Israels Regierung vor dem Aus: Lackmustest nicht bestanden

Nach einer Abstimmungsniederlage steht Israels Regierung unter Premier Bennett unter Druck. Oppositionsführer Netanjahu läuft sich bereits warm.

Abgeordnete in der Knesset nach der Abstimmungsniederlage der Regierung

Abgeordnete in der Knesset nach der Abstimmungsniederlage der Regierung Foto: Maya Alleruzzo/ap

TEL AVIV taz | Es ist ein Schlag, von dem sich Israels Regierung unter Premier Naftali Bennett wohl nicht erholen wird. Das sogenannte Westjordanland-Gesetz hat am Montagabend die Mehrheit in der Knesset verpasst. Damit ist das Regierungsbündnis mit dem Spagat gescheitert, der bislang die unwahrscheinliche Koalition von weit rechts nach links und dazu noch die islamische Partei Ra’am zusammengehalten hat.

Das Westjordanland-Gesetz soll Notverordnungen verlängern, die seit 1967 bestehen. Sie wurden nach dem Sechstagekrieg mit der Besatzung des Westjordanlands eingeführt und sollen regeln, dass für Israelis in den laut internationaler Gemeinschaft illegalen Siedlungen im Westjordanland israelisches Recht gilt – während Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen unter Militärrecht stehen.

Bis zum letzten Montag war die Verlängerung der Verordnungen stets eine Formalie. Alle Regierungen haben sie ohne Probleme durchgebracht.

Doch in einem Versuch, die jetzige Regierung als unfähig vorzuführen, hatte die zu großen Teilen rechte und siedlernahe Opposition gegen das Gesetz gestimmt.

„Lackmustest für die Regierung“

Auch zwei Abgeordnete der Regierungsparteien machten mit: „Es ist meine Pflicht, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, in dem ich die Besatzung delegitimiere und das grundlegende Recht der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen unterstütze, einen eigenen Staat neben dem israelischen aufzubauen“, sagte Meretz-Regierungsmitglied Ghaida Rinawie Zoabi kurz nach dem Votum.

Justizminister Gideon Sa’ar von der rechten Partei Neue Hoffnung hatte die Abstimmung im Vorfeld zu einem Lackmustest für die Regierungskoalition gemacht.

Noch gelten die Regelungen weiter bis zum 1. Juli. Sollte bis dahin keine Lösung gefunden werden, wären die Folgen in der Geschichte Israels einzigartig. Die Sied­le­r*in­nen im Westjordanland würden wie die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen unter Militärrecht stehen und im Fall einer Anklage vor ein Militärgericht gestellt werden. Sie würden das Recht auf eine staatliche Versicherung und andere Privilegien verlieren, die ihnen nach israelischem Recht zustehen. Auch auf die Einreise nach Israel hätte die Nichtverabschiedung des Gesetzes Auswirkungen.

Derzeit leben rund 600.000 Sied­le­r*in­nen im Westjordanland und in Ostjerusalem. Einige hatten die Opposition im Vorfeld aufgefordert, für das Gesetz zu stimmen und so die Gefahr abzuwenden, dass die Regelungen ihre Gültigkeit verlieren. Andere, denen die derzeitige Regierung ein Dorn im Auge ist, unterstützten die Opposition in ihrer Verweigerungshaltung.

Gescheitertes Gesetz diskriminiert Palästinenser

Zumindest für einen Moment rückt mit der gescheiterten Verabschiedung des Gesetzes die ungleiche Behandlung von Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen und israelischen Sied­le­r:in­nen im Westjordanland in den Blick.

Von einem Sieg für Be­sat­zungs­kri­ti­ke­r*in­nen kann jedoch nicht die Rede sein. Dass es dazu kommt, dass die Regelungen ohne Weiteres auslaufen, ist extrem unwahrscheinlich. Die Behörden prüfen bereits Alternativen zu den Notstandsregelungen, etwa in Form von vorübergehenden militärischen Anordnungen.

Derweil versucht die Regierung, die Ab­weich­le­r*in­nen für eine potentielle Abstimmung in der nächsten Woche wieder ins Boot zu holen. Die Chancen gelten aber als gering.

Die Opposition hingegen arbeitet auf Hochtouren an einer alternativen Koalition, um die jetzige abzulösen. Das würde wohl die Rückkehr von Benjamin Netanjahu bedeuten, doch ist eine Mehrheit dafür nicht unmittelbar absehbar.

Als wahrscheinlichste Variante gilt: Auflösung der Knesset in den nächsten Wochen und Neuwahlen. Diese unwahrscheinliche Regierung hätte dann ein Jahr existiert.

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