piwik no script img

Jahrestag Militärputsch in MyanmarDie stille Revolution

Am 1. Februar 2023 jährt sich der Militärputsch in Myanmar zum zweiten Mal. Noch immer sitzen mehr als 13.000 Menschen in Haft.

In einer Garage haben Aktivisten ein Museum über Volksaufstände gegen das Militär eingerichtet Foto: Sven Hansen

Mae Sot/ Chiang Mai taz | Über die Todes- und Schreckensbilanz von Myanmars Militärjunta führt niemand so gründlich und so glaubwürdig Buch wie die von Bo Kyi gegründete Organisation Assistance Association for Poltical Prisoners (Burma), kurz AAPP genannt. Seit dem Militärputsch vor genau zwei Jahren veröffentlicht die Organisation die Zahlen täglich in einer ihrer offen zugänglichen Datenbanken.

An diesem Montag sieht die Kurzfassung von AAPPs Zahlen so aus: 2.901 Zivilisten wurden von Juntakräften seit dem Putsch am 1. Februar 2021 getötet, darunter 282 Kinder. 143 Personen wurden zum Tode verurteilt, davon sitzen 101 in Todeszellen, vier wurden bisher hingerichtet, der Rest wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. 17.535 Zivilisten wurden bisher festgenommen, davon 439 Kinder. 13.719 Personen sind noch in Haft, davon wurden 2.216 bisher verurteilt. Dann folgt der tägliche Hinweis: „Diese Zahlen wurden von AAPP verifiziert. Die tatsächlichen Zahlen sind wahrscheinlich viel höher.“

Diese politisch brisanten Daten – die von Human Rights Watch und Amnesty International, dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte und vielen westlichen Botschaften verwendet werden – würde Myanmars Militär am liebsten unbekannt machen. Sie stammen aus einem Holzhaus inmitten der westthailändischen Grenzstadt Mae Sot. Kein Schild, keine Hausnummer markieren das unscheinbare Gebäude. Nichts weist darauf hin, dass hier Bo Kyi mit 17 Mitarbeitern täglich die von Informanten von der myanmarischen Seite der Grenze per E-Mail und Messenger eintreffenden Daten verarbeitet, gegencheckt und dann kumuliert veröffentlicht und in thematischen Analysen aufbereitet.

In einer ehemaligen Garage des Hauses haben die AAPP-Aktivisten ein Museum eingerichtet, das durch den Nachbau einer Gefängniszellentür zu betreten ist und über die seit 1962 unterdrückten Volksaufstände gegen das Militär im früher Birma genannten Land informiert. Vorausgesetzt, man findet das Gebäude überhaupt und hat vorher einen Termin für einen Besuch vereinbart.

Die enorme Brutalität des Militärs

Der heute 58-jährige Bo Kyi war selbst politischer Gefangener. Der Aktivist der Studentenbewegung von 1988/89 saß mehr als sieben Jahre in Haft. „Als ich entlassen wurde, baten mich Mit­häftlinge, etwas für sie zu tun“, berichtet er. Mit anderen Ex-Häftlingen gründete er im Jahr 2000 die Gefangenenhilfsorganisation im thailändischen Exilort Mae Sot. Als später das Militär etwas Macht abgab, zog auch AAPP in Myanmars Metropole Yangon, behielt in ­weiser Voraussicht aber sein Büro in Mae Sot. „Wir haben früher oder später mit einem Putsch gerechnet“, sagt Bo Kyi. Deshalb konnte AAPP nach dem erneuten Verbot 2021 nahtlos weiterarbeiten.

Zuvor hatte AAPP die Zeit in der Legalität genutzt, um ein landesweites Netzwerk von 13 lokalen Menschenrechtsgruppen aufzubauen und sie zu schulen. „Von denen bekommen wir heute die meisten Informationen,“ sagt Bo Kyi. „Dabei überprüfen wir die Fakten und geben notfalls lieber niedrigere Zahlen an, weil wir sonst nicht glaubwürdig sind.“

Die enorme Brutalität des Vorgehens des Militärs zeigt für ihn dessen Schwäche und Verunsicherung. „Die Kontrolle des Militärs über das Land nimmt nicht zu, sondern ab“, sagt er, dessen Vater selbst beim Militär war und ihn in seiner Haftzeit nie besucht hat. Die „Volksverteidigungskräfte“ (PDFs), wie sich die Milizen des Widerstands aus einem losen Bündnis zahlreicher bewaffneter Gruppen in Ergänzung zu den mit ihnen vielfach kooperierenden und kampferfahrenen Armeen der ethnischen Minderheiten heute nennen, werden Bo Kyis Meinung nach stärker: „Zunächst hatten sie nur selbst gebaute Waffen, inzwischen haben sie sogar etwas Artillerie, viele automatische Waffen, und sie setzen Drohnen ein.“ Regimekritische Onlinemedien zeigen immer wieder Aufnahmen, bei denen der Widerstand von modifizierten kommerziellen Drohnen aus großer Höhe Granaten auf überraschte Juntakräfte abwirft.

Der Militärputsch vom 1. Februar 2022↓

Mit der nie bewiesenen Begründung, die Parlamentwahlen vom November 2020 seien gefälscht worden, hat Myanmars Militär vor zwei Jahren geputscht. Anlass war die vernichtende Wahlniederlage der militärnahen Partei USPD gegenüber der von Aung San Sauu Kyi geführten Nationalen Liga für Demokratie (NLD).

Die Generäle füchteten, dass mit dem Wahlergebnis der Druck unaufhaltbar steigen würde, sich stärker aus der Politik zurückzuziehen und den Widerstand gegen eine entsprechende Verfassungsänderung aufgeben zu müssen. Beim Coup wurden Aung San Suu Kyi und viele Abgeordnete ihrer Partei verhaftet.

Verteidigungsminister und Armeechef Ming Aung Hlaing, der 2021 hätte in Pension gehen müssen, sicherte sich so als Juntachef die Macht. Doch hatten die Generäle nicht mit dem massiven landesweiten Widerstand der Bevölkerung gerechnet. Zwar hatte es immer Rebellionen ethnischer Minderheiten gegeben, doch die zunächst völlig friedlichen Massenproteste samt Streiks hunderttausender Beamter auch der birmanischen Bevölkerungsmehrheit straften das Militär Lügen. Das tötete immer mehr der friedlichen Demonstranten und löste so eine bewaffnete Widerstandsbewegung aus, der mittlerweile hunderte, wenn nicht schon tausende Soldaten zum Opfer gefallen sein dürften. (han

Vor allem aber die Hinterhalte mit selbst gebauten Landminen sorgen immer wieder für hohe Verluste unter den Konvois des Militärs. Das schlägt blind zurück, „weil inzwischen das ganze Land für sie zur Front geworden ist“. sagt Bo Kyi. Zahlen über getötete Soldaten oder ermordete mutmaßliche Militärspitzel sammelt AAPP nicht – so wie die Organisation auch nicht die Verluste des bewaffneten Widerstands beziffert. Das sei Töten im Krieg, sagt er, spricht sich aber dafür aus, dass dies nach der Revolution aufgearbeitet gehört.

Keine Probleme mit dem bewaffneten Widerstand hat auch Bo Bo, obwohl das eigentlich überhaupt nicht seine Art des Kampfes ist. Denn der 34-Jährige ist von einem ungenannten Ort aus Koordinator der für Gewaltfreiheit eintretenden Aktivistengruppe Generation Wave. Die gründete sich 2007 zur Zeit der von buddhistischen Mönchen getragenen sogenannten Safranrevolution, die sich vergeblich gegen die Militärherrschaft erhob.

Generation Wave zählt laut Bo Bo rund hundert Aktivisten. Das Ziel ist, die landesweite Streikbewegung des zivilen Ungehorsams von Staatsangestellten (Civil Disobedience Campaign – CDM) zu unterstützen. Er hat sogar Verständnis, wenn manche Beamte nach wochenlangem Streik doch wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, schließlich müssten ihre Familien ja von irgendwas leben.

Seit Neuestem gibt die Junta keine Pässe mehr aus

Für Bo Bo ergänzen sich bewaffneter und gewaltfreier Kampf an ihren jeweiligen Fronten. „Das Ziel ist die Revolution, ein Systemwechsel hin zu Menschenrechten, Frieden und Demokratie“, sagt er. Für ihn sei jetzt auch nicht der zweite Jahrestag des Putsches, sondern der zweite Jahrestag der Revolution, nämlich des „Aufstandes der Bevölkerung gegen das Militär“. Er berichtet von Vorbereitungen des nationalen Streikkoordinationskomitees aus mehr als 30 Gruppen für einen „stillen Streik“ an diesem 1. Februar 2023.

Bei dieser Aktionsform wird die Bevölkerung dazu aufgerufen, sich von 10 bis 15 Uhr komplett aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen: nicht arbeiten, Geschäfte schließen, nicht auf die Straße gehen, einfach zu Hause bleiben und so zeigen, dass anders als vom Militär behauptet längst keine Normalität eingekehrt ist. Doch hält Bo Bo an dem Tag auch den ein oder anderen Flashmob wie auch Protestmärsche in von den PDFs kontrollierten Gebieten für möglich.

„Der Putsch ist gescheitert,“ bilanziert Aung Zaw, Gründer und Chefredakteur des 1993 gegründeten oppositionellen Exilmediums The Irrawaddy mit Sitz in Thailands nördlicher Großstadt Chiang Mai. „Die Junta hat Myanmar nicht unter Kontrolle, weil sie nicht von der Bevölkerung unterstützt wird.“ Auch ihn hat die Stärke des bewaffneten Widerstands überrascht, „der keine Waffen von anderen Staaten bekommt, sondern allein von Myanmars Bevölkerung im In- und Ausland unterstützt wird“. Aung Zaw verweist darauf, dass seit dem Putsch mindestens 1,2 Millio­nen Menschen innerhalb des Landes vertrieben wurden, die Hälfte der Bevölkerung unter die Armutsgrenze gerutscht ist und laut UNO mindestens 70.000 ins Ausland geflohen sind.

Seit Neuestem gibt die Junta keine Pässe mehr aus und verlängert deren Gültigkeit nicht mehr, was die Flucht und das Leben von Flüchtlingen wie von Arbeitsmigranten extrem erschwert. Von Letzteren sollen allein im benachbarten Thailand bis zu zwei Millionen leben.

„Das Regime verhält sich wie eine Besatzungsmacht“, meint Aung Zaw. Werden Soldaten angegriffen, brennen sie oft das nächste Dorf nieder. 34.000 Gebäude sollen Juntakräfte schon abgebrannt haben. „Weil die Infanterie so schwach und der Widerstand so stark ist, greift jetzt verstärkt die Luftwaffe an“, sagt Aung Zaw.

In diesem Jahr will das Regime noch versuchen, sich mit Wahlen Legitimität zu verschaffen, die aber angesichts des Verbots der bisher stets siegreichen Regierungspartei NLD der zu 33 Jahren Gefängnis verurteilten Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi keine Glaubwürdigkeit haben. Das dürfte in den nächsten Monaten, für die mit weiterer Gewalteskalation zu rechnen ist, zu einer absurden Situation führen: Während die Putschgeneräle auf Teufel komm raus ihre Scheinwahlen durchpeitschen wollen, wird die demokratische Opposition diese ihrerseits mit allen Mitteln zu verhindern suchen.

In seinem unscheinbaren Holzhaus in Mae Sot hält es der Menschenrechtler Bo Kyi auch für möglich, dass die Junta zum Putschjahrestag ihren Namen „State Administration Council“ kosmetisch runderneuern wird. „Es ändert nichts daran, dass seit dem Putsch nichts besser, sondern alles nur schlimmer geworden ist“, bilanziert Bo Kyi.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!