Jahreskongress der Energiebranche: Wirtschaftsministerin zu Besuch bei Ex-Kollegen
Katherina Reiche kündigt bei dem Treffen der Energielobby eine schnelle Senkung der Stromsteuer an. Die EU könnte Pläne für neue Gaskraftwerke stören.
Noch vor der Sommerpause sollen wichtige Vorhaben dazu ins Kabinett. Aber die vorgesehene Entlastung könnte geringer ausfallen als von der Regierung ursprünglich vorgesehen.
Die Bundesregierung will für sinkende Stromkosten sorgen, weil Energie in Deutschland im internationalen Vergleich teuer ist. Das belastet Unternehmen und Privathaushalte. Ein hoher Anteil der Kosten entfällt auf Steuern und Abgaben. Hier will die Bundesregierung ansetzen und Kund:innen bei den Netzgebühren entlasten und die Stromsteuer so weit senken, wie es die EU-Vorgaben zulassen.
Die EU sieht vor, dass die Stromsteuer bei mindestens 0,05 Cent pro Kilowattstunde liegen muss. Deutsche Verbraucher:innen zahlen zurzeit mit 2,05 Cent deutlich mehr. Insgesamt sollen Verbraucher:innen um 5 Cent entlastet werden. Branchenschätzungen zufolge wird das mehr als 20 Milliarden Euro kosten. Die Finanzierung ist noch offen.
„Das darf nicht zu Lasten der Investitionen gehen“, sagte BDEW-Präsident Stefan Dohler. Die vorgesehene Entlastung hält er für richtig. Es sei „eine Brücke“ bis zu niedrigeren Preisen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine seien die Kosten für fossile Energie gestiegen, gleichzeitig würden die Aufbaukosten die Erneuerbaren verteuern.
Die für eine Kostensenkung nötigen Maßnahmen sollen zwar vor der Sommerpause ins Kabinett, bei manchen aber müssen die Beihilfe-Regeln der EU beachtet werden. Die Entlastung komme, sagte Reiche. „Aber vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie man es erhofft hat.“
Der Jahreskongress des Lobbyverbands ist für die neue Wirtschaftsministerin, die bis zu ihrem Amtsantritt Chefin einer Tochter des Energiekonzerns Eon war, vertrautes Terrain. „Vielleicht sollte ich sagen: Liebe Ex-Kollegen“, begann sie ihre Rede. „Aber dann schreit Lobbycontol wieder auf.“ Die Organisation Lobbycontrol kritisiert den Wechsel von Reiche und anderen Manager:innen in die Regierung, weil sie Interessenskonflikte fürchtet. Um Distanz bemühte sich Reiche nicht. „Mich verbindet viel mit dieser Branche“, erinnerte sie ihre früheren Kolleg:innnen.
Bestandsaufnahme entscheidend
Die warten mit Spannung auf die Ergebnisse des von Reiche angekündigten Monitoring für den künftigen Energiebedarf. Damit soll ermittelt werden, wie hoch der Energiebedarf in Zukunft ist. Der Verband geht davon aus, dass die Ergebnisse Ende August vorliegen werden.
Davon wird abhängen, wie unter anderem der Ausbau der erneuerbaren Energien weitergeht. „Gesetzlich festgeschrieben ist, dass der Anteil der Erneuerbaren 2030 bei 80 Prozent liegen muss“, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae. „Die Frage ist: Was ist die Bezugsgröße.“
Heute liegt der Verbrauch bei rund 500 Terawattstunden im Jahr. Die Ampel-Regierung ging von einem Bedarf von 750 Terawattstunden im Jahr 2030 aus. Dabei setzte sie voraus, dass gesetzte Ziele wie 15 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen erreicht werden. Unklar ist, wer genau den Auftrag für das Monitoring bekommen wird. „Wir werden keine Kommission einsetzen“, erklärte Reiche. „Wir haben in Deutschland hervorragende Analyseinstitute.“ Damit steht fest, dass die Energiebranche nicht direkt an der Bestandsaufnahme beteiligt ist.
EU hat Fragen zu neuen Gaskraftwerken
Ein weiteres Projekt der neuen Bundeswirtschaftsministerin, das ganz oben auf ihrer Prioritätenliste steht: der Bau neuer Gaskraftwerke. Damit soll der Kohlenausstieg abgesichert und der Ausbau der erneuerbaren Energien flankiert werden. Reiche will reine Gaskraftwerke mit einer Kapazität von 20 Gigawatt bauen lassen, bislang ohne die Vorgabe, dass sie auf Wasserstoff umrüstbar sind.
Klimaschützer:innen kritisieren das Vorhaben, weil sie die Kapazitäten für stark überdimensioniert halten. Sie fürchten, dass die Energiewirtschaft länger als nötig an fossilem Gas festhält, wenn die Kraftwerke gebaut werden. „Wir wollen Ende des Jahres zu den ersten Ausschreibungen kommen“, sagte Reiche. In einem ersten Schritt sollen Gaskraftwerke mit einer Leistung von fünf bis zehn Gigawatt aufgeschrieben werden.
Ob das gelingen wird, ist offen. Die Pläne von Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatten eine Umrüstung der Kraftwerke auf Wasserstoff in weiten Teilen vorgesehen und waren mit der EU-Kommission abgestimmt. Die EU ist involviert, weil der Staat den Bau der Kraftwerke mit vielen Milliarden Euro anschieben wird. „Die Kommission verlangt umfangreiche Begründungszusammenhänge von uns“, sagte Reiche.
Die Beihilferegeln der EU sind kompliziert, für reine Gaskraftwerke gelten andere Bestimmungen als für wasserstofffähige. Allerdings gibt es Zeitdruck, weil der Bau der Kraftwerke einige Jahre dauert. Kommen sie zu spät, könnte das den Kohleausstieg gefährden, der spätestens 2038 abgeschlossen sein soll.
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