Jagdszenen in Ruhezonen

■ Die Kunst und das Private. Im Bauhaus-Archiv werden derzeit Fotografien von Marta Huth ausgestellt, die Wohnungseinrichtungen der 20er Jahre zeigen

In der Kunsthalle Tübingen ist derzeit die Sammlung Fröhlich zu sehen. Das Kölner Museum Ludwig zeigt Werke aus dem Besitz des Arztes Reiner Speck. In Heidelberg präsentieren die Brüder Klaus und Rolf Staeck Arbeiten, die sie von Joseph Beuys gekauft haben. Die Sammler kommen. Auch in Berlin. Anfang September wurde die Sammlung Berggruen eingeweiht, am nächsten Wochenende heißt es im Hamburger Bahnhof Vorhang auf für die Kunstsammlung Erich Marx. Was all diese Ausstellungen und Museen nicht zeigen, aber doch untrennbar mit dem Sammeln von Kunst verbunden ist, ist das Private, der alltägliche Umgang mit Kunst, aus dem heraus die Kollektionen, die jetzt einem breiten Publikum vorgestellt werden, entstanden sind.

Eine kleine Ausstellung im Bauhaus-Archiv geht den entgegengesetzten Weg. „Berliner Lebenswelten der zwanziger Jahre – Bilder einer untergegangenen Kultur“ lautet ihr Titel. Sie zeigt Fotografien, die die Berlinerin Marta Huth (1898–1984) in den Jahren 1926 bis 1933 in zumeist großbürgerlichen Berliner Wohnungen und Häusern aufgenommen hat. Insgesamt sind es 27 Inneneinrichtungen. Dabei handelt es sich zwar nicht ausschließlich um Wohnungen von Kunstsammlern, aber auf den meisten Bildern von Marta Huth sind Kunstwerke zu sehen – Gemälde und Plastiken, die man heute eigentlich nur noch in Museen vermuten würde.

Daß der Galerist Alfred Flechtheim auch in seinen Privaträumen Kunstwerke hängen hatte, ist naheliegend. Trotzdem berührt es einen auf merkwürdige Weise, über Flechtheims Kamin Picassos Stillleben „Glas, Flasche, Fisch“ von 1922 zu sehen. Auf dem Foto, das die Bibliothek des Kunsthändlers zeigt, erkennt man einige Gemälde, die heute als Hauptwerke der Kubisten gelten: Juan Gris' Geige von 1913 etwa, Fernand Légers „Nature Morte“ von 1918, dazu weitere Bilder von Picasso und Georges Braque. Und da sich die KünstlerInnen damals vorzugsweise von Plastiken aus Afrika und der Südsee inspirieren ließen, ist es nur folgerichtig, daß auch Flechtheim solche Kultgegenstände besaß. Über der Tür zur Bibliothek hängen drei afrikanische Masken, auf dem kleinen runden Tisch steht eine grellbemalte Figur aus der ehemaligen deutschen Kolonie Neu-Mecklenburg.

Bankdirektor Richard Ginsberg, der in einer sich über zwei Stockwerke erstreckende 10-Zimmer-Wohnung am Lietzensee lebte, hatte die Büste „Kopf der großen Sinnenden“ von Wilhelm Lehmbruck auf der Kommode – ein Museumsstück, neben dem ein blankgeputzter Aschenbecher steht. Eine Landschaft des französischen Impressionisten Camille Pissarro hängt über der schlichten, eleganten Anrichte in Ginsbergs Eßzimmer, darunter eine Schale mit Früchten, flankiert von zwei Kerzenleuchtern.

Eine der Wohnungen, die Marta Huth fotografierte, gehörte dem Kunsthistoriker Curt Glaser. Glaser hatte offenbar eine Vorliebe für dunkles Holz und schwere lederne Sessel, aber nicht nur das: Ostasiatische Figuren und mehrere Gemälde von Edvard Munch prägen das Ambiente in des Wissenschaftlers Arbeitszimmer. In seiner Bibliothek findet sich eine Skizze für ein Deckengemälde des Rokoko, und – auf einer Staffelei! – ein Porträt Glasers, gemalt von Max Beckmann.

Der Bankier Erich Goldschmidt-Rothschild umgab sich, dem großbürgerlichen Geschmack der Zeit gemäß, mit wertvollen, üppig verzierten Möbeln des frühen 18. Jahrhunderts. Dazu passen Landschaften und Jagdszenen aus dem goldenen Zeitalter der niederländischen Malerei. Um die Bilder von Jan van Goyen, Philip Wouvwermann oder Adrien van de Velde würden sich heute die Museen der Welt reißen. Im Schreibtischzimmer zwischen zwei reichgeschmückten Lampenhaltern das Bild „Gesellschaft im Freien“ von Jean Baptiste Pater, dem Lieblingsschüler des Säulenheiligen der französischen Malerei des Rokoko, Antoine Watteau. Der Zeitungsverleger Victor Hahn wiederum schwärmte für gotische Holzskulpturen: Das sogenannte Runde Zimmer in seiner Wohnung am Kurfürstendamm ist voll von kostbaren Heiligenfiguren. Im „Skulpturenzimmer“ steht ein Tisch, auf dem Dutzende von italienischen Kleinbronzen der Renaissance plaziert sind.

Angenehm ungezwungen scheint der Umgang gewesen zu sein, den der Mitinhaber der Berliner Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei Puhl & Wagner, Gottfried Heinersdorf, mit Kunst pflegte. Lässig lehnen auf dem Bücherregal drei Bilder von Christian Rohlfs. Bei all den Schätzen, die man derzeit in deutschen Museen vorgesetzt bekommt, ein unerhörter Anblick. Ulrich Clewing

„Berliner Lebenswelten der zwanziger Jahre“, bis 17.11., Mi.–Mo. 10–17 Uhr, Bauhaus Archiv, Klingelhöferstr. 14