Israels Regierungskoalition zerbricht: Knesset soll sich auflösen
Die für Oktober geplanten Neuwahlen wären die fünften innerhalb von dreieinhalb Jahren. Oppositionsführer Benjamin Netanjahu frohlockt schon.
Kommende Woche – voraussichtlich am Montag – wollen sie die Knesset über ihre Auflösung abstimmen lassen. Es wird wohl das Ende des extrem breiten Regierungsbündnisses sein, das von weit rechts nach links unter Beteiligung auch einer islamischen Partei reicht – ein Jahr, nachdem sie vereidigt wurde.
Jair Lapid, der eigentliche Architekt dieser Regierung, dankte dem neben ihm stehenden Bennett in seinem Teil der Ansprache: „Unsere Freundschaft wurde auf die Probe gestellt und stieß auf dem Weg auf Hindernisse, die wir aber immer überwunden haben. Wir haben gezeigt, dass man unterschiedlich denken und trotzdem zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten kann“, erklärte er.
Die derzeitige Regierungskoalition ist vielmehr von Differenzen als von politischen Gemeinsamkeiten geprägt. Zusammengehalten hat sie vor allem die gemeinsame Gegnerschaft zum vorherigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Regierung ist seit Monaten in der Krise
Kaum einer zweifelt daran, dass die Knesset dem Vorschlag zustimmen wird. Selbst das Datum für die Neuwahlen steht bereits: Am 25. Oktober werden die Israelis wohl wieder zu den Wahlurnen gebeten – zum fünften Mal in weniger als vier Jahren. Bis dahin wird der Vorsitzende der zentristischen Zukunftspartei Jair Lapid das Amt des Interims-Ministerpräsidenten übernehmen.
Die Regierung, die von Anfang an mit zahlreichen Sollbruchstellen ausgestattet war, ist seit Monaten in der Krise. Anfang April war die Abgeordnete Idit Silman von Bennetts Jamina-Partei wegen Streit um ungesäuertes Brot aus der Regierungskoalition ausgestiegen und hatte der Koalition ihre hauchdünne Mehrheit genommen.
Angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Palästinenser:innen und jüdischen Israelis folgte der Austritt einer Abgeordneten der linken Partei Meretz. Für eine Weile legte auch die islamische Partei Ra'am ihre Mitgliedschaft in der Regierung auf Eis.
Zuletzt war das sogenannte Westjordanland-Gesetz nicht durchgekommen. Dieses regelt, dass jüdische Israelis im Westjordanland unter israelischem Recht und nicht wie Palästinenser:innen unter Militärrecht stehen. Einige Oppositionsparteien, die immer für das Gesetz gestimmt hatten, hatten wohl die Regierung vorführen wollen und dem Gesetz ihre Stimme versagt.
Westjordangesetz als Sargnagel der jetzigen Koalition
Das Scheitern dieses Gesetzes, das Ende des Monats ausläuft, dürfte Bennett den Anlass für die Auflösung der Knesset gegeben haben. Sobald Wahlen ausgerufen werden, wird dieses automatisch verlängert.
Oppositionsführer Netanjahu begrüßte in einem Videoclip mit breitem Grinsen das bevorstehende Scheitern der Koalition als „großartige Nachricht für Millionen israelischer Bürger“. Er kündigte an, eine „breite“ Regierung auf die Beine stellen zu wollen, die „den nationalen Stolz zurückbringen“ solle.
Eine Umfrage des israelischen Fernsehsenders Channel 12 sprach einem rechtsreligiösen Netanjahu-Bündnis vor einer Woche 60 Sitze im Fall von Neuwahlen zu, das wären acht mehr als bei den vergangenen Wahlen. Ein Sitz würde dem Bündnis für eine Mehrheit fehlen.
Netanjahu braucht noch Überläufer
Mögliche Überläufer von Parteien, die derzeit die Regierung stellen, umwirbt Netanjahu Gerüchten zufolge bereits seit Wochen – unter ihnen auch der jetzige Justizminister Gideon Sa'ar, der vor den letzten Wahlen aus dem Likud ausgetreten und mit der neugegründeten Partei „Neue Hoffnung“ in die Regierung eingezogen ist.
Das derzeitige Bennett-Lapid-Bündnis würde laut Umfrage 55 Sitze erhalten und wäre damit weit entfernt von einer Mehrheit. Bennett, so hieß es am Montagabend in Medienkreisen, denke derweil darüber nach, sich ganz aus der Politik zurückzuziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich