Italiens neue Regierung: Koalition der Feinde
Nur wenige Inhalte verbinden die neuen Koalitionspartner in Italien. Die größte Gemeinsamkeit bleibt ihre Feindschaft zueinander.
S chon Hölderlin wusste: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Man möchte fast glauben, die Spitzen des Partito Democratico (PD) und der Fünf Sterne hätten bei dem deutschen Dichter nachgeschlagen, ehe sie sich zu ihrem gewagten Koalitionsexperiment entschlossen.
Es ist ein Experiment, das zuallererst darauf zielt, Matteo Salvini von der rechtsnationalistischen Lega auszubremsen, der mit der von ihm ausgelösten Regierungskrise den Abmarsch Italiens nach rechts außen organisieren wollte: erst vorgezogene Neuwahlen, dann der Triumph seiner Lega. Diese Gefahr, die halb Italien und ganz Europa tief erschreckte, ist vorerst gebannt.
Offen bleibt allerdings, wie sehr, denn „das Rettende“ wächst. Zueinandergefunden haben da zwei völlig ungleiche Partner, die Anti-Establishment-Truppe des Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und jene Partei, die in den Augen des M5S Establishment pur ist: der gemäßigt linke PD.
Verbunden sind die beiden bisher nur durch Feindschaft und gegenseitiges Misstrauen. „Nur der Hass auf die Lega“ halte M5S und PD zusammen, wettert denn auch Salvini. Nicht ganz unbegründet ist seine Hoffnung, dass diese Koalition sich schnell in internen Streitigkeiten aufreibt und der Lega damit das Feld bereitet für zukünftige Triumphe.
PD: Gefahr aus den eigenen Reihen
So muss es jedoch nicht kommen. Mut sei jetzt gefordert, sagt der PD-Vorsitzende Nicola Zingaretti, und er skizziert eine Regierung, die eine „Wende“, einen „Neuanfang“ angehen könnte – und dafür sind die Voraussetzungen gar nicht einmal schlecht.
Ob die Steuerpolitik – Entlastung der unteren und mittleren Einkommen statt der von Salvini angestrebten Flat Tax zugunsten der Gutverdiener –, ob ein gesetzlicher Mindestlohn, Investitionen in die Green Economy oder die Abkehr von Salvinis Europa-Bashing: Die Schnittmengen zwischen den neuen Koalitionspartnern dürften größer sein als die zwischen Fünf Sternen und Lega.
Was für PD-Chef Zingaretti gut ist: Es war ausgerechnet sein innerparteilicher Gegner, der notorische Fünf-Sterne-Fresser Matteo Renzi, der die Wende zugunsten der neuen Koalition eingeleitet hatte. Die Partei steht deshalb geschlossen hinter dem Plan, in die Regierung zu gehen. Doch für Zingaretti bleibt Renzi die größte Hypothek – ein noch größeres Risiko als der Koalitionspartner. Renzi tritt auf wie der Chef einer eigenen Partei, er kann der Regierung jederzeit den Stecker ziehen. Es wird sich zeigen, ob er auch in Zukunft als Ego-Shooter der italienischen Politik auftreten will – oder ob auch er wirklich den Neuanfang will.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen