ein kleiner Undergrounderfolg. Eines Tages wollte sich der stellvertretende Kulturminister selber ein Bild machen. Nach der Aufführung trat er in die Garderobe, sah uns ernst an und fragte: "Warum machen zwei begabte junge Leute, die in diesem Land aufgewachsen sind, denen wir die Schule und das Studium bezahlen, warum machen die so eine nihilistische, depressive Sache?" Man konnte in der DDR leicht stolpern und abschmieren. Einige sind tragisch geendet. Aber auf eine gewisse Weise gewinnst du als junger Mensch durch so etwas auch an Selbstbewusstsein. Man stand irgendwie besser im Wind.
Man war bedeutsam?
Natürlich nicht wirklich, aber man fühlte sich so. Du musstest deine Gegner nicht lange suchen. Wenn du im Osten gesagt hast: "Der Honecker ist doch ein Schwerverbrecher!", konntest du für mehrere Jahre in den Knast gehen. Im Westen hättest du gute Chancen, in eine Talkshow eingeladen zu werden.
Sie erinnern sich also doch an recht große Unterschiede.
Schon. Aber mich interessiert, was uns einander vertraut macht. Ich will nicht auf den Unterschieden herumreiten. Ich bin so angekommen in der heutigen Zeit, von der ich sagen würde, das ist meine Zeit.
Vielen geht es anders. Nach einer Umfrage fühlen sich nur 22 Prozent der Ostdeutschen als "richtige Bundesbürger".
Was erwarten Sie? Für einen Hartz IV-Empfänger in, sagen wir, Hoyerswerda sieht die Welt anders aus als für mich. Neulich haben wir ein Konzert in Nordhausen gespielt. Da kam ein junger Mann zu mir und sagte: "Tut gut, zu wissen, Herr Liefers, dass Sie auch aus dem Osten kommen." Ich habe ihn gefragt, ob es nicht langsam egal ist, wo man herkommt. Er guckt mich an, lächelt und sagt ganz ernst: "Das wird noch lange nicht egal sein." Der war vielleicht 16. Ich merke, ich kann da nicht mehr mitreden. Ich lebe nicht in Nordhausen.
Sie wollten nie der Quotenossi sein. Was heißt das?
Es gab eine Zeit, da wollten die Medien allen Mut machen und suchten dafür geeignete Prominente aus dem Osten, Fußballer, Moderatoren, Schauspieler. Es kam mir vor wie eine besonders lieb gemeinte Form von Diskriminierung. So eine Art Vorzeigeossi zu werden, da wollte ich nicht mitmachen. Dafür hätte ich mich gehasst.
Sie sind gleich nach der Wende nach Hamburg und wohnen heute in Steglitz. Haben Sie sich im Westen angepasst, um erfolgreich zu sein?
Im Gegenteil. Ich kam vom Deutschen Theater, wurde akzeptiert, meine Meinung war gefragt. Ich traf auf aufgeschlossene Menschen, Schauspieler, Regisseure. Die waren mir ähnlich. Ich habe nur die Insel gewechselt. Und als ich auf dem Einwohnermeldeamt in Hamburg ein Formular falsch ausgefüllt hatte und mir die Belehrungen des Beamten anhörte, dachte ich: Das ist original wie im Osten.
Unterscheidet Ossis und Wessis also vor allem die Geschichte?
Ein Effekt der Konzerte ist bestimmt, dass viele Leute sagen: So anders war es bei uns auch nicht. Klar, die Luft im Osten roch anders, die Häuser sahen grauer aus, und überall war die Stasi. Aber das, was einen wirklich beschäftigt, die Mädchen, die Freunde, der Fußball, der Gitarrenunterricht, das war doch ähnlich. Ich sage es noch mal: Ich hänge mit keiner Faser an der DDR. Ich mache drei Kreuze, dass das Land weg ist. Für mich konnte nichts Besseres passieren. Ich sage aber auch: Das Land bestand aus vielen Parallelwelten. Warmherzige, lebendige, spaßige, liebevolle und sexy Kehrseiten des verlogenen Regimes.
Die Tour ist eine Art Autobiografie. Sind Sie mit 44 nicht zu jung für so viel Rückschau?
Erinnern Sie sich nicht manchmal an früher? 44 ist, wenn ich Glück habe, etwa die Hälfte des Lebens. Ich mache deshalb ja nicht den Sack zu.
Aber eine Altersfrage ist es schon?
Wahrscheinlich. Vor zehn Jahren wäre ich nicht auf so eine Idee gekommen. Da habe ich gesagt: Jetzt ist erst mal nichts mit der DDR, jetzt schauen wir, wie es weitergeht. Inzwischen kann ich darüber reden. Das hat auch was von Aufräumen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden