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J.D. Vance nicht mehr bei UllsteinKein Skandal, nirgends

Jörg Sundermeier
Kommentar von Jörg Sundermeier

Der Verleger von J. D. Vances „Hillbilly-Elegie“, der Ullstein-Verlag, gibt die Lizenz für das Buch ab. Einige fürchten Zensur – wie übertrieben!

Das Buch „Hillbilly Elegy“ von J. D. Vance wird nicht mehr von Ullstein verlegt Foto: Paul Sancya/ap

E s ist ein alltäglicher Vorgang im Verlagsgeschäft: Ein Buch ist ausverkauft, der Verlag entschließt sich gegen einen Nachdruck und gibt dem:r Au­to­r:in die Rechte an dem Titel zurück. Das ist bedauerlich, weil dies zumeist bedeutet, dass das Buch für lange Zeit nicht mehr lieferbar ist, wenn es denn überhaupt noch einmal nachgedruckt wird.

Um den Ruf von Autor und Verlag zu schützen, findet ein solcher Vorgang in der Regel nicht vor den Augen der Öffentlichkeit statt. Vor wenigen Tagen ist dergleichen wieder geschehen, diesmal jedoch ist der Vorgang zum Medienthema, ja sogar zum Politikum geworden. Und das, obwohl daran rein gar nichts skandalös ist.

Es geht um die deutsche Übersetzung des Buches „Hillbilly Elegy“ von J. D. Vance, den Donald Trump jüngst zu seinem Running Mate erkoren hat. Das bedeutet, dass Vance im Falle eines Wahlsieges von Trump sein Vizepräsident werden würde. Der Untertitel der deutschen Übersetzung, „Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“ zeigt, worum es geht.

Vom Paulus zum Saulus

Es ist ein allseits gelobtes Buch über das Leben der verarmten amerikanischen Mittelschicht. Das Buch erschien 2017, ein Jahr nach der amerikanischen Originalausgabe, im Ullstein Verlag. Es verkaufte sich anfangs außerordentlich gut, in den letzten Jahren weniger, nun ist es beim Verlag ausverkauft.

Ullstein entschied sich gegen einen Nachdruck und gab die Lizenz zurück. Auf Nachfrage teilte der Verlag mit, man habe so entschieden, da man mit dem heutigen Auftreten von Vance nicht einverstanden sei. In der Tat hat sich Vance vom Paulus zum Saulus entwickelt, vom einstigen Verteidiger von Ein­wan­de­re­r:­in­nen zum aggressiven Demagogen und Befürworter der Trump’schen Rassismen und Sexismen.

Niemand wird sterben müssen, ohne Vances Buch kaufen zu können

Bereits angekündigt ist allerdings eine Neuausgabe der deutschen Fassung des Vance-Buches im Yes Verlag, die bereits Ende Juli erscheinen soll. Der Yes Verlag ist ein konzernunabhängiger Verlag, sein Programm wird allerdings von der Münchner Verlagsgruppe vertrieben, die wie Ullstein Teil des Bonnier-Konzerns ist. Für die weite Verbreitung der Neuausgabe wird also gesorgt sein. Dass sie erneut zum Bestseller werden wird, steht außer Frage.

Reißerische Titel

Wo genau ist also ein Problem? Das Problem ist: Viele Jour­na­lis­t:in­nen wie Social-Media-Powerposter:innen wittern einen Skandal, raunen von „Zensur“, sehen Vance gecancelt. Aber ist dem so? Ullstein will das Buch nicht mehr machen, Yes sagt Ja. Niemand wird also sterben müssen, ohne Vances Buch kaufen zu können.

„Ullstein-Verlag wirft Buch von J. D. Vance aus dem Programm“ titelt etwa reißerisch Spiegel online. Könnte es jedoch einen angenehmeren Rauswurf für Vance geben? Vermutlich nicht.

Dass Ullstein auf viel Gewinn verzichtet und sich nicht einfach blind jeder Marktlogik unterwirft, kann man auch bemerkenswert finden. Doch die vermeintlichen Ver­tei­di­ge­r:in­nen der Freiheit, die „die Woken“ für gefährlicher halten als tätliche Angriffe auf Menschen, müssen so sehr ihrer Mär von der Cancel Culture nachhängen, dass sie sogar – welche Ironie! – die unternehmerische Freiheit des Ullstein Verlages beschränken wollen.

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Jörg Sundermeier
1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Er schrieb mehrere Bücher. Zuletzt „Die Sonnenallee" und „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt".
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23 Kommentare

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  • @HUCK

    Mensch wüsste ja schon gerne, wie die Entscheidung zustande gekommen ist.

    Mein Einwurf war aber eher gegen die immer mehr zur Selbstverständlichkeit werdenden Unsitte [1], dass die Entscheidung der Geldgeber alles toppt. Kein Deut besser als die sowjetische "Diktatur des Proletariats".

    [1] Jaja, es gibt da auch Gesetze: die spiegeln eben auch zuweilen Unsitten wider.

  • Na wenn sich das der Ullstein-Verlag unternehmerisch leisten kann..... warum nicht. Eigentlich interessiert mich die Biographie dieses Herrn nicht so sehr, aber sehr viele andere...... ich glaube, dass das Buch auch vergriffen ist. Ein anderer Verlag freut sich bestimmt.

  • Nein, definitiv kein Skandal! Aber in jedem jeden Fall eine Ehre, bei einem Springer Verlag, wie Ullstein rauszufliegen.

  • Sundermeier will doch lediglich darauf hinweisen, dass es die namhaften deutschen publikationsorganen jede Menge gut bezahlte Redakteure gibt die zwar eine feste Meinung vertreten können aber null Ahnung haben.

  • Ein Skandal? Sicher nicht? Eine wirklich hanebüchene unternehmerische Entscheidung? In jedem Fall. Die kostenlose Werbung für dieses Werk in Verbindung mit der Neugier auf Vance dürfte mutmaßlich zu einer exorbitanten Nachfrage führen. Sollte der Ullstein Verlag jemals in eine Schieflage kommen und nach Staatshilfe rufen, erinnert man dich hoffentlich an diese unternehmerische Glanzleistung. Warum hat Ullstein dieses Werk, das unseren Kanzler zu Tränen gerührt hat, überhaupt verlegt, wenn man jetzt meint Haltung gegen irgendetwas zu zeigen. Hat sich der Inhalt des Werkes durch die Kontaktschuld Vance/Trump verändert?

  • Es gibt übrigens eine gar nicht mal so schlechte Verfilmung der Autobiografie von J.D Vance. Unter anderem mit Glenn Close.

    Er zeigt drastisch und realistisch das Leben der Hinterwäldler in den Apalachen. Er liefert keine Gesellschaftskritik, sondern feiert eher den Amerikanischen Traum, der es jemandem von ganz unten, wie eben J.D Vance, immer noch ermöglicht, ganz nach oben zu kommen.

    Die "Hillbilly Elegie" ist bei Netflix zu finden.

    • @Jim Hawkins:

      Die Apalachen waren lange Zeit ein Riegel gegen die Ausdehnung der Siedler nach Westen!



      Bis Waldläufer wie Daniel Bone et al. die Durchstiege von den Indsmen lernten!



      Und das westwärts “Go ahead!“ ua mit gefälschten Papieren Urkunden usw erlitt ausgerechnet er gleich mehrfach.



      (Romanfigur für Cooper!;)



      Howgh - 🙀🥳 -



      (Von “Die Regulatoren von Arkansas“ by Gerstäcker - ein andermal! Woll)

      • @Lowandorder:

        Der Pionier hieß Daniel Boone.

        • @Stoffel:

          Shure. Zum legasteniker hats zwar nur - damals unerkannt - bei meinem Banknachbarn gelangt - für sich Verschreiben bin ich immer noch gut!



          (Den Lederstrumpf blätternd im Wind - fand Liese unsre Ziege 🐐 (weiß) auch recht schmackhaft! 📗 - ewig mit Biß!)



          empfehle



          Das Grenzerbuch Von Pfadfindern, Häuptlingen und Lederstrumpfen. Mit 20 Tafeln nach photographischen Aufnahmen und zahlreichen Kapitelleisten von Karl Wagner und einer Karte



          Gagern, Friedrich von



          Ein voll zerlesenes Exemplar neben



          Rolf der Trapper Ernest Thompson Seston.



          &



          Mississippi Saga Fritz Steuben



          usw usf

      • @Lowandorder:

        Danke für die Ergänzung.

        Passt landschaftlich auch alles gut zur erwähnten Doku.

  • Ach, das Canceln mal wieder... Der Vorwurf folgt einer verqueren Logik. Wollten die Cancler dem vermeintlich Gecancelten wirklich schaden, so sollten Sie das Buch so richtig groß rausbringen. Der Autor hat ja erst kürzlich den Verstand verloren und faselt so ziemlich das Gegenteil der Quintessenz der nämlichen Buches — er ist nunmehr gar nicht wieder zu erkennen. Liest man den früheren Vance und schaut auf den aktuellen, könnte man die Verschwörung stricken, er wolle sich ins Amt schleichen, um es aufzumischen; mithin die gekaperte GOP ent-trumpisieren...

  • @HUCK

    Diktatur des Eigentums, oder was?

    • @tomás zerolo:

      Diktatur des Managements?

      Das dürfte nicht der Betriebsrat von Ullstein entschieden haben.

      • @Huck :

        Genau, denn wenn es nach dem Betriebsrat gegangen wäre, könnte ich mir vorstellen, dass noch mehrere solche Bücher rausgebracht werden. Vielleicht führt ja diese "weise" Entscheidung dazu, dass ein paar Stellen gekürzt werden.....

  • Keine Macht Den MAGA Faschisten!

  • Ich selbst, brauche keine von Herrn Vance selbst geschriebene Biografie, um zu wissen, dass ich Herrn Vance und Charakteren wie ihm, keinesfalls mein Vertrauen schenke.

    Die Prämisse von diesen Charakteren ist: Egal was, tue und sage was dich selbst bereichert und auf deinem Bankkonto sichtbar wird. Scheiß auf alles Andere und alle Andere.

    • @Thorsten Sippel:

      Ich habe das Buch vor 2 Jahren gelesen. Es beschreibt ziemlich plastisch die trostlose Perspektive der Nachfahren der ehemals blue collar Mittelschicht. Analytisch nahe an Sahra Wagenknecht. Man könnte auch andere politische Schlüsse daraus ziehen als Vance aktuell z.B. allgemeine Krankenversicherung, stärkste Progression von Steuern und Besteuerung von Kapitalvermögen.

  • Wenn der Ullstein-Verlag einer Familie Ullstein gehören würde, der die Wandlung des Autoren nicht gefällt, volle Zustimmung.

    Aber er gehört der schwedischen Bonnier-Gruppe. Diese gehört zwar auch einer Familie, der Familie Bonnier, aber die scheint hier nicht gefragt worden zu sein. Sonst wäre nicht zu erklären, dass das fraagliche Buch zwar nicht mehr von Ullstein, wohl aber von einem anderen Haus der Bonnier-Gruppe vertrieben werden wird.

    Das aber geht gar nicht. Da verzichtet ein lokales Management aus politischen Gründen auf sichere hohe Einnahmen, ohne aber die Eigentümer zu fragen. Das ist Anmassung.

    • @Huck :

      Nein. In jeder Branche ist es üblich, dass Sortimentspflege betrieben wird. Ob es nun Bonbons sind oder Autos oder eben Kulturprodukte. Auch mit wem man als Medien- oder Werbepartner zusammenarbeitet (und warum), welche Ereignisse oder Künstler man sponsort - das sind alles operative Entscheidungen, die die Geschäftsleitung ohne besondere Einwirkung der Eigentümer trifft. Das ist deren Job. Wenn die Eigentümer meinen, der Job würde nicht gut gemacht, dann berufen sie die Geschäftsführung ab.

    • @Huck :

      Warum sollten sie? Sie haben den Eigentümern die "sicheren hohen Einnahmen" doch gesichert, oder habe ich da etwas falsch verstanden.



      Anmassend wäre wenn Daimler seine neuen Mercedesse nicht mehr von Stuttgart sondern von Karlsruhe aus ausliefern liesse.



      Das aber geht gar nicht - wenn ich Sie zitieren darf.

  • Traurigerweise ist "Hillbilly Elegy" durchaus lesenswert.

    • @Wurstprofessor:

      Und die Verfilmung sehenswert (s.o.).

  • Ullstein hätte den Verlagsgewinn auch an Kamala spenden können...

    Und ausserdem, wenn ullstein und Yes den selben Eignern gehören... Rechte Tasche, linke Tasche...

    Naja, so muss man wenigstens nix spenden1!11