Jagd auf Homosexuelle in Ägypten: Let's talk about einvernehmlichen Sex
Bei einem Konzert der Band Mashrou’ Leila in Kairo wurden fast 60 Menschen verhaftet. Dafür wird erstmals öffentlich über Homosexualität diskutiert.
Damit ist Sinno zu einem der Idole der arabischen LGBT-Szene geworden, einer Szene, die in Ägypten aus Angst vor Repressionen weitgehend im Untergrund agiert. Während des Konzerts in Kairo schwenkte eine Gruppe Jugendlicher Regenbogenfahnen, das Symbol der sexuellen Vielfalt.
„Ich war mit meinen Freunden auf dem Konzert, und neben uns war jemand, der zwei Flaggen dabeihatte. Also nahm ich eine davon und hielt sie hoch, in Solidarität mit dem Sänger der Band, gegen den eine Schmutzkampagne läuft, weil er schwul ist“, schrieb Ahmad Alaa dazu später auf Facebook und fügte hinzu: „Ich hätte es mir nie im Leben ausgemalt, dass die Sache solche Ausmaße annimmt. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Homosexuelle wie jeder Mensch das Recht haben, ihre Sexualität frei auszuüben, das ist ein grundsätzliches Menschenrecht.“
Alaa ahnte offenbar nicht, welche Folgen die Aktion haben würde. In den sozialen Medien gingen nach dem Konzert Videos, die die Jugendlichen zeigen, viral. Auch konservative ägyptische Medien stürzten sich auf das Thema. Allerdings wurde dort nicht die Vielfalt zelebriert. In ägyptischen Talkshows war vielmehr von der „homosexuellen Krankheit“ die Rede, der Einhalt geboten werden müsse.
Mashrou’ Leila, die wohl bekannteste Indie-Rockband der arabischen Welt, die auch regelmäßig in Europa und den USA Konzerte gibt, darf nun nicht mehr in Ägypten auftreten. Das sagte der zuständige Verband für Musiker am Montag der Deutschen Presseagentur. Um in Ägypten spielen zu dürfen, brauchen ausländische Bands eine Erlaubnis des Musikerverbands, der Zensurbehörde und eines Sicherheitsbüros im Innenministerium.
Ein bewusst inszenierter Skandal
Die ägyptische Menschenrechtlerin Dalia Abdel Hamid spricht in einem Interview mit der taz von einem bewusst inszenierten Skandal, um gegen die ägyptische LGBT-Szene vorzugehen. Mit den in Ägypten gleichgeschalteten Medien sei eine Verhaftungswelle vorbereitet worden, sagt sie.
„Die Medien traten in Aktion und holten alle ihre Waffen heraus und fordern dazu auf, diese Menschen zu verhaften, weil das gesellschaftlich nicht akzeptabel ist. Und alle gaben ihre Statements ab, von den Parlamentariern bis hin zu den christlichen und islamischen Geistlichen. Sie alle wetzten ihre Messer“, sagt Abdel Hamid.
Was folgte, war eine noch nie da gewesene Jagd auf Homosexuelle in Ägypten. Ahmad Alaa, einer der Fahnenschwenker, wurde verhaftet und steht inzwischen vor einem Staatssicherheitsgericht. Aber nicht nur diejenigen, die Regenbogenflagge hochgehalten hatten, wurden von den Sicherheitsbehörden gesucht. Mit Alaa wurden mindestens 56 weitere Menschen verhaftet, die verdächtigt werden, der queeren Szene anzugehören.
„Polizisten ködern im Netz Menschen“
„Was die Sicherheitskräfte in solchen Fällen gerne machen, ist, dass sich Polizisten Profile in den einschlägigen Chat-Räumen und Dating-Apps im Internet schaffen. So ködern sie die Menschen und laden sie zu einem Treffen ein, wo sie dann festgenommen werden“, erzählt die Menschenrechtlerin Abdel Hamid.
Zehn der Festgenommenen wurde bereits in einem ungewöhnlich schnellen Verfahren der Prozess gemacht. Sie erhielten Gefängnisstrafen von einem bis zu sechs Jahren. Es gibt im ägyptischen Gesetzbuch keine Paragrafen, die Homosexualität untersagen. Bisher wurden Homosexuelle wegen öffentlicher Verführung, Ausschweifung, Unmoral oder Blasphemie verurteilt. Nun werden die Fahnenschwenker erstmals auch beschuldigt, einer Gruppierung anzugehören, die die nationale Sicherheit bedroht.
Dalia Abdel Hamid
„Es wurde sogar konstruiert, dass sie die Verfassung verletzt hätten, in der es in Artikel zwei heißt, dass die Prinzipien der Scharia die Hauptquelle der Gesetzgebung darstellen sollen“, erklärt Alaa Faruk, einer der Anwälte, der die Verhafteten verteidigt. „Viele Richter urteilen in diesen Fällen nicht gemäß dem Gesetz. Das gilt besonders für die untere Ebene der Gerichte. Ich hatte einen Fall, da sagte der Richter, er verurteile meinen Mandanten, weil er den Thron Gottes zum Wackeln gebracht habe. Es gibt kein solches Gesetz“, erzählt er.
Analuntersuchung ist Folter
Einige der Verhafteten mussten außerdem eine Analuntersuchung über sich ergehen lassen, um so angeblich gleichgeschlechtlichen Sex nachweisen zu können. Eine Prozedur, die Menschenrechtsgruppen als Folter bezeichnen. Amnesty International hat mindestens fünf solcher Fälle dokumentiert, die auch von ägyptischen Behörden offen zugegeben werden.
Die Menschenrechtlerin Abdel Hamid setzt das Ganze in einen weiteren politischen und gesellschaftlichen Kontext: „Es gibt Leute, die sagen, wenn sie eine ‚IS‘-Fahne gehisst hätten, wären sie nicht so verfolgt worden.“ Das Traurige sei, dass die Menschen, die für Frieden, Vielfalt und für die Akzeptanz des anderen eintreten, bekämpft würden. Und das in einer polarisierten Gesellschaft, mit großen politischen Differenzen, während die Repression anhält und die Leute unter der wirtschaftlichen Krise leiden. „Der Staat verwendet seine Ressourcen, um gegen die Menschen vorzugehen, die für Vielfalt eintreten“, beklagt sie.
Es ist nicht die erste Verhaftungswelle gegen Homosexuelle in Ägypten. Allein ihre Organisation habe innerhalb von fünf Jahren über 230 Fälle dokumentiert. Trotz der massiven neuerlichen Repression macht Abdel Hamid aber auch etwas Positives aus. Hatten sich Menschenrechtler, Anwälte und Intellektuelle bisher immer gescheut, das Thema Homosexualität aufzugreifen, habe nun eine Debatte begonnen.
„Warum einvernehmlichen Sex kriminalisieren?“
„Es wird neuerdings über einvernehmlichen Sex diskutiert. Es werden Fragen gestellt: Warum interveniert der Staat hier und nicht bei häuslicher Gewalt oder bei weiblicher Genitalverstümmelung oder bei Vergewaltigung in der Ehe oder bei Kinderehen, die alle nicht einvernehmlich geschehen“, beschreibt sie die Diskussion. „Manche Leute fragen: Warum sollen ausgerechnet einvernehmliche Beziehungen kriminalisiert werden?“, sagt sie.
Inzwischen haben die Behörden eine Informationssperre verhängt. Homosexuellen ist es verboten, öffentlich in den Medien aufzutreten, wenn sie ihrer sexuellen Identität nicht abschwören und diese als Schande und Krankheit bezeichnen. Nicht nur die islamische Al-Azhar-Universität in Kairo verurteilt Homosexuelle. Auch die koptische Kirche organisierte eine Konferenz mit dem Titel: „Der Vulkan der sexuellen Abweichung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos